Lehne, das hätte ihr auf keinen Fall passieren dürfen. Als Königin hatte sie selbst in Gegenwart des Kaisers Anrecht, auf einem Stuhl mit Rücken- und Armlehnen zu sitzen, schon ein Fauteuil wäre eine Erniedrigung, aber ein Schemel war unmöglich. Und mit Bedacht hatte er überall im Besuchszimmer Schemel aufgestellt, doch nirgendwo außer hinter seinem Tisch gab es einen Lehnstuhl.
Was sollte sie machen? Sie lächelte auch und beschloss, so zu tun, als spielte es keine Rolle. Aber er war nun im Vorteiclass="underline" Er brauchte nur die Leute aus dem Vorzimmer hereinzurufen, und die Kunde davon, dass sie vor ihm auf einem Schemel gesessen hatte, würde wie ein Lauffeuer durch Europa gehen. Selbst daheim in England würde man lachen.
«Das hängt davon ab», sagte er, «was Eure Hoheit zu vermuten geruhen, aber da es Eurer Hoheit bescheidenem Diener nicht zusteht anzunehmen, Hoheit könnten anderes annehmen als das Richtige, stehe ich wiederum nicht an, Eurer Hoheit Frage mit Ja zu beantworten. Ich bin es, Johann von Lamberg, des Kaisers Botschafter, zu Eurer Hoheit Diensten. Eine Erfrischung? Wein?»
Das war eine weitere geschickte Verletzung ihrer Königswürde, denn man bot einem Monarchen nichts an - er hatte Hausrecht, es lag bei ihm zu verlangen, was er haben wollte. Solche Dinge waren nicht unwichtig. Drei Jahre hatten die Botschafter nur darüber verhandelt, wer sich vor wem zu verneigen hatte und wer vor wem zuerst den Hut abnehmen musste. Wer bei der Etikette einen Fehler machte, konnte nicht
gewinnen. Also ignorierte sie sein Angebot, was ihr nicht leichtfiel, weil sie großen Durst hatte. Sie saß reglos auf ihrem Schemel und betrachtete ihn. Das konnte sie gut. Ruhig dasitzen hatte sie gelernt, darin hatte sie Übung, wenigstens darin übertraf sie niemand.
Lamberg wiederum stand noch immer vorgebeugt, eine Hand auf dem Tisch, die andere auf dem Rücken. Das tat er offensichtlich, um sich nicht entscheiden zu müssen, ob er sich hinsetzen oder stehen bleiben sollte: Vor einer Königin hätte er nicht sitzen dürfen, gegenüber einer Prinzessin aber wäre es für einen kaiserlichen Botschafter ein Verstoß gegen die Etikette gewesen, zu stehen, wenn sie saß. Da er als Botschafter des Kaisers Liz' Königstitel nicht anerkannte, wäre es schlüssig gewesen, sich zu setzen - aber zugleich auch eine drastische Beleidigung, die er auf diese Art, aus Höflichkeit und weil er noch nicht wusste, welche Waffen und Angebote sie in der Hand hatte, vermied.
«Halten zu Gnaden, eine Frage.»
Auf einmal war ihr seine Art zu reden genauso unangenehm wie seine österreichische Intonation.
«Wie Eure Hoheit allerbestens wissen, findet hier ein Gesandtenkongress statt. Seit Beginn der Verhandlungen hat kein fürstliches Haupt Münster und Osnabrück betreten. Sosehr Eurer Hoheit ergebener Diener sich auch freut, den gnädigen Besuch Eurer Hoheit in seiner armen Bleibe begrüßen zu dürfen, so sehr fürchtet er doch ...» Er seufzte, als bereitete es ihm tiefen Kummer, das auszusprechen, «... dass es sich nicht schickt.»
«Er meint, wir hätten ebenfalls einen Botschafter entsenden sollen.»
Er lächelte wieder. Sie wusste, was er dachte, und sie wusste, dass er wusste, dass sie es wusste: Du bist niemand, du lebst in einem kleinen Haus, deine Schulden wachsen dir über den Kopf, du entsendest keine Botschafter zu Kongressen.
«Ich bin gar nicht hier», sagte Liz. «So können wir doch miteinander sprechen, oder? Er kann es sich als Selbstgespräch vorstellen. Er redet in Gedanken, und in seinen Gedanken antworte ich Ihm.»
Sie spürte etwas, womit sie nicht gerechnet hatte. So lange hatte sie Vorbereitungen getroffen, nachgedacht, Furcht gehabt vor dieser Begegnung, und jetzt, da es so weit war, geschah etwas Merkwürdiges: Es machte Spaß! All die Jahre im kleinen Haus, fernab von namhaften Leuten und wichtigen Ereignissen - mit einem Mal saß sie wieder wie auf einer Bühne, umgeben von Gold und Silber und Teppichen, und sprach mit einem schlauen Menschen, vor dem jedes Wort zählte.
