»Sind das Baschi-Bosuks?« fragte Warja, und ihre Stimme vibrierte. »Was wird jetzt? Sind wir verloren? Werden sie uns umbringen?«
»Wenn Sie still sind, nicht«, antwortete Fandorin nicht sehr überzeugt. »Ihre plötzliche Geschwätzigkeit ist völlig unangebracht.«
Sein Stottern war wie weggeblasen, und davon wurde ihr ganz unheimlich.
Fandorin nahm den Esel wieder beim Zügel, ritt zum Straßenrand, zog Warja die Schapka bis über die Augen und flüsterte: »Sehen Sie nach unten, und keinen Ton.«
Trotzdem riskierte sie einen verstohlenen Blick auf die berühmten »Halsabschneider«, von denen seit zwei Jahren alle Zeitungen schrieben.
Der Mann an der Spitze (sicherlich der Bek) hatte einen rötlichen Bart und trug einen schmutzigen zerrissenen Beschmet, doch seine Waffe glänzte silbern. Er ritt vorbei, ohne die jämmerlichen Bauern eines Blicks zu würdigen. Anders seine Bande. Ein paar Berittene hielten bei Warja und Fandorin und schnatterten gaumig. Die Physiognomien dieser Baschi-Bosuks waren so beschaffen, daß Warja am liebsten die Augen zugekniffen hätte - sie hatte nicht geahnt, daß Menschen so aussehen können. Plötzlich entdeckte sie unter den alptraumhaften Visagen ein ganz gewöhnliches menschliches Gesicht. Es war bleich und hatte ein blutunterlaufenes Auge, und das andere Auge, braun und voller Todesangst, sah sie direkt an.
Inmitten der Räuber ritt, rücklings im Sattel sitzend, ein russischer Offizier in verstaubter, zerfetzter Montur. Seine Hände waren auf dem Rücken zusammengeschnürt, an seinem Hals hing eine leere Säbelscheide, in einem Mundwinkel war Blut angetrocknet. Warja biß sich auf die Lippe, um nicht aufzuschreien; sie hielt die Hoffnungslosigkeit im Blick des Gefangenen nicht aus und senkte die Augen. Aber ein Schrei, genauer, ein hysterisches Schluchzen entrang sich dennoch ihrem vor Angst ausgedörrten Hals, denn einer der Banditen hatte an seinem Sattelknauf einen hellblonden Menschenkopf mit langem Schnurrbart hängen. Fandorin preßte Warja den Ellbogen und sagte kurz etwas auf türkisch - sie verstand die Wörter »Jussuf Pascha« und »Kaimakam«, aber die hatten keine Wirkung auf die Räuber. Einer mit Spitzbart und riesiger krummer Nase zog Fandorins Stute die Oberlippe hoch, sah lange faulige Zähne, spuckte verächtlich aus und sagte etwas, und die anderen lachten. Dann schlug er der Mähre die Nagaika über die Kruppe, sie sprang erschrocken zur Seite und verfiel sogleich in einen ungleichmäßigen Trab. Warja stieß dem Esel die Absätze in die aufgeblähten Seiten, und er trippelte hinterher; sie wagte nicht zu glauben, daß die Gefahr vorüber sei. Um sie herum verschwamm alles, der entsetzliche Kopf mit den leidend geschlossenen Augen und dem blutverkrusteten Mund ließ ihr keine Ruhe. Halsabschneider sind Leute, die den Halsabschneiden - dieser alberne Satz schwirrte ihr durch den halb bewußtlosen Kopf.
»Bitte keine Ohnmacht«, sagte Fandorin leise. »Vielleicht kommen die zurück.«
Er hatte es beschrien. Gleich darauf hörten sie hinter sich näher kommendes Hufgetrappel.
Fandorin sah zurück und flüsterte: »Drehen Sie sich nicht um, vorwärts!«
Warja drehte sich trotzdem um, doch das hätte sie besser nicht getan. Die Baschi-Bosuks waren an die zweihundert Schritte weitergeritten, aber einer der Reiter, der mit dem abgeschnittenen Kopf am Sattel, war umgekehrt und folgte ihnen rasch, und die furchtbare Trophäe hüpfte lustig an der Kruppe seines Pferdes.
Warja warf ihrem Begleiter einen verzweifelten Blick zu. Der schien seine Kaltblütigkeit verloren zu haben, mit zurückgeworfenem Kopf trank er nervös Wasser aus einer großen kupfernen Feldflasche.
Der verdammte Esel trippelte melancholisch dahin, er hatte keine Lust, den Schritt zu beschleunigen. Gleich darauf war der schnelle Reiter auf gleicher Höhe mit den unbewaffneten Reisenden und riß seinen feurigen Braunen hoch. Dann beugte er sich vor, zerrte Warja die Schapka vom Kopf und lachte räuberisch, als ihr befreites Haar zum Vorschein kam.
