»Ich beneide Ihren Bräutigam, Warwara Andrejewna«, sagte der General und liebkoste Warja mit Blicken. »Sie sind eine außergewöhnliche junge Frau. Aber gestatten Sie, daß ich Ihnen meine Gefährten vorstelle. Mister MacLaughlin haben Sie wohl schon kennengelernt, und dies ist meine Ordonnanz, Serjosha Berestschagin, Bruder des Malers Berestschagin.« (Vor Wanja verbeugte sich linkisch ein magerer hübscher Jünghing im Tscherkessenrock.) »Er zeichnet übrigens auch sehr gut. An der Donau hat er bei einem Erkundungsritt die türkischen Stellungen aufgemalt - die reinste Augenweide. Aber wo ist d'Hevrais? He, d'Hevrais, kommen. Sie, ich will Sie einer interessanten Dame vorstellen.«
Warja musterte neugierig den Franzosen, der als letzter heranritt (er trug eine Armbinde »Presse 32«). Er war bildschön und stand darin General Sobolew nicht nach: schmale Hakennase, aufgezwirbelter blonder Schnauzer nebst rötlichem Spitzbärtchen, gescheite graue Augen. Die blickten im übrigen wütend.
»Diese Halunken sind eine Schande für die türkische Armee!« rief er auf französisch. »Friedliche Einwohner abschlachten, das können sie, aber wenn es zum Kampf kommt, schlagen sie sich seitlich in die Büsche. Wäre, ich Kerim Pascha, würde ich sie alle entwaffnen und aufhängen lassen!«
»Gemach, wackerer Chevalier, hier ist eine Dame«, unterbrach MacLaughlin ihn spöttisch. »Sie haben Glück, denn Sie treten als romantischer Held vor sie hin, also Mut! Schauen Sie, wie sie Sie anguckt.«
Warja errötete und warf dem Iren einen erbosten Blick zu, aber MacLaughlin lachte gutmütig.
Dafür benahm sich d'Hevrais so, wie es sich für einen wahren Franzosen geziemt - er saß ab und verbeugte sich.
»Charles d'Hevrais, Ihnen zu dienen, Mademoiselle.«
»Warwara Suworowa«, sagte sie freundlich. »Freut mich, Sie kennenzulernen. Und meinen Dank an Sie alle, meine Herren. Sie sind genau im richtigen Moment gekommen.«
»Gestatten Sie, nach Ihrem Namen zu fragen.« D'Hevrais' Blick ruhte neugierig auf Fandorin.
»Erast Fandorin«, antwortete der Freiwillige und sah dabei nicht den Franzosen, sondern den General an. »Ich habe in Serbien gekämpft, und j-jetzt muß ich zum Hauptstab, dem ich eine wichtige Meldung zu machen habe.«
Der General musterte Fandorin von Kopf bis Fuß. Dann fragte er mit respektvollem Interesse: »Da haben Sie wohl viel durchgemacht? Womit haben Sie sich vor Serbien beschäftigt?«
Nach einigem Zögern antwortete Fandorin: »Ich war im Ministerium des Auswärtigen angestellt. Als Titularrat.«
Das war überraschend. Ein Diplomat? Um die Wahrheit zu sagen, die neuen Eindrücke hatten den starken Effekt (wozu es verschweigen), den ihr wortkarger Begleiter auf Warja gemacht hatte, ein wenig abgeschwächt, doch jetzt betrachtete sie ihn wieder mit Wohlgefallen. Ein Diplomat, der freiwillig in den Krieg geht, das gibt es, Sie werden es zugeben, nicht eben oft.
Nein, ganz sicher, alle drei waren tolle Männer, jeder auf seine Art: Fandorin, Sobolew und d'Hevrais.
»Was für eine wichtige Meldung?« fragte Sobolew stirnrunzelnd.
Fandorin zögerte mit der Antwort.
»Hören Sie doch auf mit der Geheimniskrämerei«, herrschte der General ihn an. »Das ist zumindest unhöflich gegenüber Ihren Rettern.«
Der Freiwillige senkte gleichwohl die Stimme, und die beiden Journalisten spitzten die Ohren. »Ich komme von Widin, H-herr General. Osman Pascha ist vor drei Tagen mit einem A-armeekorps in Richtung Plewna aufgebrochen.«
»Wer ist Osman? Was ist Plewna?«
»Osman Nuri Pascha ist der beste Feldherr der türkischen Armee und der Besieger der Serben. Er ist erst fünfundvierzig und doch schon Müschir, also Feldmarschall. Seine Soldaten sind mit denen an der Donau nicht zu vergleichen. Und Plewna ist ein Städtchen dreißig Werst westlich von hier. Man muß dem Pascha zuvorkommen und diesen strategisch wichtigen P-punkt besetzen. Er beherrscht die Straße nach Sofia.«
Sobolew klatschte die Hand aufs Knie - sein Pferd wechselte unruhig das Standbein.
