»Um sie zu vernichten«, vermutete Melissa.
Charity erschrak nicht nur über die Schlußfolgerung, die dieses vielleicht zehnjährige Kind aus Hartmanns Worten zog, sondern viel mehr noch über die Härte, die dabei in ihrer Stimme lag.
»Nein«, sagte sie. »So weit wird es bestimmt nicht kommen. Wenn man nur will, dann findet man fast immer einen Weg, um nicht kämpfen zu müssen.«
»Und diese Worte aus Ihrem Mund?«, sagte eine Stimme hinter Charity. »Sie sehen mich einigermaßen überrascht, Captain Laird.«
Charity schaute auf. Ohne daß sie etwas dagegen tun konnte, verdüsterte sich ihre Miene, als sie Gouverneur Seybert hinter sich stehen sah.
»Oh«, sagte sie. »Gouverneur, was für eine... Überraschung.«
»Ich hoffe doch, keine allzu unangenehme.« Seybert zog sich einen Stuhl heran, setzte sich und fragte erst dann: »Sie gestatten doch?«
»Selbstverständlich«, antwortete Charity kühl.
Seyberts Lächeln wurde noch herzlicher. »Ich verspreche auch, daß ich nicht frage, was diese Kinder hier zu suchen haben. Und wie sie hierher kommen.«
»Sie sind mit mir gekommen«, sagte Charity. »Und ehe sie fragen: Der Jet, mit dem wir geflogen sind, ist mein Privatbesitz. Ich habe keine Steuergelder verschwendet.« Seybert seufzte, antwortete aber nicht, sondern winkte einen Kellner herbei und bestellte eine Tasse Kaffee. Dann maß sie erst Charity mit einem langen und Hartmann mit einem sehr viel kürzeren Blick. Melissa und deren Mutter ignorierte sie vollkommen.
»Sie fragen ja gar nicht, wieso ich hier bin, Captain Laird«, sagte sie schließlich.
»Um mir den Abend zu verderben«, vermutete Charity, aber ihre Feindseligkeit prallte einfach an Seybert ab.
»Keineswegs. Ich bin gekommen, um mit Ihnen zu reden, Captain Laird«, erwiderte Seybert ruhig. »Ich war in General Hartmanns Haus, und dort sagte man mir, daß ich Sie hier finde.«
»Das haben Sie ja nun«, antwortete Charity spröde. »Dürfen wir dann jetzt unser Privatgespräch fortsetzen, Gouverneur? Freizeit ist für mich nämlich etwas sehr Kostbares. Für General Hartmann übrigens auch.«
»Genau wie für mich«, stimmte Seybert ihr zu. »Aber ich möchte trotzdem mit Ihnen reden.«
»Jetzt?«
»Wir werden unser Gespräch morgen in aller Frühe fortsetzen«, antwortete Seybert. »Und mir ist ehrlich daran gelegen, daß Sie meine Beweggründe verstehen, Captain Laird.«
»So?«
Seybert nickte. Obwohl Charity sich fast dagegen wehrte, hatte sie das Gefühl, daß Seybert es durchaus ernst meinte.
»Mir ist Ihre Feindseligkeit während der Ratssitzung nicht entgangen, Captain Laird«, sagte Seybert. »Und ich bedauere dies aufrichtig. Ich hoffe, ich kann Ihnen klar machen, daß ich aus fester Überzeugung heraus handele, nicht aus Feindschaft, oder aus irgendwelchen persönlichen Gründen.«
Charity antwortete nicht gleich. Sie sah Seybert an, aber sie spürte, wie Melissas Blicke auf ihr lasteten. Sie wandte sich an Net, doch die Wastelanderin schien ihre Gedanken erraten zu haben, denn sie stand rasch auf und sagte: »Was hältst du davon, wenn ich dir zur Krönung des Abend noch ein gigantisches Eis spendiere, Melissa? Und deiner Mutter natürlich auch.«
Charity wartete, bis sie allein waren. Dann sprach sie leiser als zuvor, aber in viel schärferem Tonfall. »Ich glaube Ihnen jedes Wort, Gouverneur. Ich weiß, daß es nichts Persönliches ist. Ich persönlich habe auch nichts gegen Sie.«
Das war eine glatte Lüge, und Charity war ziemlich sicher, daß Seybert dies auch wußte. Sie wartete zwei, drei Sekunden vergeblich auf eine Antwort, dann sagte sie betont: »Ich halte Sie nur für einen Dummkopf, Gouverneur Seybert.«
Hartmann verschluckte sich fast an seinem Kaffee, und Seyberts Gesicht erstarrte zur Reglosigkeit. »Wie?«
»Ich weiß nicht, wie lange Sie schon dagestanden und mir zugehört haben«, fuhr Charity fort. »Aber das, was ich dem Mädchen da gerade erzählt habe, war nichts als eine fromme Lüge. Ich wollte die Kleine nicht beunruhigen, aber die Wahrheit ist, daß es dort draußen von Ungeheuern nur so wimmelt! Sehen Sie nach draußen, Gouverneur! Schauen Sie aus dem Fenster!«
Seybert blickte Charity für einen Moment teils irritiert, teils zornig an; dann aber zuckte sie andeutungsweise mit den Schultern, drehte sich halb in ihrem Stuhl herum und tat, wie Charity geheißen.
