Выбрать главу

«Na warte. Du hilfst mit, du kommst zu den Soldaten! Kannst dir deine Einheit aussuchen. Nur passt auf, dass er nicht abhaut!»

Dann hat er gelacht, der Stadtkommandant, als wäre es ein guter Scherz gewesen, und so ein schlechter war es auch gar

nicht, das muss man zugeben, denn darum geht es ja bei einer Belagerung, dass keiner abhauen kann; könnte man von einer Belagerung abhauen, wäre es keine.

«Was machen wir jetzt?», hört Tyll den Matthias fragen.

«Die Hacke finden», antwortet der Korff. «Die muss hier liegen. Ich sag dir gleich, ohne Hacke brauchen wir's gar nicht zu versuchen. Haben wir die nicht, ist's vorbei.»

«Der Kurt hat sie gehabt», sagt Tyll. «Sie muss unterm Kurt liegen.»

Er hört die beiden im Dunkeln scharren und schieben und tasten und fluchen. Er bleibt sitzen, er möchte ihnen nicht im Weg sein, und vor allem will er nicht, dass sie sich daran erinnern, dass nicht der Kurt die Spitzhacke gehalten hat, sondern er. Ganz sicher ist er sich nicht, weil einem immer wirrer zumute wird hier, an die fernen Ereignisse erinnert man sich noch klar, aber je näher etwas an dem Knall von vorhin dran war, desto mehr versuppt und zerläuft es im Kopf. Mit einiger Sicherheit hat er die Hacke gehabt, aber weil sie schwer gewesen und ihm immer zwischen die Beine geraten ist, steht sie jetzt irgendwo im Schacht. Davon sagt er allerdings kein Wort, es ist besser, wenn die beiden meinen, dass die Hacke beim Eisenkurt ist, denn der hat es schließlich hinter sich, egal, wie wütend sie werden, dem ist es egal.

«Hilfst du mit, Gerippe?», fragt der Matthias.

«Sicher helf ich», sagt Tyll, ohne sich zu rühren. «Ich suche und suche! Wie verrückt suche ich, wie ein Maulwurf, hörst du's nicht?»

Und weil er gut lügen kann, genügt ihnen das. Dass er sich nicht rühren mag, liegt an der Luft. Todesstickig ist sie, nichts fließt herein, nichts hinaus, da wird man schnell ohnmächtig und erwacht nicht mehr. In so einer Luft bewegt man sich lieber nicht und atmet nur so viel wie unbedingt nötig.

Zu den Mineuren hätte er sich besser nicht gemeldet. Das war ein Irrtum. Die Mineure sind tief unten, hat er gedacht, und die Kugeln fliegen oben. Die Mineure schützt die Erde, hat er gedacht. Der Feind hat Mineure, um unsere Mauern zu sprengen, und wir haben Mineure, um die Schächte zu sprengen, die der Feind unter unseren Mauern gräbt. Mineure graben, hat er gedacht, während droben gehauen und gestochen wird. Und wenn ein Mineur aufmerksam ist, hat er gedacht, und den Moment nützt, dann kann er auch einfach weitergraben und gräbt einen Tunnel nur für sich und gelangt irgendwo draußen ins Freie, jenseits der Befestigungen, so hat er gedacht, und macht sich davon, eh du dich's versiehst. Und weil Tyll das gedacht hat, hat er dem Offizier, der ihn am Kragen gehalten hat, gesagt, dass er zu den Mineuren will.

Und der Offizier: «Was?»

«Der Kommandant hat gesagt, ich kann es mir aussuchen!»

Und der Offizier: «Ja, aber. Wirklich? Zu den Mineuren?»

«Ihr habt es gehört.»

Ja, das ist dumm gewesen. Mineure sterben fast immer, aber das haben sie ihm erst unter der Erde erzählt. Von fünf Mineuren sterben vier. Von zehn sterben acht. Von zwanzig sterben sechzehn, von fünfzig siebenundvierzig, von hundert

sterben alle.

Immerhin gut, dass der Origenes davongekommen ist. Wegen ihres Streits ist das gewesen, letzten Monat erst, auf dem Weg nach Brünn.

«Im Wald sind die Wölfe», hat der Esel gesagt, «die haben Hunger, lass mich hier nicht stehen.»

«Keine Angst, die Wölfe sind weit weg.»

«Ich kann sie riechen, so nah sind sie. Du kletterst auf einen Baum, aber ich steh hier unten, und was tu ich, wenn sie kommen?»

«Du tust, was ich sage!»

«Aber wenn du was Blödes sagst?»

«Dann auch. Weil ich der Mensch bin. Ich hätte dir nie das Reden beibringen sollen.»

«Dir hätt man's auch nicht beibringen sollen, du sagst kaum was, das Sinn hat, und du jonglierst nicht mehr sicher. Demnächst rutscht dir noch der Fuß vom Seil. Du hast mir gar nichts zu befehlen!»

