Schließlich zog er das Messer und stach sich in die Brust. Es war erstaunlich, die Klinge verschwand in seinem Fleisch, ein rotes Tuch rollte ihm aus dem Kragen wie ein Blutstrom, und er verröchelte neben ihr, zuckte noch, lag still. War tot. Zuckte doch noch einmal, setzte sich auf, sank wieder zurück. Zuckte wieder, lag wieder still, und nun für immer. Wir warteten.
Tatsächlich. Für immer.
Sekunden später wachte die Frau auf und erblickte den toten Leib neben sich. Erst war sie fassungslos, dann schüttelte sie ihn, dann begriff sie und war wieder fassungslos, und dann weinte sie, als würde nichts auf Erden jemals gut. Dann nahm sie sein Messer und tötete sich ebenfalls, und wieder bewunderten wir die schlaue Vorrichtung und wie tief die Klinge in ihrer Brust verschwand. Nun war nur mehr die Alte übrig und sprach noch ein paar Verse, die wir des Dialekts wegen kaum verstanden. Dann war das Stück zu Ende, und viele von uns weinten noch, als die Toten längst aufgestanden waren und sich verbeugten.
Das war aber nicht alles. Die Kühe mussten noch warten, denn nach der Tragödie kam das Lustspiel. Die Alte schlug eine Trommel, und Tyll Ulenspiegel pfiff auf einer Flöte und tanzte mit der Frau, die nun gar nicht mehr besonders schön aussah, nach rechts und nach links und vor und wieder zurück. Die beiden warfen die Arme hoch, und ihre Bewegungen stimmten in einem Maße überein, als wären sie nicht zwei Menschen, sondern Spiegelbilder voneinander. Wir konnten leidlich tanzen, wir feierten oft, aber keiner von uns konnte tanzen wie sie; wenn man ihnen zusah, war es einem, als hätte ein Menschenkörper keine Schwere und als wäre das Leben nicht traurig und hart. So hielt es auch uns nicht auf den Füßen, und wir begannen zu wippen, zu springen, zu hüpfen und uns zu drehen.
Doch plötzlich war der Tanz vorbei. Keuchend blickten wir
auf zum Wagen, auf dem Tyll Ulenspiegel jetzt allein stand, die beiden Frauen waren nicht zu sehen. Er sang eine Spottballade über den armen dummen Winterkönig, den Pfälzer Kurfürsten, der gemeint hatte, er könne den Kaiser besiegen und von den Protestanten Prags Krone annehmen, doch sein Königtum war noch vor dem Schnee getaut. Auch vom Kaiser sang er, dem immer kalt war vom Beten, dem Männlein, das in der Hofburg zu Wien vor den Schweden zitterte, und dann sang er vom Schwedenkönig, dem Löwen aus der Mitternacht, stark wie ein Bär, aber was hatte es ihm genützt gegen die Kugel in Lützen, die ihm das Leben nahm wie einem kleinen Söldner, und aus war dein Licht, und fort das Königsseelchen, fort der Löwe! Tyll Ulenspiegel lachte, und wir lachten auch, weil man ihm nicht widerstehen konnte und weil es guttat, daran zu denken, dass die Großen starben und wir noch lebten, und dann sang er vom König in Spanien mit der vollen Unterlippe, der die Welt zu beherrschen glaubte, obgleich er pleite war wie ein Huhn.
Vor Lachen merkten wir erst nach einer Weile, dass die Musik sich verändert hatte, dass plötzlich kein Spott mehr darin klang. Eine Ballade vom Krieg sang er jetzt, vom gemeinsamen Reiten und dem Klirren der Waffen und der Freundschaft der Männer und der Bewährung in Gefahr und dem Jubel der pfeifenden Kugeln. Vom Söldnerleben sang er und von der Schönheit des Sterbens, er sang von der jauchzenden Freude eines jeden, der auf dem Pferd dem Feind entgegenritt, und wir alle spürten unsere Herzen schneller schlagen. Die Männer unter uns lächelten, die Frauen wiegten
die Köpfe, die Väter hoben ihre Kinder auf die Schultern, die Mütter blickten stolz auf ihre Söhne hinab.