»Ach, wenn ich wenigstens ein Regiment hätte! Aber ich bin nicht im Dienst, Fandorin. Sie müssen in den Stab, zum Oberbefehlshaber. Ich muß die Rekognoszierung beenden. Sie bekommen von mir eine Begleitung bis Zarewizy. Am Abend bitte ich Sie, mein Gast zu sein, Warwara Andrejewna. Im Zelt der Herren Journalisten geht es lustig zu.«
»Mit Vergnügen«, sagte Warja und blickte furchtsam zur Seite, wo der aus der Gefangenschaft befreite Offizier ins Gras gelegt worden war. Zwei Kosaken hockten bei ihm und machten etwas mit ihm.
»Ist der Offizier tot?« fragte Warja flüsternd.
»Quicklebendig ist er«, antwortete der General. »Der Satansbraten hat Schwein gehabt, jetzt kann er hundert Jahre alt werden. Als wir den Baschi-Bosuks auf den Fersen waren, haben sie auf seinen Kopf geschossen und sind abgehauen. Aber eine Kugel ist bekanntlich dumm. Es war ein Streifschuß, sie hat ihm nur ein Fetzchen Haut abgerissen. Na, Männer, habt ihr den Hauptmann verbunden?« rief er den Kosaken zu.
Die halfen dem Offizier gerade auf die Beine. Er wankte, stand aber und stieß die Kosaken, die ihn am Ellbogen stützen wollten, von sich weg. Er machte ein paar ruckartige Schritte auf unsicheren Beinen, die ihm einzuknicken drohten, dann legte er die Hände an die Hosennähte und krächzte: »Hauptmann Jeremej Perepjolkin vom Ge-generalstab, Euer Exzellenz. Ich war auf dem Weg von Zimnicea zu meinem Dienstort, zum Stab der Westgruppe, mit meiner Ernennung zur Operationsabteilung, zu Generalleutnant Krüdener. Wurde unterwegs von einer irregulären Kavallerietruppe attackiert und gefangengenommen. Um Vergebung ... Hatte ich nicht erwartet in unserm Hinterland ... Nicht mal eine Pistole hatte ich dabei, nur den Säbel.«
Jetzt sah Warja den Märtyrer genauer an. Er war sehnig, nicht groß, hatte zerrauftes kastanienbraunes Haar, einen schmalen, fast lippenlosen Mund und strenge braune Augen. Genauer, ein solches Auge, das andere war noch immer nicht zu sehen, dafür war der Blick des Hauptmanns nicht mehr voller Todesangst und Verzweiflung.
»Sie leben - wie schön«, sagte Sobolew unbekümmert. »Aber ohne Pistole darf ein Offizier niemals unterwegs sein, auch nicht ein Stabsoffizier. Das ist ja, als ob eine Dame ohne Hut auf die Straße ginge, man würde sie für ein leichtfertiges Frauenzimmer halten.« Er lachte laut auf, sah jedoch Warjas strafenden Blick und verschluckte sich. »Pardon, Mademoiselle.«
Zum General trat ein schneidiger Kosakenunteroffizier und zeigte mit dem Finger irgendwo zur Seite.
»Euer Exzellenz, ich glaube, es ist Semjonow!«
Warja drehte sich um, und ihr wurde schlecht: Beim Gebüsch stand plötzlich der Braune des Banditen, auf dem sie so erfolglos geflohen war, und rupfte Grashalme, als wäre nichts weiter, und an seiner Seite baumelte noch immer das ekelerregende Anhängsel.
Sobolew sprang aus dem Sattel, trat zu dem Braunen, kniff skeptisch die Augen ein, drehte die schreckliche Kugel hin und her.
»Das soll Semjonow sein?« sagte er zweifelnd. »Du spinnst, Netschitailo. Semjonows Gesicht sah ganz anders aus.«
»Aber doch, Michail Dmitrijewitsch«, sagte der Unteroffizier eifrig. »Da, das eingerissene Ohr, schauen Sie.« Er zog die violetten Lippen des toten Kopfes auseinander. »Und ein Vorderzahn fehlt. Er ist es.«
»Mag sein.« Der General nickte nachdenklich. »Mein Gott, ist der verunstaltet. Warwara Andrejewna, das ist ein Kosak aus der zweiten Hundertschaft, den die Mes'chetinzen des Daud Bek heute früh entführt haben.« Er drehte sich zu Warja um.
Aber Warja hörte nicht - vor ihren Augen tauschten Himmel und Erde die Plätze. D'Hevrais und Fandorin konnten das erschlaffte Fräulein gerade noch auffangen.
DRITTES KAPITEL,
welches fast vollständig morgenländischer Tücke gewidmet ist