Charity blickte in die gleiche Richtung wie Seybert, warf aber vorher einen raschen Blick in die Runde. Net, Sandra und Melissa standen bereits an der runden Bar im Zentrum des Aussichtsdecks, und der Kellner stellte gerade den größten Eisbecher vor Melissa, den Charity jemals gesehen hatte. Jack und Christoph, vom untrüglichen Instinkt für Süßes angezogen, der den meisten Kindern eigen war, verlangten den gleichen Becher. Charity hielt nach Skudder Ausschau und sah ihn in diesem Moment mit großen Schritten auf sie zueilen. Der Ausdruck auf seinem Gesicht verhieß nichts Gutes. Offensichtlich hatte er Seybert erkannt. Gut. Sie konnte jede Unterstützung gebrauchen.
»Was sehen Sie, Gouverneur?« fragte sie.
»Sterne«, antwortete Seybert verwirrt.
»Sehr viele Sterne«, bestätigte Charity. »Millionen. Millionen, mit vermutlich Millionen Planeten. Und ein großer Teil davon gehört den Moroni. Dort draußen lauern genau die Ungeheuer, vor denen Melissa Angst hat, Gouverneur. Und irgendwann werden sie wiederkommen.«
»Ein galaktisches Reich, das aus Millionen Welten besteht«, wiederholte Seybert nachdenklich. »Und Sie glauben, Sie könnten diesen gewaltigen, übermächtigen Gegner aufhalten? Mit einem einzigen Schiff?«
»Das letzte Mal hatten wir weniger«, erwiderte Charity. »Ich werde jedenfalls nicht die Hände in den Schoß legen und beten, daß nichts passiert. Nicht noch einmal!«
Seybert schüttelte den Kopf. Charitys Argumente hatten sie nicht beeindruckt; nicht im Geringsten. Ganz im Gegenteil. Charity hatte plötzlich das Gefühl, schon wieder in eine Falle getappt zu sein. Bevor Seybert jedoch etwas sagen konnte, war Skudder herangekommen und wandte sich übergangslos an Charity.
»Wir haben ein Problem.«
»Ich weiß«, antwortete Charity feindselig. »Aber es wird sich von selbst erledigen, wenn es seinen Kaffee ausgetrunken hat.«
»Das meine ich nicht«, sagte Skudder, ohne Seybert auch nur eines Blickes zu würdigen. »Der Captain hat mich gerade informiert, daß sie einen verstümmelten Notruf von der EXCALIBUR aufgefangen haben...«
Hartmann starrte ihn eine halbe Sekunde lang überrascht an, dann sprang er mit einem Ruck auf und verschwand mit Riesenschritten in Richtung des Aufzuges. Auch Charity stand auf, nicht so hastig wie Hartmann, aber immer noch schnell.
»Was für einen Notruf?«
»Sie werden angegriffen«, sagte Skudder. »Wir wissen nicht, von wem. Die Funkverbindung ist abgebrochen. Und nicht nur zur EXCALIBUR.«
»Was soll das heißen?« fragte Charity alarmiert.
»Der gesamte Funkverkehr ist zusammengebrochen«, antwortete Skudder ernst. »Nicht nur zur EXCALIBUR. Auch zur Erde.«
»Ein Störsignal?«
Skudder zuckte mit den Schultern, und Gouverneur Seybert ließ ein leises, humorloses Lachen hören. »Captain Laird! Ich bitte Sie!«
»Gouverneur, ich -«
Seybert unterbrach sie mit einer herrischen Geste. Ihr Lächeln war wie weggeblasen. »Das reicht jetzt«, sagte sie. »Bitte ersparen Sie mir dieses peinliche Theater. Glauben Sie wirklich, daß Sie mich mit einem so plumpen Trick beeindrucken können? Sie enttäuschen mich, Captain Laird.«
Es dauerte eine Sekunde, bis Charity überhaupt begriff, was Seybert meinte. Und dann noch einmal genau so lange, bis sie ihre Fassungslosigkeit überwand.
»Die... Sie glauben, wir hätten das alles inszeniert, um Ihnen einen Schrecken einzujagen?« ächzte sie.
»Selbstverständlich«, antwortete Seybert lächelnd.
»O ja, und wir wußten natürlich genau, daß Sie hier auftauchen würden«, sagte Charity wütend. »Und auch wann. Und selbstverständlich spielen auch der Commander von Skytown und die gesamte Besatzung mit!«