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«Nichts hab ich», sagt Tyll.

«Aber wo du doch berühmt bist. Kann einer berühmt sein und kein Geld haben?»

«Wenn er dumm ist, kann er.»

«Und du bist dumm?»

«Bruder, wenn ich klug wär, wär ich hier?»

Der Korff muss lachen. Und weil Tyll weiß, dass keiner es sehen kann, tastet er sein Wams ab. Die Goldstücke im Kragen, das Silber in der Knopfleiste, die zwei Perlen, fest eingenäht unten im Aufschlag, alles noch da. «Ehrlich. Ich würd's dir geben, wenn ich was hätte.»

«Bist auch nur eine arme Sau», sagt der Korff.

«In Ewigkeit, amen.»

Alle drei müssen sie lachen.

Tyll und der Korff hören wieder mit dem Lachen auf. Der Matthias lacht weiter.

Sie warten, aber er lacht noch immer.

«Der hört nicht auf», sagt der Korff.

«Wird halt verrückt», sagt Tyll.

Sie warten. Der Matthias lacht weiter.

«Ich war vor Magdeburg dabei», sagt der Korff. «Ich war bei den Belagerern, das war, bevor ich bei den Schweden gewesen bin, da war ich noch bei den Kaiserlichen. Als die Stadt gefallen ist, haben wir alles genommen, alles verbrannt, alle getötet. Macht, was ihr wollt, hat der General gesagt. Man schafft das nicht gleich, weißt du, muss sich erst dran gewöhnen, dass man das wirklich darf. Dass das geht. Mit Menschen machen, was man will.»

Plötzlich ist Tyll, als wären sie wieder draußen, als säßen sie zu dritt auf einer Wiese, der Himmel blau über ihnen, die Sonne so hell, dass man die Augen zukneifen muss. Aber während er blinzelt, weiß er doch auch, dass das nicht stimmt, und dann weiß er nicht mehr, was es eigentlich ist, von dem er gerade noch gewusst hat, dass es nicht stimmt, und da muss er husten, der schlechten Luft wegen, und die Wiese ist fort.

«Ich glaube, der Kurt hat was gesagt», sagt der Matthias.

«Nichts hat er gesagt», sagt der Korff.

Da hat er recht, denkt Tyll, der auch nichts gehört hat. Das bildet der Matthias sich ein, der Kurt hat nichts gesagt.

«Ich hab es auch gehört», sagt Tyll. «Der Kurt hat was gesagt.»

Sofort hört man den Matthias am toten Eisenkurt rütteln. «Lebst noch», ruft er, «bist noch da?»

Tyll erinnert sich an gestern, oder war es vorgestern? Der Angriff, bei dem der Leutnant getötet worden ist. Plötzlich das Loch in der Wand des Schachts, plötzlich Messer und Schreien und Knallen und Krachen, ganz tief in den Dreck hat er sich gedrückt, einer ist ihm auf den Rücken getreten, und als er wieder den Kopf gehoben hat, ist es schon vorbei gewesen: Ein Schwede hat dem Leutnant das Messer ins Auge gestochen, der Korff hat dem Schweden den Hals durchgeschnitten, der Matthias hat dem zweiten Schweden mit der Pistole in den Bauch geschossen, dass der geschrien hat wie ein Schwein nach dem Abstechen, denn nichts tut weh wie ein Bauchschuss, und der dritte Schwede hat einem der ihren, dessen Name Tyll nie erfahren hat, denn er ist ja neu gewesen, und jetzt ist es egal, jetzt braucht er den Namen nicht mehr zu kennen, mit dem Säbel den Kopf abgeschlagen, sodass es aus ihm gespritzt ist wie quellend rotes Wasser, aber der Schwede hat sich nicht lang freuen können, denn der Korff, dessen Pistole noch geladen gewesen ist, hat nun ihm in den Kopf geschossen, klipp-klapp, zipp-zapp, länger hat das nicht gedauert.

Solche Sachen dauern nie lang. Selbst damals im Wald ist es schnell gegangen, Tyll kann nicht anders, er muss daran denken, der Dunkelheit wegen. In der Dunkelheit kommt alles durcheinander, und das, was man vergessen hat, ist plötzlich wieder da. Damals im Wald ist er dem Gevatter am nächsten gewesen, da hat er seine Hand gespürt, deshalb weiß er so gut, wie sie sich anfühlt, darum erkennt er sie jetzt. Er hat nie davon gesprochen, hat auch nicht mehr daran gedacht. Denn das kann man tun: einfach nicht an etwas denken. Dann ist es wie nicht geschehen.

Aber jetzt, im Dunkeln, da steigt alles auf. Das Augenschließen hilft so wenig, wie die Augen weit zu öffnen, und um es abzuwehren, sagt er: «Wollen wir singen? Vielleicht hört uns wer!»

«Ich sing nicht», sagt der Korff.

