Der Kutscher fasste sie um die Hüfte und trug sie zum Gefährt.
Am nächsten Vormittag suchte Liz den schwedischen Botschafter auf. Diesmal hatte sie ihren Besuch angekündigt, Schweden war eine befreundete Macht und Überrumpelung nicht notwendig. Der Mann würde sich freuen, ihr zu begegnen.
Die Nacht war furchtbar gewesen. Nach langem Suchen hatten sie ein Zimmer in einer besonders verdreckten Herberge gefunden: kein Fenster, Reisig auf dem Boden, statt eines Bettes ein schmaler Strohsack, den sie sich mit der Zofe teilen musste. Als sie nach Stunden endlich in unruhigen Schlaf gefallen war, hatte sie von Friedrich geträumt. Sie waren wieder in Heidelberg gewesen, wie damals, bevor Leute mit unaussprechlichen Namen ihnen Böhmens Krone aufgedrängt hatten. Nebeneinander waren sie durch einen der steinernen Gänge des Schlosses gegangen, und sie hatte bis ins Innerste ihrer Seele gespürt, wie es war, wenn man zusammengehörte. Als sie aufgewacht war, hatte sie dem Schnarchen des draußen vor der Tür schlafenden Kutschers gelauscht und darüber nachgedacht, dass sie jetzt schon fast so lange ohne ihn lebte, wie sie einst mit ihm verheiratet gewesen war.
Als sie ins Vorzimmer des Gesandten trat, musste sie ein Gähnen unterdrücken; sie hatte viel zu wenig geschlafen. Auch hier lagen Teppiche, aber die Wände waren protestantisch kahl, nur an der Längsseite hing ein mit Perlen besetztes
Kreuz. Das Zimmer war voller Menschen: Einige studierten Akten, andere gingen unruhig auf und ab, sie warteten offenbar schon seit geraumer Zeit. Wie kam es eigentlich, dass Lambergs Vorzimmer leer gewesen war? Hatte er noch ein anderes, vielleicht sogar mehrere?
Alle Augen wandten sich ihr zu. Es wurde still. Wie am Vortag ging sie festen Schrittes auf die Tür zu, während die Quadt hinter ihr mit lauter, wenn auch etwas zu schriller Stimme ausrief, die Königin von Böhmen sei hier. Plötzlich stieg die nervöse Furcht in ihr auf, dass es diesmal nicht gutgehen würde.
Und wirklich, der Lakai griff nicht nach dem Türknauf.
Mit einem unschönen Halbschritt kam sie zum Stehen, so abrupt, dass sie sich mit der Hand an der Tür abstützen musste. Sie hörte, wie die Zofe hinter ihr beinahe stolperte. Ihr wurde heiß. Sie hörte Murmeln, sie hörte Tuscheln, und ja, Kichern hörte sie auch.
Langsam wich sie zwei Schritte zurück. Zum Glück hatte die Zofe die Geistesgegenwart, ebenfalls zurückzuweichen. Liz krampfte die linke Hand um den Gehstock und sah den Lakaien mit ihrem liebenswürdigsten Lächeln an.
Der Kerl glotzte blöd. Natürlich, ihm hatte keiner gesagt, dass es eine Königin von Böhmen gab, er war jung, er wusste von nichts, und er wollte nicht riskieren, einen Fehler zu machen. Wer konnte es ihm verdenken?
Aber sie konnte sich auch nicht einfach hinsetzen. Eine Königin hockte nicht im Vorzimmer, bis man Zeit für sie hatte.
Es gab schon gute Gründe dafür, dass gekrönte Häupter nicht zu einem Gesandtenkongress reisten. Aber was hätte sie anderes tun sollen? Ihr Sohn, für dessen Kurwürde sie kämpfte, war viel zu herrisch und unbedarft, er hätte mit Sicherheit alles verdorben. Und Diplomaten hatte sie nicht.
Sie stand so unbeweglich wie der Lakai. Das Murmeln schwoll an. Sie hörte lautes Lachen. Nicht rot werden, dachte sie, nur das nicht. Nur nicht rot werden!
Sie dankte Gott von ganzem Herzen, als jemand die Tür von der anderen Seite öffnete. Ein Kopf schob sich durch den Spalt. Ein Auge stand höher als das andere, die Nase war seltsam schräg daruntergesetzt, die Lippen waren voll, schienen sich aber nicht recht zusammenzufügen. An seinem Kinn hing ein strähniger Spitzbart.
«Eure Majestät», sagte das Gesicht.
Liz trat ein, und der ungerade Mann schloss schnell wieder die Tür, als wollte er vermeiden, dass andere nachdrängten.
