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«Aber ich sterb nicht», sagt Tyll.

«So ist es gut», sagt der Korff, «so ist es richtig, Gerippe!»

Tyll tritt auf etwas Weiches, das ist wohl der Kurt, dann stößt er gegen eine Wand aus grobem Geröll, hier ist der Schacht eingestürzt. Er will mit den Händen graben, denn jetzt ist es gleichgültig, jetzt muss man keine Luft mehr sparen, aber sofort muss er husten, und das Gestein will sich nicht bewegen, der Korff hat recht gehabt, ohne Hacke geht es nicht.

Keine Angst, du merkst es kaum, sagt der Pirmin. Dein Verstand ist schon halb blöd, gleich lässt dich noch der Rest im

Stich, dann wirst du ohnmächtig, und wenn du aufwachst, bist du tot.

Ich werd an dich denken, sagt Origenes. Ich bring es noch zu was, als Nächstes lern ich schreiben, und wenn du magst, schreib ich ein Buch über dich, für Kinder und alte Leute. Was hältst du davon?

Und willst du gar nicht wissen, wie's mir ergangen ist?, fragt Agneta. Du und ich und ich und du, wie lang ist's her? Du weißt ja nicht mal, ob ich noch lebe, Söhnchen.

«Ich will's gar nicht wissen», sagt Tyll.

Du hast ihn verraten wie ich. Du brauchst mir nicht böse zu sein. Hast ihn einen Teufelsknecht genannt wie ich. Einen Hexer, wie ich. Was ich gesagt habe, hast du auch gesagt.

Da hat sie wieder recht, sagt Claus.

«Vielleicht, wenn wir doch die Hacke finden», sagt der Matthias stöhnend. «Vielleicht mit der Hacke können wir's locker machen.»

Lebendig oder tot, du legst dem Unterschied zu viel Gewicht bei, sagt Claus. Es gibt so viele Kammern dazwischen. So viele staubige Winkel, in denen du das eine nicht mehr bist und das andre noch nicht. So viele Träume, aus denen du nicht mehr aufwachen kannst. Einen Kessel Blut habe ich gesehen, kochend über heißen Flammen, und die Schatten tanzen drum herum, und wenn der große Schwarze auf einen davon zeigt, aber er tut es nur alle tausend Jahre, dann ist des Brüllens kein Ende, dann tunkt der den Kopf ins Blut und säuft, und weißt du, das war noch lange nicht die Hölle, das war noch nicht mal der Eingang zu ihr. Ich habe Orte gesehen, wo die Seelen brennen wie Fackeln, nur heißer und heller und in Ewigkeit, und sie hören nicht auf zu schreien, weil auch ihr Schmerz nicht aufhört, und das ist sie immer noch nicht. Du denkst, dass du es ahnst, mein Sohn, aber du ahnst nichts. Im Schacht eingesperrt sein ist fast wie der Tod, denkst du, der Krieg ist fast die Hölle, aber die Wahrheit ist, dass alles, alles besser ist, hier unten ist es besser, draußen im Blutgraben ist es besser, auf dem Folterstuhl ist es besser. Also lass nicht los, bleib am Leben.

Tyll muss lachen.

«Warum lachst du?», fragt der Korff.

«Dann verrat mir halt einen Spruch», sagt Tyll. «Du bist kein guter Zauberer gewesen, aber vielleicht hast du dazugelernt.»

Mit wem redest du, fragt der Pirmin. Hier ist kein Geist außer mir.

Wieder eine Explosion, dann kracht und donnert es, der Matthias heult auf, ein Teil der Decke muss eingestürzt sein.

Bete, sagt der Eisenkurt. Mich hat's zuerst erwischt, jetzt ist der Matthias dran.

Tyll hockt sich hin. Er hört den Korff rufen, aber der Matthias antwortet nicht mehr. Ihm krabbelt etwas über die Wange, den Hals, die Schulter, es fühlt sich an wie eine Spinne, aber es gibt hier keine Tiere, also muss es Blut sein. Er tastet und findet eine Wunde an seiner Stirn, sie beginnt oben bei den Haaren und geht bis zur Nasenwurzel. Ganz weich fühlt es sich an, und das Rinnsal Blut wird immer größer. Aber er spürt

nichts.

«Gott, vergib mir», sagt der Korff. «Herr Jesus Christ, vergib. Heiliger Geist. Ich hab einen Kameraden umgebracht wegen der Stiefel. Meine haben Löcher gehabt, er hat fest geschlafen, das war im Lager bei München, was hätt ich tun sollen, ich brauch doch Stiefel! Also hab ich zugegriffen. Ich hab ihn erwürgt, er hat die Augen noch aufgemacht, aber er hat nicht mehr schreien können. Ich hab halt Stiefel gebraucht. Und er hat ein Medaillon gehabt, das die Kugeln abwehrt, das hab ich auch gebraucht, wegen dem Medaillon bin ich nie getroffen worden. Gegen das Erwürgen hat's ihm nicht geholfen.»

«Seh ich wie ein Pfaffe aus?», fragt Tyll. «Deiner Großmutter kannst du beichten, mich lass in Ruh.»