»Hoho!« johlte er mit blitzenden weißen Zähnen.
Fandorin, finster und konzentriert, riß dem Räuber mit einer raschen Bewegung seiner Linken die zottige Pelzmütze herunter, holte aus und schmetterte ihm die schwere Feldflasche gegen den rasierten Hinterkopf. Es gab ein ekelhaft klatschendes Geräusch, in der Flasche gluckerte es, und der
Baschi-Bosuk fiel in den Staub.
»Zum Teufel mit dem Esel! Geben Sie mir die Hand. In den Sattel! Und vollen Galopp! Und nicht umdrehen!« ratterte Fandorin, wieder ohne zu stottern.
Er half der benommenen Warja auf den Braunen, riß das Gewehr aus dessen Satteltasche, und sie sprengten davon.
Das Pferd des Räubers preschte sogleich voran. Warja zog den Kopf ein, aus Furcht, sich nicht halten zu können. In ihren Ohren pfiff es, ihr rechter Fuß rutschte sehr zur Unzeit aus dem zu lang geschnallten Steigbügel, von hinten krachten Schüsse, etwas Schweres schlug ihr schmerzhaft gegen den rechten Oberschenkel.
Warja blickte kurz nach unten, sah den tanzenden Kopf, stieß einen unterdrückten Schrei aus und ließ die Zügel los, was sie keineswegs hätte tun dürfen.
Im nächsten Moment flog sie aus dem Sattel, beschrieb einen Bogen in der Luft und plumpste in etwas Grünes, Weiches, Knisterndes - einen Busch am Wegrand.
Dies wäre der richtige Moment gewesen, in Ohnmacht zu fallen, aber dazu kam es nicht. Warja hockte im Gras, hielt sich die zerkratzte Wange, ringsum tanzten gebrochene Zweige.
Auf dem Weg spielte sich mittlerweile dies ab. Fandorin bearbeitete mit dem Kolben die unglückliche Mähre, die sich alle Mühe gab und die schwieligen Beine warf. Er hatte schon fast den Busch erreicht, unter dem die vom Sturz betäubte Warja saß, hinter ihm her jagte, vielleicht hundert Schritte zurück, unter krachenden Schüssen die Horde der Verfolger, gut und gern ein Dutzend. Plötzlich kam die graue Stute aus dem Tritt, schüttelte kläglich den Kopf und sank nieder, wobei sie ihrem Reiter ein Bein einquetschte. Warja schrie auf. Fandorin befreite sich mühsam von dem Gaul, der aufzustehen versuchte, und richtete sich hoch auf. Mit einem Blick auf Warja riß er das Gewehr an die Schulter und nahm die Baschi-Bosuks ins Visier.
Mit dem Schießen hatte er es nicht eilig, er zielte konzentriert, und seine Pose war so eindrucksvoll, daß keiner der Räuber sich der Kugel aussetzen wollte - der Trupp verließ den Weg und schwärmte aus auf die Wiese, wo er die Flüchtlinge im Halbkreis umschloß. Die Schüsse verstummten, und Warja erriet, daß man sie lebendig fassen wollte.
Fandorin wich zurück, richtete das Gewehr bald auf den einen, bald auf den anderen Reiter. Der Abstand zwischen ihnen verkürzte sich allmählich. Als Fandorin fast den Busch erreicht hatte, schrie Warja: »So schießen Sie doch, worauf warten Sie!«
Ohne sich umzudrehen, zischte Fandorin: »Das Gewehr ist nicht geladen.«
Warja blickte nach links (dort waren die Baschi-Bosuks), nach rechts (dort waren auch Reiter mit zottigen Pelzmützen) und schließlich nach hinten, da sah sie durch das schüttere Gezweig etwas Bemerkenswertes.
Über die Wiese galoppierten Reiter, vornweg sprengte, nein, flog auf einem mächtigen Rapphengst, die Ellbogen jockeyhaft abgespreizt, ein Mann mit einem breitkrempigen amerikanischen Stetson; hinter ihm ritt auf einem Paßgänger eine weiße Montur mit goldenen Schultern, dann folgte ein Dutzend Kubankosaken, und den Abschluß bildete, im Sattel hüpfend, ein ganz sonderbarer Herr mit Melone und langem Gehrock.
Warja betrachtete wie verzaubert die seltsame Kavalkade. Die Kosaken stießen Pfiffe und Hetzrufe aus. Die Baschi-Bosuks sammelten sich schreiend zum Häuflein, und da kam ihnen der rotbärtige Bek mit den übrigen Männern zu Hilfe. Die entsetzlichen Menschen hatten Warja und Fandorin vergessen, sie hatten jetzt andere Sorgen.