Dann beginnt der Korff zu singen: Ist ein Schnitter, der heißt Tod. Der Matthias singt mit, dann stimmt auch Tyll mit ein, und sogleich verstummen die zwei anderen und hören ihm zu. Tylls Stimme ist hoch, klar und kraftvoll. Hat Gewalt vom höchsten Gott. Heut wetzt er das Messer, es schneidt schon viel besser, bald wird er drein schneiden, wir müssen's nur leiden.

«Singt mit!», sagt Tyll.

Und sie tun es, aber der Matthias hört gleich wieder auf und lacht vor sich hin. Hüte dich, schöns Blümelein. Was heut noch grün und frisch da steht, wird morgen schon hinweggemäht. Nun kann man hören, dass auch der Kurt mitsingt. Er schafft es nicht sehr laut und ist heiser und trifft die Töne schlecht, aber da darf man nicht streng sein; wenn einer tot ist, kann ihm schon auch das Singen schwerfallen. Die edlen Narzissen, die Zierden der Wiesen, die schön' Hyazinthen, die türkischen

Binden. Hüte dich, schöns Blümelein.

«Donnerwetter», sagt der Korff.

«Ich hab dir gesagt, dass er berühmt ist», sagt der Matthias. «Es ist eine Ehre. Ein angesehener Mann krepiert mit uns.»

«Berühmt bin ich schon», sagt Tyll, «aber angesehen war ich mein Lebtag nicht. Glaubt ihr, das hat einer gehört, das Singen, glaubt ihr, es kommt wer?»

Sie horchen. Die Explosionen haben wieder angefangen. Ein Grollen, ein Zittern im Boden, Stille. Ein Grollen, ein Zittern, Stille.

«Der Torstensson sprengt uns die halbe Stadtmauer weg», sagt der Matthias.

«Schafft er nicht», sagt der Korff. «Unsere Mineure sind besser als seine. Die finden die schwedischen Schächte, die räuchern sie aus. Du hast den langen Karl noch nicht wütend gesehen.»

«Der lange Karl ist immer wütend, aber auch immer besoffen», sagt der Matthias. «Den erwürg ich mit einer Hand auf dem Rücken.»

«Dir hat's das Hirn versumpft!»

«Soll ich's dir zeigen? Du denkst, dass du ein großer Herr bist wegen Magdeburg und was weiß ich, wo du warst!»

Der Korff ist kurz still, dann sagt er leise: «Du, ich hau dich tot.»

«Ja?»

«Ich mach's.»

Dann schweigen sie eine Zeitlang, und man hört die Schläge

der Sprengsätze von oben, auch hört man Steine rieseln. Der Matthias sagt nichts, weil er verstanden hat, dass der Korff es ernst meint; und der Korff sagt nichts, weil ihn auf einmal die Sehnsucht übermannt, das weiß Tyll genau, denn der Dunkelheit wegen bleiben die Gedanken nicht bei einem allein, da bekommt man die der anderen mit, ob man will oder nicht. Der Korff spürt die Sehnsucht nach Luft und Licht und der Freiheit, sich zu bewegen, wohin man mag. Und dann, weil ihn das an was anderes erinnert, sagt er: «Die dicke Hanne!»

«O ja», sagt der Matthias.

«Die fetten Schenkel», sagt der Korff. «Der Hintern.»

«Mein Gott», sagt der Matthias. «Hintern. Arsch. Der Arsch hinten.»

«Du hast sie auch gehabt?»

«Nein», sagt der Matthias. «Ich kenn sie nicht.»

«Und ihre Brust», sagt der Korff. «Bei Tübingen hab ich noch eine gekannt mit so einer Brust. Die hättest sehen sollen. Die hat einem alles gemacht, was man will, als gäb's keinen Gott.»

«Hast viele Frauen gehabt, Ulenspiegel?», fragt der Matthias. «Du hast mal Geld gehabt, da hast du dir doch was gegönnt, erzähl.»

Gerade will Tyll antworten, aber auf einmal ist nicht mehr der Matthias neben ihm, sondern der Jesuit auf seinem Schemel, den er so deutlich sieht wie damals: Du musst die Wahrheit sagen, du musst uns erzählen, wie der Müller den Teufel gerufen hat, du musst sagen, dass du Angst hattest. Warum musst du's sagen? Weil es wahr ist. Weil wir das

wissen. Und wenn du lügst, schau, da steht Meister Tilman, schau, was er in der Hand hat, er wird es benützen, also sprich. Deine Mutter hat auch gesprochen. Sie wollte erst nicht, sie musste es spüren, aber dann hat sie es gespürt und hat gesprochen, so ist es immer, alle sprechen, wenn sie es spüren. Wir wissen schon, was du sagen wirst, weil wir wissen, was wahr ist, aber wir müssen es von dir hören. Und dann sagt er noch, flüsternd, vorgebeugt, freundlich fast: Dein Vater ist verloren. Ihn wirst du nicht retten. Aber dich kannst du retten. Er würde das wollen.