«Lieber Herr Jesu», sagt der Korff. «In Braunschweig hab ich eine Frau vom Pfahl befreit, eine Hexe, früher Morgen war es, zu Mittag sollte sie brennen. Sie war ganz jung. Ich bin vorbeigekommen, keiner hat's gesehen, weil es noch dunkel war, ich hab die Fesseln durchgeschnitten, hab gesagt: Schnell, lauf mit mir! Sie hat es gemacht, sie war so dankbar, und dann hab ich sie genommen, sooft ich wollte, und ich wollte oft, und dann hab ich ihr die Kehle durchgeschnitten und sie vergraben.»

«Ich vergebe dir. Heut noch bist du mit mir im Paradies.»

Wieder eine Explosion.

«Warum lachst du?», fragt der Korff.

«Weil du nicht ins Paradies kommst, nicht heute und auch später nicht. Einen Galgenvogel wie dich fasst nicht mal der

Satan an. Und außerdem lache ich, weil ich nicht sterbe.»

«Doch», sagt der Korff. «Ich hab's nicht glauben wollen, aber wir kommen nicht mehr raus. Mit dem Korff ist's vorbei.»

Wieder ein Knall, wieder bebt alles. Tyll hält seine Hände über den Kopf, als könnte das etwas nützen.

«Vorbei ist es vielleicht mit dem Korff. Aber nicht mit mir. Ich sterbe heut nicht.»

Er macht einen Sprung, als stünde er auf dem Seil. Sein Bein schmerzt, aber er steht fest auf den Füßen. Ein Stein fällt ihm auf die Schulter, mehr Blut läuft über seine Wange. Wieder kracht es, wieder fallen Steine. «Und ich sterbe auch nicht morgen und an keinem andren Tag. Ich will nicht! Ich mach's nicht, hörst du?»

Der Korff antwortet nicht, aber vielleicht kann er noch hören.

Also ruft Tylclass="underline" «Ich mach's nicht, ich geh jetzt, mir gefällt es hier nicht mehr.»

Ein Knall, ein Zittern, noch ein Stein fällt und streift seine Schulter.

«Ich geh jetzt. So hab ich's immer gehalten. Wenn es eng wird, gehe ich. Ich sterbe hier nicht. Ich sterbe nicht heute. Ich sterbe nicht!»

Westfalen

Sie ging noch aufrecht wie früher. Ihr Rücken schmerzte fast immer, aber sie ließ es sich nicht anmerken und hielt den Stock, auf den sie sich stützen musste, wie ein modisches Accessoire. Den Gemälden von einst sah sie noch ähnlich, ja es war genug von ihrer Schönheit übrig, um Menschen, die sich ihr unerwartet gegenüberfanden, in Verwirrung zu versetzen - so wie jetzt, als sie die Pelzkapuze zurückschlug und sich mit festem Blick im Vorzimmer umsah. Auf das verabredete Zeichen hin verkündete die Zofe hinter ihr, dass Ihre Majestät, die Königin von Böhmen, mit dem kaiserlichen Botschafter zu sprechen wünsche.

Sie sah, wie die Lakaien einander Blicke zuwarfen. Offenbar hatten die Spione diesmal versagt, keiner war auf ihr Kommen vorbereitet. Unter falschem Namen hatte sie ihr Haus bei Den Haag verlassen; der Passierschein, ausgestellt von den Generalständen der vereinigten holländischen Provinzen, wies sie als Madame de Cournouailles aus. In Begleitung nur des Kutschers und ihrer Zofe war sie über Bentheim, Oldenzaal und Ibbenbüren nach Osten gefahren, über brachliegende Felder und durch verbrannte Dörfer, gerodete Wälder, die immer gleichen Landschaften des Krieges. Es gab keine

Herbergen, also hatten sie in der Kutsche übernachtet, ausgestreckt auf der Sitzbank, was gefährlich war, doch weder Wölfe noch Marodeure hatten sich für die kleine Kutsche einer alten Königin interessiert. Und so hatten sie unbehelligt die Straße von Münster nach Osnabrück erreicht.

Sogleich war alles anders gewesen. Die Wiesen wuchsen hoch, die Häuser hatten intakte Dächer. Ein Bach drehte das Rad einer Mühle. Am Straßenrand gab es Wachthäuschen, vor denen wohlgenährte Männer mit Hellebarden standen. Das neutrale Gebiet. Hier herrschte kein Krieg.

Vor den Mauern von Osnabrück war ein Wächter ans Kutschenfenster getreten und hatte nach ihrem Begehr gefragt. Wortlos hatte Fräulein von Quadt, die Zofe, den Passierschein hinübergereicht, und ohne großes Interesse hatte er darauf gesehen und sie weitergewinkt. Bereits der erste Bürger am Straßenrand, er war sauber gekleidet und sein Bart wohlgestutzt, hatte ihnen den Weg zum Quartier des kaiserlichen Botschafters gewiesen. Dort hatte der Kutscher sie und die Zofe aus dem Verschlag gehoben, über den kotigen Boden getragen und mit unversehrter Kleidung vor dem Portal abgesetzt. Zwei Hellebardenträger hatten ihnen die Türen geöffnet. Mit einer Sicherheit, als hätte sie hier Hausrecht - nach dem in ganz Europa geltenden Zeremoniell war auch ein besuchender König überall der Hausherr -, war sie ins Vorzimmer getreten, und die Zofe hatte nach dem Botschafter verlangt.