PERSONEN
Rahotep – der Wahrheitssucher, Leiter der Kriminalabteilung der thebanischen Medjai (Polizei)
Seine Familie und Freunde
Tanefert – seine Ehefrau
Sekhmet, Thuju, Nedjmet – seine Töchter
Amenmose – sein kleiner Sohn
Thot – sein Pavian
Kheti – sein Partner bei der Medjai
Nacht – Edelmann
Minmose – Nachts Diener
Die königliche Familie
Tutanchamun – Herr der Beiden Länder, das »Lebende Abbild des Amun«
Anchesenamun – Königin, Tochter von Echnaton und Nofretete
Mutnedjmet – Anchesenamuns Tante, Ehefrau von Haremhab
Königliche Beamte und Hofstaat
Eje – Regent und »Gottesvater«
Haremhab – General und Oberbefehlshaber des Heeres der Beiden Länder
Khay – Oberster Schreiber
Simut – Kommandeur der Palastwache
Nebamun – Chef der thebanischen Medjai
Maia – Tutanchamuns Amme
Pentu – Tutanchamuns Leibarzt
Zu der Zeit, da Seine Majestät zum König gekrönt wurde, lagen die Tempel der Götter und Göttinnen von Elephantine bis zu den Lagunen des Deltas Unterägyptens in Trümmern. Die heiligen Stätten waren nurmehr Ruinen, von Unkraut überwucherte Schutthügel. Ihre Altarräume sahen aus, als habe es sie nie gegeben, und die Bauwerke waren Trampelpfade. Das Land lag im Chaos. Die Götter hatten sich von ihm abgewandt. Schickte man Soldaten nach Syrien, um die Grenzen Ägyptens zu erweitern, so war dem Unternehmen kein Erfolg beschieden. Betete man zu einem Gott, um etwas von ihm zu erbitten, erhörte er das Gebet nicht. Flehte man eine Göttin an, so erhörte sie die Gebete auch nicht. Die Herzen der Götter waren schwach in ihren Leibern. Sie zerstörten das Geschaffene.
Aus der Restaurationsstele, die zu Beginn von
Tutanchamuns Regierungszeit in der Tempelanlage von
Karnak aufgestellt wurde
ERSTER TEIL
Ich kenne euch, ich kenne eure Namen
Sargtexte
Spruch 407
1
Jahr 10 der Herrschaft von König Tutanchamun,
dem Lebenden Abbild des Amun
Theben, Ägypten
Es klopfte drei Mal kurz. Ich horchte in die nachfolgende Stille, und dabei pochte mein Herz laut die Antwort. Im nächsten Moment vernahm ich zu meiner Erleichterung das so vertraute letzte kurze Klopfen des Signals. Langsam atmete ich aus. Vielleicht wurde ich allmählich zu alt. Draußen war es noch dunkel, aber ich war schon wach, denn der Schlaf hatte mich wieder einmal im Stich gelassen, wie er das in den düsteren Stunden vor Sonnenaufgang so häufig tat. Ich erhob mich von meiner Lagerstatt, kleidete mich rasch an und blickte dabei nieder auf Tanefert. Das Haupt meiner Frau ruhte elegant auf dem Kopfkissen, aber ihre wunderschönen, beunruhigt dreinblickenden Augen standen weit offen und beobachteten mich.
»Schlaf noch ein bisschen. Ich verspreche dir, rechtzeitig wieder zu Hause zu sein.«
Ich küsste sie sanft, und sie rollte sich zusammen wie eine Katze und sah mir nach.
Ich zog den Vorhang auf und warf einen Blick auf meine drei schlafenden Töchter – Sekhmet, Thuju und Nedjmet. Sie lagen in ihren Betten, in dem gelb gestrichenen Kinderzimmer, das sie sich teilten und das vollgestopft war mit Kleidungsstücken, altem Spielzeug, Papyrusrollen, Schiefertafeln, Zeichnungen aus ihrer Kindheit und anderen Gegenständen, deren Bedeutung mir nicht einleuchtete. Für so große Mädchen ist unser Haus jetzt zu klein. Einen Moment horchte ich auf die schweren und rasselnden Atemzüge meines Vaters, die aus seinem Zimmer im hinteren Teil des Hauses drangen. Das Geräusch setzte zwischendurch immer wieder aus, Stille machte sich breit, aber dann quälte sich ein weiterer Atemzug durch seinen alten Körper. Zu guter Letzt stellte ich mich wie immer, wenn ich das Haus verlasse, vor meinen kleinen Sohn. Amenmose schlief tief und friedlich, er hatte sämtliche Glieder von seinem Körperchen abgespreizt wie ein Hund, der vor einem Feuer liegt. Ich küsste seinen kleinen Kopf, der durch die Wärme ganz feucht war. Er rührte sich nicht.