«Wir wissen alle, dass die Pfalz ein ewiger Streitpunkt ist», sagte sie. «Wie auch die pfälzische Kurwürde, die mein verstorbener Mann innegehabt hat.»
Er lachte leise auf.
Das brachte sie aus dem Konzept. Aber darauf legte er es ja an, und genau deshalb durfte sie sich nicht beirren lassen.
«Die Kurfürsten des Reichs», sagte sie, «werden nicht
akzeptieren, dass die bayerischen Wittelsbacher die Kurwürde behalten, die der Kaiser meinem Mann unrechtmäßigerweise aberkannt hat. Wenn Cäsar einen von uns enteignen kann, so werden sie sagen, dann kann er es mit allen tun. Und wenn wir -»
«Halten zu Gnaden, sie haben es längst akzeptiert. Eurer Hoheit Gemahl stand, wie auch Eure Hoheit selbst, unter der Reichsacht, was mich übrigens an jedem anderen Ort verpflichten würde, Eure Hoheit festnehmen zu lassen.»
«Deshalb haben wir Ihn auch hier und nicht an jedem anderen Ort aufgesucht.» «Halten zu Gnaden -»
«Halte ich, aber vorher hört Er mir zu. Der Herzog von Bayern, der sich Kurfürst nennt, trägt wider alles Recht den Titel meines Mannes. Es steht dem Kaiser nicht zu, eine Kurwürde abzuerkennen. Die Kurfürsten wählen den Kaiser, der Kaiser wählt nicht die Kurfürsten. Aber wir verstehen die Lage. Der Kaiser schuldet den Bayern Geld, die Bayern haben wiederum die katholischen Stände fest in der Hand. Deshalb machen wir ein Angebot. Wir sind die gekrönte Königin Böhmens, und die Krone -» «Halten zu Gnaden, für einen einzigen Winter vor dreißig -» «... wird auf meinen Sohn übergehen.» «Böhmens Krone ist nicht erblich. Wäre sie es, hätten die böhmischen Stände nicht dem Pfalzgrafen Friedrich, Eurer Hoheit Gemahl, den Thron anbieten können. Dass er die Krone angenommen hat, bedeutet, dass er wusste, dass Eurer Hoheit
Sohn keinen Anspruch geltend machen kann.»
«So kann man es sehen, aber muss man das? England wird es vielleicht nicht so sehen. Wenn er Ansprüche geltend macht, wird England diese unterstützen.»
«In England herrscht Bürgerkrieg.»
«Richtig, und falls mein Bruder vom Parlament abgesetzt wird, bietet man die englische Krone meinem Sohn an.»
«Das ist zum mindesten unwahrscheinlich.»
Draußen schmetterten Posaunen: ein blecherner Ruf, der anstieg, eine Weile in der Luft hing und verklang. Liz hob fragend die Augenbrauen.
«Longueville, der französische Kollege», sagte Lamberg. «Er lässt Vivat blasen, wenn er sich zum Essen setzt. Jeden Tag. Er ist mit sechshundert Mann Gefolge hier. Allein vier Porträtmaler malen ihn ständig. Drei Holzschnitzer fertigen Büsten von ihm. Was er mit denen anfängt, bleibt ein Staatsgeheimnis.»
«Hat Er ihn danach gefragt?»
«Wir sind nicht autorisiert, miteinander zu reden.»
«Ist das nicht hinderlich beim Verhandeln?»
«Wir sind nicht als Freunde hier, und auch nicht, um Freunde zu werden. Der Botschafter des Vatikans vermittelt zwischen uns, so wie der Botschafter von Venedig zwischen mir und den Protestanten vermittelt, denn der Botschafter des Vatikans ist wiederum nicht autorisiert, mit Protestanten zu reden. Ich muss jetzt meinen Abschied nehmen, Madame, die Ehre dieses Gesprächs ist so groß wie unverdient, aber dringende
Aufgaben erheben Anspruch auf meine Zeit.»
«Eine achte Kurwürde.»
Er sah auf. Sein Blick begegnete nur für einen Moment dem ihren. Dann sah er wieder auf den Tisch.
«Der Bayer soll seine Kurwürde behalten», sagte Liz. «Wir verzichten formell auf Böhmen. Und wenn -»
«Halten zu Gnaden, Hoheit können nicht verzichten auf etwas, das Hoheit nicht gehört.»
«Die schwedische Armee steht vor Prag. Die Stadt ist bald wieder in den Händen der Protestanten.»
«Schweden wird Euch die Stadt, falls Schweden sie einnimmt, gewiss nicht geben.»
«Der Krieg ist bald vorbei. Dann gibt es eine Amnestie. Dann wird auch der Bruch ... der angebliche Bruch des Reichsfriedens durch meinen Mann verziehen.»