Nur die alte Luise zischte und ruckte mit dem Kopf und murmelte so laut, dass die, die neben ihr standen, ihr sagten, sie solle doch heimgehen. Worauf sie aber nur lauter wurde und rief, ob denn keiner verstehe, was er hier mache. Er beschwöre es, er rufe es her!
Aber als wir zischten und abwinkten und ihr drohten, trollte sie sich gottlob, und schon spielte er wieder die Flöte, und die Frau stand neben ihm und sah nun majestätisch aus wie eine Person von Stand. Sie sang mit klarer Stimme von der Liebe, die stärker war als der Tod. Von der Liebe der Eltern sang sie und von der Liebe Gottes und der Liebe zwischen Mann und Frau, und da änderte sich wieder etwas, der Taktschlag wurde schneller, die Töne wurden spitzer und schärfer, und auf einmal handelte das Lied von der Liebe der Körper, den warmen Leibern, dem Sich-Wälzen im Gras, dem Duft deiner Nacktheit und deinem großen Hintern. Die Männer unter uns lachten, und dann stimmten die Frauen ins Gelächter ein, und am lautesten lachten die Kinder. Auch die kleine Martha lachte. Sie hatte sich nach vorne geschoben, und sie verstand das Lied ganz gut, denn sie hatte Mutter und Vater oft im Bett gehört und die Knechte im Stroh und ihre Schwester mit dem Tischlersohn voriges Jahr - nachts hatten die beiden sich davongemacht, aber Martha war ihnen nachgeschlichen und hatte alles gesehen.
Auf dem Gesicht des berühmten Mannes zeigte sich ein
lüstern breites Grinsen. Eine starke Kraft hatte sich zwischen ihm und der Frau aufgespannt, es drängte ihn hin- und sie herüber, so heftig zog es ihre Leiber aufeinander zu, und es war kaum auszuhalten, dass sie einander nicht endlich anfassten. Doch die Musik, die er spielte, schien es zu verhindern, denn wie aus Versehen war sie eine andere geworden, und der Moment war vorbei, die Töne erlaubten es nicht mehr. Es war das Agnus Dei. Die Frau faltete fromm die Hände, qui tollis peccata mundi, er wich zurück, und die beiden schienen selbst erschrocken über die Wildheit, die sie beinah erfasst hätte, so wie auch wir erschrocken waren und uns bekreuzigten, weil wir uns erinnerten, dass Gott alles sah und wenig billigte. Die beiden sanken in die Knie, wir taten es ihnen nach. Er setzte die Flöte ab, stand auf, breitete die Arme aus und bat um Bezahlung und Essen. Denn jetzt gebe es eine Pause. Und das Beste komme, falls man ihm gutes Geld zustecke, danach.
Benommen griffen wir in die Taschen. Die beiden Frauen gingen mit Bechern umher. Wir gaben so viel, dass die Münzen klirrten und sprangen. Alle gaben wir: Karl Schönknecht gab, und Malte Schopf gab, und seine lispelnde Schwester gab, und die Müllersfamilie, die sonst so geizig war, gab ebenfalls, und der zahnlose Heinrich Matter und Matthias Wohlsegen gaben besonders viel, obwohl sie Handwerker waren und sich für etwas Besseres hielten.
Martha ging langsam um den Planwagen herum.
Da saß, mit dem Rücken ans Wagenrad gelehnt, Tyll
Ulenspiegel und trank aus einem großen Humpen. Neben ihm stand der Esel.
«Komm her», sagte er.
Mit klopfendem Herzen trat sie näher.
Er streckte ihr den Humpen hin. «Trink», sagte er.
Sie nahm den Krug. Das Bier schmeckte bitter und schwer.
«Die Leute hier. Sind das gute Leute?»
Sie nickte.
«Friedliche Leute, helfen einander, verstehen einander, mögen einander, solche Leute sind das?»
Sie nahm noch einen Schluck. «Ja.»
«Na dann», sagte er.
«Wir werden sehen», sagte der Esel.