«Alvise Contarini, zu Euren Diensten», sagte er auf Französisch. «Botschafter der Republik Venedig. Ich bin der Vermittler hier. Kommt weiter.»
Er führte sie durch einen schmalen Korridor. Auch hier waren die Wände kahl, aber der Teppich war auserlesen und - Liz erkannte es, schließlich hatte sie zwei Schlösser eingerichtet - unbezahlbar.
«Ein Wort vorab», sagte Contarini. «Die größte Schwierigkeit ist nach wie vor die, dass Frankreich fordert, die kaiserliche Linie des Hauses Österreich solle die spanische Linie nicht
mehr unterstützen. Schweden wäre das egal, aber wegen der hohen Subsidienzahlungen, die Schweden aus Frankreich bekommen hat, müssen sich die Schweden die Forderung zu eigen machen. Der Kaiser ist immer noch kategorisch dagegen. Solange das nicht gelöst ist, bekommen wir keine Unterschrift von einer der drei Kronen.»
Liz neigte den Kopf und lächelte unergründlich, wie sie es ihr Leben lang getan hatte, wenn sie etwas nicht verstand. Wahrscheinlich, dachte sie, wollte er ja überhaupt nichts Bestimmtes von ihr und war nur einfach ans Reden gewöhnt. Solche Leute gab es an jedem Hof.
Sie erreichten das Ende des Korridors, Contarini öffnete die Tür und ließ ihr mit einer Verbeugung den Vortritt. «Eure Majestät, die schwedischen Botschafter. Graf Oxenstierna und Doktor Adler Salvius.»
Sie sah sich irritiert um. Da saßen sie, der eine in der rechten, der andere in der linken Ecke des Empfangszimmers, in gleich großen Lehnstühlen, wie platziert von einem Maler. In der Mitte des Raumes stand ein weiterer Stuhl mit Armlehnen. Als Liz auf ihn zutrat, erhoben sich die beiden Männer und verbeugten sich tief. Liz setzte sich, die Männer blieben stehen. Oxenstierna war ein schwerer Mann mit vollen Wangen, Salvius war schmal und hoch gewachsen und wirkte vor allem sehr müde.
«Eure Majestät waren bei Lamberg?», fragte Salvius auf Französisch.
«Das wisst Ihr?»
«Osnabrück ist klein», sagte Oxenstierna. «Eure Majestät wissen, dass dies ein Gesandtenkongress ist? Keine Fürsten, keine Herrscher und -»
«Ich weiß das», sagte sie. «Ich bin auch eigentlich nicht hier. Und der Grund, dessentwegen ich nicht hier bin, ist die Kurwürde, die meiner Familie zusteht. Wenn ich richtig informiert bin, unterstützt Schweden unseren Anspruch auf eine Restitution des Titels.» Es tat gut, Französisch zu sprechen; die Worte kamen schneller, die Wendungen fügten sich, es kam ihr vor, als ob die Sprache selbst die Sätze bildete. Am liebsten hätte sie ja Englisch gesprochen, die reiche, weiche und singende Sprache ihrer Heimat, die Sprache des Theaters und der Gedichte, aber fast niemand hier verstand sie. Es gab auch keinen englischen Botschafter in Osnabrück, schließlich hatte Papa sie und Friedrich geopfert, um sein Land aus dem Krieg herauszuhalten.
Sie wartete. Keiner sprach.
«Das ist doch richtig?», fragte sie schließlich. «Dass Schweden unseren Anspruch unterstützt, das stimmt doch?»
«Im Prinzip», sagte Salvius.
«Wenn Schweden auf einer Restitution unseres Königstitels besteht, wird mein Sohn anbieten, auf ebendiese Restitution von seiner Seite aus zu verzichten, sofern der kaiserliche Hof uns in einem Geheimabkommen dafür die Schaffung einer achten Kurwürde zusichert.»
«Der Kaiser kann keine neue Kurwürde schaffen», sagte Oxenstierna. «Er hat kein Recht dazu.»
«Wenn die Stände es ihm geben, hat er es», sagte Liz.
«Aber das dürfen sie nicht», sagte Oxenstierna. «Außerdem wollen wir viel mehr, nämlich die Rückgabe von allem, was unserer Seite im Jahr dreiundzwanzig fortgenommen wurde.»
«Eine neue Kurwürde wäre im katholischen Interesse, weil Bayern die Kurwürde behielte. Und sie wäre im protestantischen Interesse, weil unsere Seite einen protestantischen Kurfürsten dazubekäme.»
«Vielleicht», sagte Salvius.
«Nie», sagte Oxenstierna.
«Die Herren haben beide recht», sagte Contarini.
Liz sah ihn fragend an.