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Einführung

Den ganzen Tag gab es Gewitter, mit niedrig über dem Land hängenden, schweren, schwarzen Wolken. Jetzt, gegen Abend, läßt der Wind plötzlich nach. Es wird auf einmal bedrückend still.

Stille und ein Gefühl von Vorahnung.

Der Himmel wird mit einem Mal drohend schwarz. Dunkle Schatten, die ins Purpurne und Grüne spielen. In der Ferne ist ein schwacher, seidiger Staubwirbel über dem Boden mehr zu ahnen, als zu erkennen.

Ein Tornado baut sich auf.

Jetzt fährt aus den Wolken ein grauer Kondensationsschlot hernieder, ein »Rüssel«, der sich wie ein zerbrechlicher, seilartiger Finger zum Erdboden tastet.

Schweigend streckt er sich immer weiter nach unten.

Kaum hat der Wirbel den Boden berührt, beginnt er schneller zu rotieren. Und sobald er sich über das Land hin in Bewegung setzt, gibt er ein tiefes, grollendes Geräusch von sich, fast so wie das eines schier endlosen vorüberfahrenden Güterzugs. Unten treibt er Staub und Trümmer vor sich her.

Niemand kann sagen, was als nächstes geschehen wird.

Die meisten Tornados verlieren ihre Kraft schon nach wenigen Minuten. Der Tornadorüssel schrumpft ein und sinkt nach vorne in sich zusammen, löst sich auf und verschwindet so rasch, wie er entstand.

Aber es gibt auch andere, die - im Gegenteil - immer größer werden, mit sich steigerndem Brüllen wachsen. Dann verbreitert sich ihre Basis von hundert Metern Durchmesser bis auf eine halbe Meile und mehr. Die Windstärke erreicht 500 Stundenkilometer und mehr. Derartige Tornados können sich bis zu einer Stunde am Boden halten. Sie hinterlassen einen Pfad der Zerstörung, eine Schneise der Verwüstung von hundert oder zweihundert Kilometern, ehe sie sich ausgetobt haben, in sich zusammenfallen und wieder zurück in den Himmel verschwinden.

Aber warum erwacht der eine Tornado nur sekundenlang zum Leben und der andere eine ganze Stunde und verursacht dabei Tod und Zerstörung? Das weiß niemand genau. Die Wissenschaftler haben schon die kompliziertesten Modelle gebaut, Computer- und Laborsimulationen sowie Bodenbeobachtungen durchgeführt.

Viel schlauer sind sie nicht geworden.

In den USA kommen mehr Tornados vor als irgendwo sonst auf der Welt. Es gibt sie zwar auch anderswo, doch die amerikanische Geographie eignet sich besonders für das Entstehen von Tornados. In jedem Frühjahr trifft kalte, trockene Luft, die von Kanada herabzieht, auf warme und feuchte, die vom Golf von Mexiko nordwärts wandert. Diese beiden Wetterfronten prallen, ohne von natürlichen Barrieren gehemmt zu werden, über den ausgedehnten, flachen Prärien in der Mitte der Vereinigten Staaten aufeinander, wo sie ganz enorme Sturmwolken voller Kraft und Schönheit erzeugen. Manchmal entstehen daraus eben Tornados - ungefähr in einem von tausend Fällen.

In Kansas, Oklahoma und Texas sind Tornados immerhin so häufig, daß man die Gegend schon lange »Tornado Alley«, die »Allee der Tornados«, nennt. Die Regelmäßigkeit und Häufigkeit von Tornados in den Staaten des Mittelwestens haben die Gegend aber auch zum idealen Forschungsgebiet für Wissenschaftler gemacht, die der Entstehung von Tornados auf die Spur zu kommen versuchen. Jedes Frühjahr erscheinen dort Gruppen von Forschern mit neuen, ganz unterschiedlichen Beobachtungsprojekten. Sie werden von den Einheimischen »Storm chasers«, Sturmjäger, genannt.

Diese Sturmjäger sind recht ungewöhnliche Leute. Einesteils sind es seriöse Wissenschaftler, andererseits verfügen sie über die Instinkte von Naturforschern und Jägern. Ihre Saison ist nur kurz, nur ein paar Monate im Jahr. Ihre Arbeit muß schnell gehen und ist oft nicht ungefährlich, denn ihr Studienobjekt ist immerhin eines der unberechenbarsten, mitunter lebensgefährlichsten Naturphänomene. Vor allem aber müssen sie eine Engelsgeduld haben, fast so wie Tierfotografen. In einem guten Jahr schaffen sie es bestenfalls, zwei oder drei Tornados vor Ort zu erwischen. In weniger guten Jahren gehen sie nicht selten leer aus.