Und da ist Tyll eben wütend auf den Baum, und der Esel ist wütend unten geblieben. Tyll hat so oft auf Bäumen geschlafen, dass ihm das nicht mehr schwerfällt - man braucht einen dicken Ast und ein Seil, um sich festzubinden, und ein gutes Gefühl für Gleichgewicht, und wie bei allem anderen im Leben braucht man Übung.

Die halbe Nacht hat er den Esel schimpfen gehört. Bis der Mond aufgegangen ist, hat er gebrummt und gemurrt, und er hat Tyll ja leidgetan, aber es ist spät gewesen, und in der Nacht kann man nicht weiterziehen, was hätte man tun sollen. So ist Tyll eben eingeschlafen, und als er wieder aufgewacht ist, ist der Esel nicht mehr da gewesen. Die Wölfe sind nicht schuld, das hätte er schon gemerkt, wenn die gekommen wären; offenbar hat der Esel beschlossen, dass er es auch allein zu etwas bringen kann und keinen Bauchredner braucht.

Und mit dem Jonglieren hat Origenes recht gehabt. Hier in Brünn, vor dem Dom, hat Tyll danebengegriffen, und ein Ball ist auf den Boden gefallen. Er hat so getan, als wäre es Absicht gewesen, hat ein Gesicht gezogen, dass alle gelacht haben, aber so etwas ist kein Spaß, es kann wieder passieren, und wenn es nächstes Mal wirklich der Fuß auf dem Seil ist, was dann?

Das Gute ist, dass er sich darum wohl keine Sorgen mehr machen muss. Es sieht nicht danach aus, als würden sie hier rauskommen.

«Es sieht nicht danach aus, als würden wir hier rauskommen», sagt der Matthias.

Dabei ist das wohl Tyll gewesen, das waren seine Gedanken, die sich in der Dunkelheit in den Kopf vom Matthias verirrt haben, aber vielleicht war es auch umgekehrt, wer weiß das schon. Auch sieht man jetzt kleine Lichter, wie Glühwürmchen schwirrend, die aber nicht wirklich da sind, das weiß Tyll, denn obwohl er die Lichter sieht, sieht er auch, dass es nach wie vor ganz dunkel ist.

Der Matthias stöhnt, und dann hört Tyll ein Klatschen, als ob jemand mit der Faust an die Wand geschlagen hätte. Dann

stößt der Matthias einen tollen Fluch aus, den Tyll noch nicht kennt. Muss ich mir merken, denkt er, aber dann hat er ihn trotzdem gleich vergessen und fragt sich, ob er ihn sich nur ausgedacht hat, aber was eigentlich, was hat er sich ausgedacht? Auf einmal weiß er es nicht mehr.

«Wir kommen hier nicht mehr raus», sagt der Matthias wieder.

«Halt dein blödes Maul», sagt der Korff, «wir finden die Hacke, wir graben uns frei, Gott wird helfen.»

«Warum sollte er?», fragt der Matthias.

«Dem Leutnant hat er auch nicht geholfen», sagt Tyll.

«Ich hau euch die Schädel ein», sagt der Korff, «dann kommt ihr sicher nicht raus.»

«Warum bist du überhaupt bei den Mineuren?», fragt der Matthias. «Du bist doch der Ulenspiegel!»

«Sie haben mich gezwungen. Glaubst du, ich meld mich freiwillig? Und warum bist du hier?»

«Ich wurde auch gezwungen. Brot gestohlen, in Ketten gelegt, so schnell ist das gegangen. Aber du? Wie ist das passiert? Du bist doch berühmt! Warum zwingen sie einen wie dich?»

«Hier unten ist keiner berühmt», sagt der Korff.

«Wer hat denn dich gezwungen?», fragt Tyll den Korff.

«Mich zwingt keiner zu was. Wer den Korff zwingen will, den bringt der Korff um. Ich war bei den Trommlern beim Christian von Halberstadt, dann bin ich als Musketier zu den Franzosen, dann zu den Schweden, aber als die keinen Sold bezahlt haben,

bin ich als Artillerist wieder zu den Franzosen. Dann ist meine Batterie getroffen worden, so was hast du nicht gesehen, Volltreffer mit der Glühkugel, alles Pulver geht hoch, Feuer wie der Weltuntergang, aber der Korff hat sich schnell genug in die Büsche geworfen und überlebt. Dann bin ich zu den Kaiserlichen rüber, aber die haben keine Kanoniere gebraucht, und Pikenier wollt ich nicht mehr sein, also bin ich nach Brünn, und weil ich kein Geld mehr hatte und niemand so guten Sold bekommt wie die Mineure, hab ich eben gegraben. Bin schon drei Wochen dabei. Die meisten überleben nicht so lang. Grad war ich noch bei den Schweden, jetzt töte ich die Schweden, und ihr zwei Drecksäcke habt Glück, dass ihr mit dem Korff verschüttet seid, weil der Korff kratzt nicht so schnell ab.» Er will noch mehr sagen, aber jetzt wird ihm die Luft knapp, und er hustet, und dann ist er eine Weile still. «Du, Gerippe», sagt er schließlich, «hast Geld?»