»Was für eine Überraschung«, antwortete Seybert sarkastisch. »Nur ändert das leider nichts an den Tatsachen. Wir können uns Ihr Lieblingsspielzeug nicht leisten, General. Ich appelliere an Ihre Vernunft. Wollen Sie wirklich dieses Schiff bauen, während hier unten Menschen verhungern?«
Hartmann wollte auffahren, doch Skudder kam ihm zuvor. »Meine Herrschaften! Es nutzt niemandem etwas, wenn wir unseren Emotionen nachgeben und uns anschreien.« Er sah demonstrativ auf die Uhr. »Es ist spät geworden. Warum machen wir nicht für heute Schluß und reden morgen weiter. Captain Laird und General Hartmann werden die Unterlagen, die Sie zusammengestellt haben, bis dahin prüfen.«
Charity war fassungslos. Skudder hatte eben den mächtigsten Männern und Frauen dieses Kontinents praktisch den Mund verboten - etwas, das zwar durchaus seinem Charakter entsprach, aber ein eklatanter Verstoß gegen das Protokoll war. Unter normalen Umständen hätte sie ihre helle Freude daran gehabt. Jetzt war sie einfach nur erstaunt.
Um so mehr, als weder Seybert noch Drasko oder einer der anderen widersprachen. Sie verschwendete allerdings nicht viele Gedanken auf diesen Umstand.
Und Charity nahm auch die Mappe nicht mit, als sie mit einem Ruck aufstand und aus dem Raum stürmte.
4
Die Halle war so groß wie ein Flugzeughangar, aber sehr viel niedriger, so daß Charity trotz seiner enormen Ausmaße manchmal einen Anflug von Klaustrophobie empfand, wenn sie ihn betrat - was in letzter Zeit viel zu selten der Fall war. Der Hangar war irgendwann während der fünfzigjährigen Besatzungszeit von den Moroni angelegt worden und befand sich nahezu hundert Meter unter der Erde, und weder Charity noch Hartmanns emsige Forscher hatten jemals herausgefunden, welchem Zweck er ursprünglich einmal gedient hatte. Es spielte auch keine Rolle.
Heute diente er einem Zweck, an dem Seybert, Drasko und all diese anderen Papierfresser dort oben ihre helle Freude gehabt hätten: Auf dem spiegelblank geputzten Betonfußboden reihten sich in präzise ausgerichteten Dreiergruppen nahezu hundert stumpfnasige Viper-Jäger, die tot wirkten, in Wahrheit aber vollgetankt und mit scharfen Waffen bestückt waren. Der leblose Eindruck täuschte. Charity wußte, daß die Maschinen im Notfall binnen weniger Minuten startbereit sein konnten. Jedes einzelne der zwölf Meter langen, deltaförmigen Schiffe verfügte über zwei Hochenergie-Laser, Abschußvorrichtungen für zwei Dutzend Raketen und eine Miniatur-Railgun, die sich unter dem gesamten Rumpf entlangzog und den Vipern ein bißchen das Aussehen jener dreieckigen Spielzeugflugzeuge verlieh, die Charity aus ihrer Kindheit kannte und die man mit einem Gummiband abschoß, um sie dann prinzipiell auf der Garage des Nachbarhauses oder in den obersten Zweigen eines Baumes wiederzufinden.
Darüber hinaus gab es noch eine Reihe weiterer, sekundärer Waffen und Störsysteme, welche die Vipern zusammen mit dem überdimensionierten Staustrahl-Triebwerk zur wohl schnellsten und gefährlichsten Kampfmaschine machten, die auf diesem Planeten jemals gebaut worden war.
Und die Vipern hatten noch einen, im Moment sogar ganz besonders großen Vorteiclass="underline" Weder Seybert noch irgendein anderes Mitglied des Rates wußten etwas von ihrer Existenz.
Charity ging langsam, beinahe ziellos, zwischen den mathematisch präzise aufgereihten Raumjägern hindurch. Sie war allein. Ihre Schritte verursachten hallende, sonderbar helle Echos auf dem Betonfußboden, und sie hatte das Gefühl, daß in den zurückgeworfenen Geräuschen noch mehr war; ein lautloses, vertrautes Wispern und Locken, das Geräusch der Kraft, die in diesen stählernen Dreiecken gebändigt war und nur darauf wartete, endlich entfesselt zu werden. Sie nahm den vertrauten Geruch von Maschinenöl in sich auf, von heißem Schmiermittel und Kunststoff, von Metall und Kerosin... das war etwas, was sie bei den Moroni-Jets vermißte. Die scheibenförmigen Raumjäger waren absolut steril, zweckmäßige Maschinen ohne überflüssigen Schnickschnack, und ohne Charakter.