Aber jedes Jahr bilden sich über den USA mehr als tausend Tornados, wenn auch die meisten nur sehr kurzlebig und verhältnismäßig schwach sind und nicht länger als ein paar Minuten dauern. Dazu ereignen sich viele auch noch nachts oder in sehr abgelegenen Gegenden, wo sie überhaupt niemand wahrnimmt. Das alles hat zur Folge, daß Tornados nur relativ selten gefilmt wurden. Die meisten dokumentarischen Filmaufnahmen für Wochenschauen oder für das Fernsehen können nur die Folgen der Tornados zeigen; die Verwüstungen, die sie hinterlassen haben, und die Bahn ihrer zerstörerischen Wucht:    Städte, die aussehen wie nach Bombenangriffen, und zerdrückte Farmhäuser, nachdem der Tornado wieder verschwunden ist und sich ausgetobt hat. Tatsache ist, daß es vor 1965 überhaupt nur ganze zwei Filmdokumentationen von Tornados gab. Tornados mögen geheimnisvoll und gefürchtet sein, aber sie ereignen sich weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Augenzeugenberichte von Tornados und deren Verhalten sind oft recht phantasievoll, und widersprüchlich obendrein.

Dies alles hat sich mit der Amateurfilm- und noch mehr der Amateurvideokamera geändert. Ende der 80er Jahre gab es fast in jedem nordamerikanischen Haushalt eine Videokamera, quer über den ganzen Kontinent, und die Folge davon war zwangsläufig, daß mittlerweile zahlreiche Bildaufzeichnungen von Tornados vorhanden sind - Tornados aller Arten, aller Stärken, in allen Gegenden; Hunderte. Das wiederum war die Basis für ganz neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Tornados. Derartig viele Zeugnisse und Dokumente machten es möglich, sie besser zu verstehen, zumindest in ihrer Erscheinung. So wurde beispielsweise erkannt, daß Tornados einen ganz bestimmten Lebenszyklus haben, der in deutlichen Stadien erkennbar ist.

Gleichzeitig wurde auch die wissenschaftliche Methodik hinsichtlich der Tornados genauer und präziser. Ein über das Land installiertes Dopplerradarsystem lieferte den Sturmforschern jetzt detaillierte Informationen über Ort und Zeit des wahrscheinlichen Entstehens von Tornados. Sie selbst verwendeten inzwischen viel präzisere Techniken und Instrumente. Sie waren jetzt mit tragbaren Dopplerradaranlagen, Partikelphotogrammetrie und, im Falle des Pioniers Howard Bluestein, sogar mit einem Spezialinstrumentenpack namens TOTO (Totable Tornado Observatory, Additions-Tornado-Observatorium) ausgerüstet, das, auf ein Lastauto gepackt, in die vorausberechnete Schneise eines Tornados gestellt wird, um im Tunnelwirbel hochgetrieben zu werden.

Die Arbeit der storm chasers und das dramatische Erscheinungsbild der Tornados selbst haben meine Frau Anne-Marie Martin schon lange interessiert. Was Wunder, daß sie immer wieder einmal die Bemerkung fallenließ, irgend jemand müsse endlich einmal einen Film über das Thema machen. Meine Antwort war immer dieselbe: Du hast recht, es ist ein wunderbares Thema, aber woher willst du eine passende Story dafür nehmen? Ende 1993 plädierte sie dann für einen ganz einfachen Aufbau mit einer romantischen Dreiecksgeschichte vor dem Hintergrund eines Wettlaufs mit einem Tornado, in den ein solches Instrumentenpack plaziert werden sollte. Sie könne sich vorstellen, sagte sie, daß die drei angesichts der Anspannung vor und während des Sturms zu extremen Verhaltensweisen getrieben würden - zum Beispiel Dinge sagten, die sie unter normalen Umständen niemals sagen, anders als sonst handeln und reagieren würden. Eine kurze und knappe, aber intensive Geschichte solle es sein, die sich an einem einzigen Tag abspielt, höchstens an zweien. Und eine Menge wissenschaftlicher Dialoge müsse hinein, in denen viel Persönliches unter der technischensachlichen Oberfläche mitschwinge. Ich hatte diesbezüglich meine Zweifel, weil ich genau das schon in einem Skript mit dem Titel ER versucht hatte, aber weit und breit niemanden fand, der es umsetzen wollte.

Wie auch immer, sie stellte ihre Idee auf die Beine. Von Anfang an erschien auch mir das Thema ganz offensichtlich visualisierbar, und deshalb sollte nicht erst ein Buch, sondern gleich ein Drehbuch daraus werden. Tornados sind ein ideales Filmthema, weil sie im Gegensatz zu den meisten meteorologischen Phänomenen überschaubar genug sind, um auf ein Filmbild zu passen, außerdem nur kurz dauern und sich rasch verändern. Mit einem Hurrikan ist das etwas ganz anderes. Der kommt meistens als Hunderte von Meilen breite Walze daher, also viel zu groß, um mit einem Bildblick erfaßbar und darstellbar zu sein. Und er spielt sich über Stunden und Stunden ab, ohne daß sich großartig etwas verändert. Tornados sind viel kompakter, und visuell sehr viel überzeugender und zwingender.