CHARITY
von Wolfgang Hohlbein im Bechtermünz Verlagsprogramm:
Charity 01 - Die beste Frau der Space Force
Charity 02 - Dunkel ist die Zukunft
Charity 03 - Die Königin der Rebellen
Charity 04 - In den Ruinen von Paris
Charity 05 - Die schlafende Armee
Charity 06 - Hölle aus Feuer und Eis
Charity 07 - Die schwarze Festung
Charity 08 - Der Spinnenkrieg
Charity 09 - Das Sterneninferno
Charity 10 - Die dunkle Seite des Mondes
Charity 11 - Überfall auf Skytown
Charity 12 - Der dritte Mond
Charity - die beste Frau der Space-Force ist zurück: Für alle Freunde der spannenden SF-Serie (bisher 10 Bände) gibt es nun endlich eine Fortsetzung.
Auf einem Übungsflug mit einem erbeuteten Moroni-Jäger entdeckt Charity in der Trümmerwüste der irdischen Städte plötzlich Menschen, die sich unter der Erde eine neue Heimat geschaffen haben. Sie leben jedoch unter der ständigen Bedrohung riesiger Raubinsekten, die durch ein Mutagen der Moroni entstanden sind. Charity kann eine Gruppe dieser Menschen retten, doch der Schluß liegt nahe, daß es noch ungezählte weitere Überlebende in dieser schrecklichen Welt unter der Erdoberfläche gibt. Die Moroni sind seit Jahren besiegt und vertrieben, doch der Schock sitzt noch so tief, daß die Menschheit neu aufrüstet...
... gerade rechtzeitig, denn Skytown, eine Stadt, fünfhundert Kilometer im Orbit über der Erde, wird von einer unbekannten Macht angegriffen, die mit schier unglaublicher Rücksichtslosigkeit vorgeht. Nur vor Charity scheinen sie eine unerklärliche Angst zu haben ...
CHARITY
Überfall auf Skytown
Roman
BASTEI LÜBBE TASCHENBUCH
Band 23 207
Erste Auflage: Dezember 1998
© Copyright 1998 by
Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co. Bergisch Gladbach
Lektorat: Wolfgang Neuhaus / Stefan Bauer
Titelbild: Luis Royo / Norma Agency, Barcelona
Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg
Printed in France
ISBN 3-404-23207-0
1.
Der Moroni-Jet jagte im Tiefflug über die Ruinenstadt hinweg. Rechts und links des flachen, scheibenförmigen Fluggeräts schossen Feuersäulen aus dem Boden. Grelle Explosionsblitze zermalmten Trümmer zu noch kleineren, staubfeinen Bruchstücken.
Unsichtbare Laserstrahlen ließen Gestein zerkochen und den Boden für Sekunden zu gelbflüssiger Lava werden, superschnelle Vibrationen zerkrümelten Stahlbeton in Bruchteilen von Augenblicken zu feinkörnigem Mehl. Hinter der Maschine brannte der Boden, und wäre der Luftdruck des nahezu dreifach überschallschnellen Jets nicht wie eine unsichtbare Riesenfaust über die Ruinenlandschaft gefahren, hätte man seinen Kurs anhand der mit mathematischer Präzision plazierten Einschüsse über Meilen hinweg zurückverfolgen können. Charity war mehr als unzufrieden.
Das Kontrollpult vor ihr flackerte in rot und gelb wie ein außer Kontrolle geratener, elektronischer Weihnachtsbaum, und das gleichmäßige Summen der Motoren wurde immer mehr vom Piepen, Heulen, Wimmern und Kreischen der unterschiedlichsten Alarmsirenen überlagert, die jede auf ihre Weise versuchten, ihr klar zu machen, daß sie das tapfere kleine Fahrzeug hoffnungslos überforderte. Der Jet war für Hochgeschwindigkeitsflüge unter extremen Bedingungen konstruiert und gebaut; aber nicht für solche Geschwindigkeiten und solche Extrembedingungen.
Ein weiteres, flackerndes rotes Licht gesellte sich zu den anderen auf dem Kontrollpult vor ihr, und eine nervtötend sanfte, elektronische Stimme erklärte ihr in perfektem Neu-Englisch, daß die Automatik in zehn Sekunden eine Notfallabschaltung einleiten würde.
»Das glaubst du aber auch nur, Schätzchen«, murrte Charity.
