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»Weg da, Perepjolkin, ich habe genug von Ihnen!« schnauzte der Olympier den Verstandesmenschen an. »Als Osman Pascha aus Plewna ausbrechen wollte, haben Sie mich auch >beschworen<, nicht ohne Befehl vorzugehen. Auf die Knie sind Sie geplumpst! Und wer hatte recht? Na bitte! Sie werden sehen, man übergibt mir die Stadtschlüssel von Zargrad!«

»Toll!« rief Mitja. »Großartig, nicht wahr, Warwara Andrejewna?«

Warja sagte nichts, denn sie wußte nicht, ob das großartig war oder nicht. Von Sobolews Verwegenheit schwindelte ihr der Kopf. Außerdem erhob sich die Frage: Was sollte sie tun? Unter Trommelschlag im Jägerbataillon mitmarschieren und sich am Steigbügel von Gulnora festhalten?

Oder mitten in der Nacht in der feindlichen Stadt allein zurückbleiben?

»Gridnew, ich lasse dir meine Eskorte hier, du wirst die Bank bewachen. Sonst wird sie von den Einwohnern ausgeplündert, und Sobolew kriegt die Schuld«, sagte der General.

»Euer Exzellenz, Michail Dmitrijewitsch!« heulte der Fähnrich. »Ich will mit nach Konstantinopel!«

»Und wer beschützt Warwara Andrejewna?« fragte d'Hevrais vorwurfsvoll.

Sobolew zog eine goldene Uhr aus der Tasche und ließ den Deckel aufspringen.

»Halb sechs. In zwei bis zweieinhalb Stunden wird es hell. He, Gukmassow!«

Ein imposanter Kosakenleutnant kam hereingesaust.

»Zu Befehl, Euer Exzellenz!«

»Das Bataillon tritt in Marschordnung an! Fahne und Trommler an die Spitze! Auch die Sänger! Es soll ein schöner Marsch werden! Gulnora satteln! Tempo! Punkt sechs rücken wir ab!«

Der Ordonnanzoffizier rannte hinaus. Sobolew streckte sich wohlig und sagte: »Nun, Warwara Andrejewna, ich werde entweder ein Held, größer als Napoleon, oder es kostet mich meinen dummen Kopf.«

»Es wird ihn nicht kosten«, antwortete sie und sah den General mit aufrichtiger Begeisterung an, so schön war er jetzt, ein wahrer Achilles.

»Toi-toi-toi«, sagte Sobolew abergläubisch.

»Es ist noch nicht zu spät, sich zu besinnen!« rief Perepjolkin. »Wenn Sie erlauben, Michail Dmitrijewitsch, hole ich Gukmassow zurück!«

Er ging einen Schritt zur Tür, doch da ...

Aus dem Treppenhaus tönte das Poltern vieler Stiefeltritte, die Tür wurde aufgerissen, und herein kamen Lawrenti Misinow und Erast Fandorin.

»Erast Petrowitsch!« schrie Warja und wäre ihm beinahe um den Hals gefallen, besann sich aber noch rechtzeitig.

»Aha, er ist hier! Ausgezeichnet!« knurrte Misinow.

»Euer Exzellenz?« Sobolew runzelte die Stirn, als er hinter den Eingetretenen blaue Gendarmenmonturen sah. »Wie kommen Sie hierher? Ich habe natürlich eigenmächtig gehandelt, aber mich zu verhaften, das geht doch wohl zu weit.«

»Sie verhaften?« fragte Misinow verwundert. »Wieso denn? Ich bin mit meiner halben Kompanie Gendarmen nur mühsam auf Draisinen zu Ihnen durchgekommen. Der Telegraph funktioniert nicht, die Straße ist abgeschnitten. Ich bin dreimal beschossen worden, habe sieben Mann verloren. Mein Mantel hat eine Kugel abgekriegt.« Er zeigte das Loch im Ärmel.

Fandorin trat vor. Er hatte sich während seiner Abwesenheit überhaupt nicht verändert, nur war er zivil und stutzerhaft gekleidet: Zylinder, Pelerine, gestärkter Kragen.

»Guten Tag, Warwara Andrejewna«, sagte er freundlich. »Ihre H-haare sind ja nachgewachsen. Das sieht wohl doch besser aus.«

Er machte Sobolew eine leichte Verbeugung.

»Gratuliere zum Degen mit B-brillanten, Euer Exzellenz. Eine hohe Ehre.«

Perepjolkin nickte er einfach zu, und zu guter Letzt wandte er sich an den Korrespondenten:

»Salam aleikum, Anwar Effendi.«

DREIZEHNTES KAPITEL,

in welchem Fandorin eine lange Rede hält

»WienerZeitung« (Wien), vom 21. (9.) Januar 1878

»Die Kräfteverteilung zwischen den feindlichen Seiten ist in der Schlußetappe des Krieges so beschaffen, daß wir nicht länger die Gefahr einer panslawischen Expansion ignorieren dürfen, welche die Südgrenzen der Doppelmonarchie bedroht. Zar Alexander und seine Satelliten Rumänien, Serbien und Montenegro haben eine siebenhunderttausendköpfige eiserne Streitmacht zusammengezogen, die mit anderthalbtausend Kanonen ausgerüstet ist. Fragt sich, gegen wen? Gegen die demoralisierte türkische Armee, die nach sehr optimistischen Berechnungen derzeit nicht mehr als hundertzwanzigtausend hungrige, verängstigte Soldaten zählt?

