Als Claus am frühen Morgen frierend zu sich kommt, hat er von Mehl geträumt. Es ist nicht zu fassen - immerzu geschieht das. Früher hat er Träume voller Licht und Lärm gehabt. Musik gab es in seinen Träumen, manchmal haben Geister mit ihm gesprochen. Aber das ist lange her. Heute träumt er von Mehl.
Während er sich unmutig aufrichtet, wird ihm klar, dass es nicht der Mehltraum war, der ihn geweckt hat, es waren Stimmen von draußen. Um diese Zeit? Beunruhigt erinnert er sich an das Omen der vergangenen Nacht. Er beugt sich aus dem Fenster, und im selben Moment teilt sich das Dämmergrau des Waldes, und Agneta und Heiner humpeln heraus.
Sie haben es wirklich geschafft, gegen alle Wahrscheinlichkeit. Zunächst hat der Knecht sie beide getragen, die lebende Frau und das tote Kind; dann konnte er nicht mehr, und Agneta ist allein gegangen, gestützt von ihm; dann war ihm das Kind zu schwer und auch zu gefährlich, denn ein ungetauft Gestorbenes zieht Geister an, sowohl die von droben als auch die aus der Tiefe, und Agneta hat es selbst tragen müssen. So haben sie tastend den Weg gefunden.
Claus klettert die Leiter hinunter, stolpert über die
schnarchenden Knechte, tritt eine Ziege zur Seite, reißt die Tür auf und läuft gerade rechtzeitig hinaus, um die zusammenbrechende Agneta auffangen zu können. Vorsichtig legt er sie hin und tastet nach ihrem Gesicht. Er spürt ihren Atem. Er zeichnet ein Pentagramm auf ihre Stirn, mit der Spitze nach oben natürlich, damit es heilt, und dann holt er tief Luft und spricht in einem einzigen Atemzug: Das solt ihr nit tun, ihr solet alle Beume bladen und alle Wasser waden und all Berge stigen und alle Gottesengel mieden, und alle Glocken werden klingen und alle Messe singen und alle Evengelien gelesen sollen ihr die Gesundheit widder nesen. Er weiß nur ungefähr, was das bedeutet, aber der Spruch ist uralt, und er kennt keinen stärkeren, um die Alben der Nacht zu verscheuchen.
Nun wäre Quecksilber gut, aber er hat keines mehr, also macht er stattdessen das Zeichen des Quecksilbers über ihrem Unterleib - das Kreuz mit der Acht, das für Hermes steht, den großen Mercurius; das Zeichen allein wirkt nicht so gut wie echtes Quecksilber, aber es ist besser als nichts. Dann schreit er Heiner an: «Los, auf den Dachboden, hol das Knabenkraut!» Heiner nickt, wankt in die Mühle und klettert keuchend die Leiter empor. Erst als er oben in der nach Holz und altem Papier riechenden Kammer steht und verwirrt das Wollgeflecht im Fenster anstarrt, fällt ihm auf, dass er keine Ahnung hat, was Knabenkraut ist. Also legt er sich auf den Boden, bettet den Kopf auf das mit Heu gestopfte Kissen, in dem der Müller einen Abdruck hinterlassen hat, und schlummert ein.
Der Tag bricht an. Nachdem Claus seine Frau in die Mühle getragen hat, steigt der Tau aus der Wiese, die Sonne geht auf, der Morgendunst weicht dem Mittagslicht. Die Sonne erreicht den Zenit und beginnt ihren Weg hinab. Neben der Mühle gibt es nun einen Haufen frisch aufgeworfener Erde: Da liegt das namenlose Kind, das nicht getauft wurde und deshalb nicht auf den Friedhof darf.
Und Agneta stirbt nicht. Das überrascht alle. Vielleicht liegt es an ihrer Kraft, vielleicht an Claus' Sprüchen, vielleicht am Knabenkraut, obgleich das nicht sehr stark ist, Zaunrübe oder Eisenhut wären besser gewesen, aber leider hat er seine letzten Vorräte vor kurzem für Maria Stelling hergegeben, deren Kind tot geboren worden ist; man munkelt, sie habe nachgeholfen, weil sie nicht von ihrem Mann, sondern von Anselm Melker schwanger gewesen sei, aber das interessiert Claus nicht. Agneta also ist nicht gestorben, und erst als sie sich aufsetzt und sich müde umsieht und zunächst leise, dann lauter und schließlich schreiend einen Namen ruft, wird allen klar, dass sie über der Aufregung den Jungen vergessen haben und den Wagen mit dem Esel. Und das teure Mehl.
Aber die Sonne geht bald unter. Es ist zu spät, um sich noch auf den Weg zu machen. Und so beginnt eine weitere Nacht.
Früh am Morgen bricht Claus mit den Knechten Sepp und Heiner auf. Sie gehen schweigend. Claus ist in Gedanken versunken, Heiner sagt sowieso nie etwas, und Sepp pfeift leise vor sich hin. Da sie Männer sind und zu dritt, müssen sie keinen Umweg nehmen, sondern können geradewegs die
Lichtung mit der alten Weide überqueren. Schwarz und riesig steht der böse Baum da, und seine Äste vollführen Bewegungen, wie Äste sie sonst nicht machen. Die Männer bemühen sich, nicht hinzusehen. Als sie wieder im Wald sind, atmen sie auf.
Immer wieder kehren Claus' Gedanken zu dem gestorbenen Kind zurück. Obwohl es ein Mädchen war, tut der Verlust weh. Es ist doch ein guter Brauch, sagt er sich, die eigenen Kinder nicht zu früh zu lieben. So oft hat Agneta schon geboren, aber nur eines hat überlebt, und auch das ist dünn und schwächlich, und man weiß nicht, ob es die zwei Nächte im Wald überstanden hat.
Die Liebe zu den Kindern - besser, man kämpft gegen sie an. Man kommt ja auch nicht einem Hund zu nahe; sogar wenn er freundlich aussieht, kann er zuschnappen. Stets muss man einen Abstand lassen zwischen sich und seinem Kind, sie sterben einfach zu schnell. Aber mit jedem Jahr, das vergeht, gewöhnt man sich mehr an so ein Wesen. Man fasst Zutrauen, man erlaubt sich, es gernzuhaben. Und plötzlich ist es weg.
Kurz vor Mittag entdecken sie Fußspuren des kleinen Volks. Aus Vorsicht bleiben sie stehen, aber nach einer genauen Untersuchung erkennt Claus, dass sie nach Süden führen, weg von hier. Außerdem sind die kleinen Leute im Frühjahr noch nicht sehr gefährlich, erst im Herbst werden sie rastlos und gemein.
Sie finden die Stelle am späten Nachmittag. Fast wären sie vorbeigegangen, weil sie ein wenig vom Pfad abgekommen
sind, das Unterholz ist dicht, man weiß kaum, wohin man geht. Aber dann hat Sepp den süßlich scharfen Geruch bemerkt. Sie schieben Zweige zur Seite, brechen Äste, halten sich die Hände vor die Nasen. Bei jedem Schritt wird der Geruch stärker. Und da ist der Wagen, umschwärmt von einer Fliegenwolke. Die Säcke sind aufgerissen, der Boden ist weiß von Mehl. Hinter dem Wagen liegt etwas. Es sieht aus wie ein Haufen alter Felle. Sie brauchen einen Moment, um zu erkennen, dass es die Überreste des Esels sind. Nur der Kopf fehlt.