Und so ganz nebenbei war vermutlich ein einziges davon in der Lage, diese ganze Jäger-Schwadron vom Himmel zu fegen.
Drasko hatte recht, dachte Charity mißmutig. Sie bastelten an einer Technologie, die der, die sie bereits besaßen, um mindestens fünfhundert Jahre hinterherhinkte.
Sie spürte, daß sie nicht mehr allein war, aber sie drehte sich nicht herum, sondern lauschte nur auf das Geräusch der Schritte und erkannte an ihrem Rhythmus, daß Hartmann sich näherte. Charity war froh, daß er es war, und nicht Skudder, denn Skudder hätte nur an ihre Vernunft appelliert und versucht, sie irgendwie zu beruhigen, und das konnte sie im Moment am wenigsten gebrauchen. Sie war nicht in der Stimmung, vernünftig zu sein, und sie wollte sich aufregen, verdammt noch mal.
»Ich wußte, daß ich dich hier finde«, sagte Hartmann leise und erst nach endlosen Sekunden. Charity konnte hören, wie er lächelte, als er weitersprach. »Sie sind wunderschön, nicht?«
Statt zu antworten, trat sie näher an eine der Vipern heran und strich behutsam mit den Fingern über die Spitze einer der Deltaflügel. Je nach dem Winkel des einfallenden Lichts schimmerte der graue Lack, als wären Milliarden mikroskopisch kleiner Diamantsplitter darin eingeschlossen; eine spezielle Beschichtung, die nahezu hundert Prozent des auftreffenden Lichts reflektierte. Zumindest gegen die Laserwaffen, mit denen sie es bisher zu tun gehabt hatten, boten sie einen wirksamen Schutz. Nicht hundertprozentig, aber es war das Beste, was sie hatten.
Wie alles, dachte Charity. Das Beste, das wir haben. Es klang gut, aber es konnte auch bedeuten, daß es eben nicht reichte.
»Wie kann etwas so Tödliches so schön sein?« fragte Charity leise.
»Ich finde sie nicht schön«, erwiderte Hartmann. »Es sind Waffen. Sie sind zu keinem anderen Zweck da, als zu zerstören und zu töten. Es ist die Faszination der Macht, die du spürst. Du glaubst nur, sie wären schön.«
Charity drehte sich herum und musterte ihn einen Moment lang verwirrt, ehe sie das verräterische Glitzern in seinen Augen bemerkte.
»Woher hast du diesen Satz?« fragte sie. »Aus dem Handbuch für Hobbypsychologen?«
»Aus dem gleichen Kitschroman, aus dem du die Frage hast, wieso sie so schön sind«, antwortete Hartmann todernst. »Außerdem wollte ich dich nur auf das vorbereiten, was du zu hören bekommst, wenn Seybert diese Schiffe sieht.«
»Wird das der Fall sein?«
Hartmann hob die Schultern. »Früher oder später«, murmelte er. »Ich fürchte, auf die Dauer werde ich es nicht vor dem Rat verheimlichen können. Die Dinger kosten Geld. Viel Geld.«
Charity seufzte. »Das letzte Mal, als ich Geldsorgen hatte, war meine Kreditkarte gesperrt«, sagte sie. »Ich hätte nicht gedacht, daß ich mich noch einmal mit so etwas herumschlagen muß.«
»Manche Dinge ändern sich nie«, sagte Hartmann.
Charity strich erneut mit den Fingerspitzen über das Metall der Viper. Sie wußte zwar, daß es unmöglich war, aber für einen Moment hatte sie trotzdem das Gefühl, daß die Maschine irgendwie auf die Berührung reagierte - wie ein großes, starkes Tier, das sich unter ihren Fingern regte.
»Haben sie recht?« fragte sie unvermittelt.
»Wer?«
»Seybert«, antwortete Charity. »Drasko, und die anderen. Haben sie recht? Sterben dort draußen Menschen, weil wir diese Dinger bauen?«
Hartmann schwieg eine ganze Weile. Dann sagte er: »Ja.«
Charity drehte sich zu ihm herum. Hartmann sah sehr ernst aus.
»Ja«, sagte er noch einmal. »Wir könnten jeden Credit, den wir für das Militär aufbieten, an hundert anderen Stellen dringender gebrauchen. Sie haben recht. Aber du hast auch recht, weißt du. Vielleicht.«