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»Und warum nicht? Sie sind nicht irgendwer, Miss Laird. Niemand hier wird Ihnen einen Wunsch abschlagen.«

Charity gab es auf. Sie hatte tatsächlich für einen oder zwei Augenblicke mit dem Gedanken gespielt, etwas Derartiges zu tun, dann aber selbst eingesehen, wie naiv eine solche Idee war. Der Notruf, von dem Skudder sprach, war echt.

Sie verschwendete keine Zeit mehr auf Seybert, sondern eilte mit schnellen, aber trotzdem ruhig wirkenden Schritten zur Bar. Net blickte ihr aufmerksam entgegen. Sie konnte nicht verstanden haben, was sie redeten, aber Charity las in Nets Gesicht, daß sie durchaus spürte, daß irgend etwas nicht in Ordnung war, ganz und gar nicht in Ordnung.

»Es ist spät geworden, Net«, sagte Charity. »Nimm meinen Jet und bring die Kinder zurück zur Basis. Skudder und ich kommen später nach.«

Net bewies, daß sie in acht Jahren als Ehefrau und Mutter nichts vergessen hatte. Sie stellte keine überflüssigen Fragen, sondern winkte die Zwillinge ohne Hast heran und gab auch Melissa und ihrer Mutter mit einer entsprechenden Geste zu verstehen, daß sie ihr folgen sollten. So schnell, wie es gerade noch ging, ohne daß ihre Hast auffiel, geleitete sie die anderen zum Aufzug.

Charity wartete, bis sie darin verschwunden waren, dann ging sie zu Seybert und Skudder zurück. Sie hatte halbwegs erwartet, die beiden in einen heftigen Streit verwickelt vorzufinden, aber die einzigen sichtbaren Feindseligkeiten bestanden darin, daß sie sich offenbar alle Mühe gaben, sich gegenseitig mit Blicken aufzuspießen.

»Also«, sagte Charity. »Was ist los?«

»Ich weiß nicht mehr, als ich dir gerade gesagt habe«, antwortete Skudder ernst. »Die Com-Zentrale hat vor ein paar Minuten einen verstümmelten Hilferuf von der EXCALIBUR aufgefangen. Es ist mitten im Satz abgebrochen. Fünf Sekunden später riß auch die Verbindung zur Erde ab. Niemand weiß, was wirklich passiert ist.«

»Wird Ihnen das nicht allmählich selbst peinlich?« fragte Seybert.

Charity beachtete sie gar nicht. »Piraten?«

»Wohl kaum«, antwortete Skudder. »Das würden sie nicht wagen. Davon abgesehen hätte sie wahrscheinlich nicht einmal die technischen Möglichkeiten.«

Piraten, Freibeuter, Wegelagerer, Räuber - wie immer man sie nennen wollte - gehörten mit zu dem Erbe, das die Moroni der Erde hinterlassen hatten. Nach dem Verschwinden der außerirdischen Invasoren waren den Menschen auf der Erde ungeheure Mengen an Waffen und Fahrzeugen in die Hände gefallen. Und leider hatten nicht alle nur eine neue und bessere Zukunft für die Erde im Sinn. Die marodierenden Banden aus zahllosen Mad-Max-Filmen waren Realität geworden.

Doch Skudder hatte natürlich recht. Die Piraten waren zwar ein Ärgernis, mehr aber auch nicht. Sie hatten weder die Mittel noch den Mut, etwas so Großes, Gewaltiges wie die EXCALIBUR anzugreifen. Und selbst wenn - wozu hätten sie es riskieren sollen? Das Schiff war im Moment noch nicht einmal flugtüchtig.

»Laß uns in die Zentrale gehen«, sagte Charity. »Ich will wissen, was da los ist.«

»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Sie begleite?« erkundigte Seybert sich fröhlich. »Ich möchte doch zu gern sehen, wie weit sie diese Farce noch treiben.«

Charity schenkte ihr einen verächtlichen Blick, beließ es aber bei einer Mischung aus einem Nicken und einem Achselzucken und ging zum Aufzug. Skudder und Seybert folgten ihr. Charity mußte sich beherrschen, um nicht zu rennen, aber schließlich wollte sie nicht für eine Panik verantwortlich sein, sollte sich die ganze Sache letztlich als falscher Alarm erweisen. Schon jetzt sahen zu viele Leute irritiert und beunruhigt in ihre Richtung. Die kurze Szene war beobachtet worden.

Charity erreichte den Aufzug, drückte den Rufknopf und wartete ungeduldig darauf, daß die Kabine kam. Sie mußte sich sehr beherrschen, um sich ihre Nervosität nicht zu deutlich anmerken zu lassen.