Mit einer raschen, wenngleich fast unbewußten Bewegung der linken Hand tippte sie den Override-Code in die Tastatur des Bordcomputers, während sie mit der anderen rasch hintereinander ein gutes Dutzend Schalter und Tasten betätigte. Zwei oder drei weitere Alarmsirenen gesellten sich zu dem plärrenden Chor, doch mit einem plötzlichen, gewaltigen Ruck wurde die Maschine noch schneller. Die Geschwindigkeitsanzeige näherte sich Mach vier, und ein Blick auf den rückwärtigen Bildschirm zeigte Charity, daß der Einsatz der Bordwaffen wahrscheinlich gar nicht mehr nötig gewesen wäre: Der Jet verursachte eine Druck- und Hitzewelle, die eine gut hundert Meter breite Schneise vollkommener Zerstörung hinterließ.
Charitys Unzufriedenheit steigerte sich zu einem Gefühl, das verdächtig nahe an Wut grenzte. Ihre destruktiven Gefühle galten allerdings nicht der Maschine. Völlig ungeachtet dessen, was ihr der Bordcomputer und die durcheinanderkeifenden Alarmsirenen mitzuteilen versuchten - sie flog diese Maschinen jetzt seit guten acht Jahren und wußte vermutlich besser als ihre Konstrukteure, was sie zu leisten vermochten.
Das Problem war nicht der Jet. Das Problem war sie.
Die kleine, aber unvorstellbar effektive Kampfmaschine war nicht nur von, sondern vor allem für Wesen konstruiert worden, die vier Arme besaßen, über einen zweihundert-Grad-Sichtbereich verfügten und deren durchschnittliche Reaktionszeit kaum ein Viertel der eines Menschen betrug. Hartmanns Ingenieure hatten ihr Möglichstes getan, um die Maschine den Bedürfnissen eines menschlichen Piloten gemäß umzubauen, doch schon der Begriff ›Ihr Mögliches‹ beinhaltete das Eingeständnis, daß das Ergebnis nicht perfekt war - vorsichtig ausgedrückt.
Charity schob den Beschleunigungshebel noch ein Stück nach vorne, riß ihn aber dann mit einem brutalen Ruck zurück und biß die Zähne zusammen, als der Jet sich mit einem protestierenden Kreischen aufrichtete, im gleichen Augenblick zehn oder zwölf Meter in die Höhe schoß - und dann zitternd zur Ruhe kam.
Charitys Magen zitterte noch ein ganze Weile, und für einen kurzen Moment wurde ihr übel. Trotzdem stellte zumindest dieser Teil des Testfluges sie zufrieden. Sie hatte den Jet von annähernd fünftausend Stundenkilometern auf Null abgebremst und dabei weniger als eine Meile zurückgelegt. In einem von Menschen gebauten Fahrzeug wäre sie jetzt tot; von den Sicherheitsgurten in Stücke geschnitten und anschließend an der Kabinenwand zerschmettert. Die Trägheitsdämpfer des Jet hatten sie vor diesem Schicksal bewahrt. Aber das war auch schon alles.
Charity drehte die Flugscheibe um einhundertachtzig Grad, ließ die Panzerplatten vor den Sichtluken nach oben gleiten und betrachtete mißmutig die rauchende und glühende Schneise der Vernichtung, die den Kurs des Jet markierte. Der Tornado, den Charity mit ihrem Höllenflug entfesselt hatte, verschwand so schnell, wie er entstanden war, doch die in verschiedenen Rottönen glühenden Trümmer, die ihren Kurs zu beiden Seiten flankierten, würde noch eine geraume Weile zu sehen sein. Charity brauchte nicht auf ihre Instrumente zu schauen - sie wußte auch so, daß die Einschläge in mathematisch präzisen Abständen erfolgt waren. Die Waffen des Jet hatten sechzig Jahre alte Ruinen ein zweites Mal und zugleich stärker zerstört.
Das Problem war nur, daß es Ruinen waren. Sollte der Tag, den sie befürchteten, tatsächlich einmal kommen, würden sie nicht von verrotteten Betonmauern und rostigen Stahlträgern angegriffen werden...
Das Kontrollpult vor Charity hatte sich mittlerweile wieder beruhigt. Der ohrenbetäubende, mißtönende Chor aus Alarmsirenen war verstummt, und sie sah nur noch ein einziges, flackerndes Licht.