Das ist nicht komisch, Herrschaften! Man muß ein Vogel Strauß sein; um nicht die Gefahr zu sehen, die über dem ganzen aufgeklärten Europa schwebt. Zögern wäre gleichbedeutend mit dem Tode. Wenn wir die Hände in den Schoß legen und zusehen, wie skythische Horden ... «

Fandorin warf den Mantel ab, und in seiner rechten Hand blinkte ein schöner kleiner Revolver aus brüniertem Stahl. Im selben Moment schnippte Misinow mit den Fingern, zwei Gendarmen kamen herein und richteten die Karabiner auf den Korrespondenten.

»Was ist denn das für ein Theater?« blaffte Sobolew. »Was heißt hier >salam aleikum<? Was für ein >Effendi<?«

Warja drehte sich nach Charles um. Der stand an der Wand, die Arme vor der Brust gekreuzt, und sah den Titularrat mit einem ungläubigen und spöttischen Lächeln an.

»Erast Petrowitsch!« stammelte Warja. »Sie sind doch gereist, um MacLaughlin zu finden!«

»Warwara Andrejewna, ich bin nach England gereist, aber keineswegs, um MacLaughlin zu finden. Mir war k-klar, daß er nicht dort ist und nicht dort sein kann.«

»Aber Sie haben doch mit keinem Wort widersprochen, als Seine Majestät ...« Warja hielt inne, fast hätte sie ein Staatsgeheimnis ausgeplaudert.

»Ich ha-hatte keine Beweise. Und nach Europa mußte ich sowieso fahren.«

»Und was haben Sie dort herausgefunden?«

»Wie zu erwarten, haben die Intrigen des englischen Kabinetts nichts damit zu tun. Das erstens. Ja, in London liebt man uns nicht. Ja, man bereitet sich auf einen großen Krieg vor. Aber Kuriere ermorden und Diversionsakte durchführen, das wäre doch zu viel. Das widerspräche dem sportlichen Geist der Briten. Das hat mir auch Graf Schuwalow gesagt.

Ich war in der R-redaktion der >Daily Post< und konnte mich von der völligen Unschuld MacLaughlins überzeugen. Das zweitens. Die Freunde und Kollegen bezeichnen James als einen geradlinigen und arglosen Mann, der zu der britischen Politik eine ablehnende Einstellung hat und Verbindung zur irischen Nationalbewegung unterhält. Als Agent des tückischen Disraeli kommt er nicht in Betracht.

Auf der Rückreise - es lag ja am Wege - blieb ich ein paar Tage in Paris. Ich schaute auch bei der Redaktion der >Revue Parisienne< vorbei ...«

D'Hevrais bewegte sich, und die Gendarmen rissen die Karabiner hoch, bereit zu schießen. Der Journalist schüttelte ausdrucksvoll den Kopf und legte die Hände nach hinten unter die Schöße seines Gehrocks.

»Dort hörte ich«, fuhr Fandorin fort, als wäre nichts weiter, »daß den berühmten Charles d'Hevrais noch nie jemand in seiner Redaktion gesehen hatte. Das drittens. Er pflegte seine glänzenden Artikel, Skizzen und Feuilletons mit der Post oder dem Telegraphen zu schicken.«

»Na und?« sagte Sobolew entrüstet. »Charles ist kein Parkettschleicher, sondern ein Abenteurer.«

»Und d-das sogar in größerem Maße, als Euer Exzellenz vermuten. Ich durchwühlte die Jahrgänge der >Revue Parisienne< und fand hochinteressante Übereinstimmungen. Die ersten Beiträge schickte Herr d'Hevrais vor zehn Jahren aus Bulgarien - damals war Midhat Pascha Gouverneur in der Donauprovinz, und sein Sekretär war der junge Beamte Anwar. 1868 schickte d'Hevrais aus Konstantinopel eine Reihe glänzender Skizzen über die Sitten am Hof des Sultans. Es war die Periode des ersten Aufstiegs von Midhat Pascha, als er in die Hauptstadt gerufen wurde, um den Staatsrat zu leiten. Ein Jahr später wurde der Reformer in eine ehrenvolle Verbannung geschickt, ins ferne Zweistromland, und die flotte Feder des talentierten Journalisten wechselte wie durch einen Zauber von Konstantinopel nach Bagdad. Drei Jahre (so lange wie Midhat Pascha Gouverneur im Irak war) schrieb d'Hevrais über die Ausgrabungen assyrischer Städte, über arabische Scheichs und den Suezkanal.«