»Captain Laird, bitte!« sagte Seybert. »Machen Sie es doch für uns alle nicht noch peinlicher! Die Charade ist vollkommen überflüssig, glauben Sie mir! Ich bin ja gerade hier, um mit Ihnen zu reden!«

Der Aufzug kam. Charity zwängte sich durch die langsam aufgleitenden Türen, fuhr herum und drückte auf den Knopf für das Zentraldeck, noch bevor Skudder und Seybert die Kabine hinter ihr betreten hatten. Die Aufzugtüren glitten zur Gänze auf, verharrten für eine endlose Sekunde regungslos und begannen sich dann mit quälender Langsamkeit wieder zu schließen.

»Captain Laird!« stieß Seybert beinahe flehend hervor. »Bitte!«

Als die Aufzugtüren noch zwei Handbreit voneinander entfernt waren, blitzte es in der samtenen Schwärze jenseits der Panoramascheiben weiß und sonnenhell auf, und den Bruchteil einer Sekunde später traf irgend etwas mit unfaßbarer Gewalt auf das Glas und zertrümmerte es.

Charity sah ganz deutlich, was geschah, obwohl es sich mit unvorstellbarer Schnelligkeit abspielte. In dem handstarken Glas, das die Festigkeit irdischen Stahls um ein dreißigfaches übertraf, entstand nicht etwa ein Loch, durch das der Sauerstoff heraus und die Weltraumkälte hereinströmen konnten. Die dem Energieblitz zugewandte Seite der Aussichtskuppel zerbarst auf ganzer Breite wie unter einem wuchtigen Hammerschlag.

Die Wirkung war verheerender als alles, was Charity je zuvor miterlebt hatte.

Die Atemluft auf der Aussichtsplattform entwich nicht ins Weltall - sie explodierte hinaus. Glassplitter, Einrichtungsgegenstände, Menschen und Metalltrümmer wurden mit einem einzigen, ungeheuren Schlag in den Weltraum hinausgerissen. Die Temperaturen in der Aufzugkabine fielen schlagartig so tief, daß sich die Luft in Charitys Lungen wahrscheinlich in Eis verwandelt hätte, wäre sie nicht gleichzeitig brutal aus der Kabine gerissen worden, um ein Haar zusammen mit den drei Insassen.

Charity fühlte sich wie von einer unsichtbaren, übermenschlichen starken Hand in die Höhe und auf die Tür zu gerissen. Seybert schrie, als sie mit furchtbarer Gewalt gegen sie prallte, aber der Laut wurde ihr ebenso von den Lippen gerissen, wie die Atemluft. Charity sah nur, wie sich Seyberts Lippen bewegten, dann prallten sie beide gegen Skudder und wurden einen Sekundenbruchteil später gemeinsam gegen die Lifttüren geschleudert.

Wären die Türen noch eine Winzigkeit weiter geöffnet gewesen, hätte die drei die nächsten Sekunden kaum überlebt. Der Anprall war fürchterlich, und Charity wagte gar nicht daran zu denken, was Skudder erleiden mußte. Aber das war nicht einmal das Schlimmste. Die Temperaturen schienen mit Lichtgeschwindigkeit weiter zu fallen. Charitys Haut brannte vor Kälte, und sie glaubte regelrecht zu spüren, wie ihre Augäpfel sich mit einer Reifschicht überzogen. Und in der Kabine war kein einziges Sauerstoffmolekül mehr.

Explosive Dekompression. Die beiden Worte schossen wie ein Blitz durch Charitys Bewußtsein. Eines der großen Schreckgespenster; einer der schlimmsten Notfälle, wie man ihr schon während der Ausbildung eingehämmert hatte. Sie glaubte zu spüren, wie ihr Blut zu kochen begann, ihre Augäpfel aus den Höhlen quollen und sich ihre inneren Organe aufblähten wie Luftballons, die versehentlich an die Preßluftflasche eines Tiefseetauchers angeschlossen worden waren.

Die Aufzugtüren schlossen sich mit quälender Langsamkeit. Der verbliebene Spalt war vielleicht noch zwei, drei Zentimeter breit, aber der Sog des Vakuums ließ die Servomotoren der Türen wimmern. Charity konnte sehen, wie handtiefe Dellen in den dünnen Aluminium entstanden.

Und dann war es vorbei.

Die Türen schlossen sich mit einem dumpfen Laut, und Charity taumelte zurück und fiel kraftlos zu Boden. Neben ihr brachen Skudder und Seybert zusammen, und die Liftkabine zitterte und bebte, als wolle sie jeden Moment auseinanderbrechen. Eine endlose, quälende Sekunde lang wogte der gesamte Lift hin und her wie ein kleines Boot auf stürmischer See, dann heulten die Motoren noch einmal auf, schriller diesmal, und der Lift setzte sich ruckend in Bewegung.