Da Sperrstunde herrschte, steckte ich meine Nacht-Passierscheine ein, und dann schloss ich lautlos die Tür hinter mir. Thot, mein gescheiter Pavian, erhob sich von seinem Schlafplatz im Hof, lief mit seinem buschigen, nach oben gebogenen Schwanz auf mich zu und stellte sich auf die Hinterpfoten, um mich zu begrüßen. Ich ließ ihn an meiner Hand schnuppern und strich ihm mit der anderen durch seine dicke braune Mähne. Dann sprach ich ein kurzes Gebet zu dem kleinen Hausgott in der Nische, der weiß, dass ich nicht an ihn glaube, und öffnete das Hoftor und trat hinaus in die Dunkelheit der Gasse, wo mich mein Gehilfe Kheti erwartete.
»Und?«
»Man hat eine Leiche gefunden«, gab er ruhig zur Antwort.
»Und deshalb hast du mich geweckt? Konnte das nicht bis zum Morgen warten?«
Kheti weiß, wie schlecht meine Laune sein kann, wenn man mich allzu früh belästigt. »Schau sie dir an, dann beantwortet sich das«, meinte er.
Schweigend machten wir uns auf den Weg. Thot zog an seiner Leine, denn er fand es aufregend, in der Dunkelheit draußen zu sein, und war wild darauf, die Gegend zu erkunden. Es war eine wunderbar klare Nacht: Die heiße Erntezeit shemu war zu Ende, und mit dem heliakischen Aufgang des Sirius, des Hundssterns, war die Nilschwemme gekommen, um die Ufer des Großen Flusses zu überfluten und die Felder mit reichhaltigem, lebenspendendem Schlamm zu nähren. Und so war wieder einmal die Zeit des Festes gekommen. In den letzten Jahren hatte das Wasser häufig nicht hoch genug gestanden oder aber war zu hoch gestiegen und hatte verheerende Verwüstungen angerichtet. Doch in diesem Jahr war alles ideal verlaufen und hatte einem Volk Erleichterung und Freude beschert, das durch die dunklen Zeiten der Herrschaft Tutanchamuns, des Königs von Ober- und Unterägypten, kleinlaut und sogar deprimiert geworden war.
Das helle Antlitz des Mondes schenkte uns genug Licht für unseren Weg, als sei es unsere Lampe. Wir hatten fast Vollmond, und die Scheibe war umhüllt von einem prächtigen Sterngestöber: der Göttin Nut, von der die Priester behaupten, dass unsere toten Augen zu ihr emporblicken, wenn wir auf dem Rücken in den kleinen Booten des Todes liegen, die uns über den Ozean in die Unterwelt bringen. Genau darüber hatte ich mir den Kopf zerbrochen, als ich im Bett lag und nicht schlafen konnte, denn ich bin ein Mensch, der den dunklen Schatten des Todes in allem erblickt: in den strahlenden Gesichtern meiner Kinder, in den überfüllten Straßen der Stadt, in der Eitelkeit ihrer goldenen Paläste und Verwaltungsgebäude und eigentlich irgendwie immer, aus dem Augenwinkel heraus.
»Was meinst du, was wir nach unserem Tod sehen?«, fragte ich.
Kheti weiß, dass er mir nach dem Mund reden muss, wenn ich über Philosophie sinniere, wie er mir bei so vielen anderen Dingen auch nach dem Mund reden muss. Er ist jünger als ich, und irgendwie hat sich sein Gesicht trotz der grauenvollen Dinge, die er in seinem Leben, das ganz im Dienste der Medjai steht, bereits gesehen hat, seine Offenheit und Frische bewahrt. Auch sein Haar ist – ganz im Gegensatz zu meinem – immer noch schwarz wie die Nacht. Er ist nach wie vor fit wie ein reinrassiger Jagdhund und hat auch noch die gleiche Leidenschaft für die Jagd – ist also ganz anders als ich mit meiner pessimistischen und oftmals lebensüberdrüssigen Natur. Denn je älter ich werde, desto mehr kommt mir das Leben vor wie eine endlose Aneinanderreihung von Problemen, die gelöst werden müssen, und nicht wie Stunden, die man genießen kann. »Ach, was bin ich mal wieder heiterer Stimmung«, tadelte ich mich selbst.