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Charity rang verzweifelt nach Luft, und in den ersten Augenblicken vergebens. Die Kabine war nicht luftdicht, so daß Sauerstoff aus dem Aufzugschacht in ihr Inneres drang, dies um so schneller, als er von dem für Augenblicke herrschenden Unterdruck regelrecht angesaugt wurde. Trotzdem vergingen endlose, quälende Sekunden, bis der Sauerstoffgehalt der Luft in ihren Lungen auch nur wieder annähernd hoch genug war, um das Atmen wieder möglich zu machen. Die Kälte war noch immer grausam, aber nicht mehr tödlich.

Charity rang verzweifelt nach Atem. Alles drehte sich um sie, und ihr Mund schmeckte nach Blut. Sie konnte nur undeutlich sehen. Neben sich hörte sie Seybert vor Schmerz und Angst wimmern, doch Charitys Kraft reichte nicht einmal aus, den Kopf zu drehen und nach ihr zu sehen.

Langsam, viel zu langsam, wie es ihr vorkam, glitt der Aufzug weiter in die Tiefe. Aus dem üblicherweise sanften, gleichmäßigen Gleiten war jedoch ein unregelmäßiges Ruckein und Stampfen geworden. Aber immerhin, der Aufzug bewegte sich, und das flackernde Licht über der Tür bewies, daß die Kabine noch immer getreulich auf dem befohlenen Weg war.

Charity stemmte sich mühsam auf Hände und Knie hoch, hustete qualvoll und spuckte einen Mund voll Blut aus, ehe sie unter Aufbietung aller Kräfte den Blick schweifen ließ. Skudder hatte sich ebenfalls halb erhoben und schüttelte benommen den Kopf. Blut lief aus seinen Augenwinkeln, seiner Nase und den Ohren, und er hatte eine üble Schnittwunde an der Stirn.

Seybert bot einen fast noch schlimmeren Anblick. Ihr Gesicht war blutüberströmt, und in ihren Augen mußten sämtliche Adern geplatzt sein, so daß das Weiß völlig verschwunden war und einem schmierigen Rot Platz gemacht hatte. Sie sagte irgend etwas, aber Charity verstand ihre Worte nicht, denn in ihren Ohren war ein schrilles, an- und abschwellendes Heulen, das jeden anderen Laut verschluckte. Möglicherweise waren ihre Trommelfelle geplatzt.

Bevor Seybert ihre Frage wiederholen konnte, erbebte der Lift unter einem Schlag, der sie alle ein weiteres Mal zu Boden schleuderte. Die Erschütterung war nicht einmal besonders heftig, aber auf eine schwer zu beschreibende Weise machtvoll; so, als erzittere nicht nur der Aufzug, sondern das gesamte Universum rings um sie herum. Es dauerte Sekunden, bis das Beben so weit abgeklungen war, daß sie sich ein weiteres Mal hochstemmen konnten.

»Großer Gott, was war das?« schrie Seybert.

Das Klingeln und Heulen in Charitys Ohren hielt an, aber sie konnte trotzdem wieder hören; wenigstens ein bißchen. Ihre Trommelfelle waren also nicht geplatzt. Der Höllenlärm, den sie hörte, war der Alarm, der durch die Himmelsstadt schrillte.

»Der nächste Akt unserer kleinen Charade, Gouverneur«, sagte Charity. »Wir wollen doch schließlich überzeugend sein.«

»Irgend etwas hat uns getroffen«, sagte Skudder.

»Getroffen?« stammelte Seybert. »Was... was soll das heißen?«

»Wir werden angegriffen, verdammt noch mal!« schrie Charity. »Was muß denn noch passieren, damit Sie das begreifen? Irgend jemand schießt auf Skytown!«

»Aber... aber wieso... ich meine... wer -?«

»Das werden wir herausfinden«, sagte Charity. »Falls wir lange genug am Leben bleiben.«

Charity stemmte sich mühsam hoch. Die Kabine zitterte und bebte zunehmend stärker, bewegte sich aber immer noch weiter und würde die Zentralebene in wenigen Augenblicken erreichen.

Falls sie nicht vorher explodierte, abstürzte oder sich in Atome auflöste.

Nichts davon geschah. Der Aufzug erreichte sein Ziel und kam mit einem knirschenden Laut zum Stehen, der sich in Charitys Ohren so anhörte, als würde sich die Kabine nie wieder bewegen. Die Türen glitten ein Stück weit auf und verkanteten sich dann mit einem metallischen Kreischen. Das Heulen der Alarmsirenen wurde schlagartig lauter. Rauch, Schreie und die Geräusche zahlloser rennender Menschen drangen zu ihnen herein.

»Was geht hier vor?« fragte Seybert herrisch. Sie versuchte, Charity am Arm zu packen und herumzureißen, aber Charity schüttelte ihre Hand mit einer wütenden Bewegung ab und funkelte Seybert so zornig an, daß diese erschrocken zurückprallte.

»Jetzt nicht, Gouverneur«, sagte Charity. »Wir müssen versuchen, die Zentrale zu erreichen. Dort werden wir erfahren, was vor sich geht. - Skudder!«

Zusammen mit dem Indianer stemmte sie sich gegen die verbogene Tür. Es kostete sie all ihre gemeinsame Kraft, aber schließlich gelang es ihnen, die verkeilten Türhälften weit genug auseinanderzuziehen, so daß sie sich durch die entstandene Öffnung quetschen konnten.

Was sie empfing, war das schiere Chaos. Scharf riechender Rauch lag in der Luft. Das Heulen der Alarmsirenen wurde so laut, daß es jede Verständigung unmöglich machte. Irgendwo wütete ein Feuer, und der Boden zitterte ununterbrochen. Soldaten rannten schreiend an ihnen vorbei und schwenkten ihre Waffen, und als Charity losrannte, spürte sie, daß der Boden eine deutliche Schräglage hatte. Offensichtlich funktionierte die künstliche Schwerkraft an Bord der Himmelsstadt nicht mehr richtig.

Charity bedeutete Seybert durch Gesten, Skudder und ihr zu folgen, und überließ es dem Überlebensinstinkt der Politikerin, dem Befehl nachzukommen oder nicht.

Der Weg bis zur Kommandozentrale der Station war nicht mehr weit. Skytown war auch und vor allem eine Kampfstation, so daß sie unter normalen Umständen mindestens ein halbes Dutzend hochnotpeinlicher Sicherheitskontrollen hätte überwinden müssen, ehe sie das Allerheiligste der Station betreten durften. Der plötzliche Angriff schien jedoch vor allem die Disziplin an Bord der Himmelsstadt zerstört zu haben. Ungehindert erreichten sie den Zugang zur Zentrale. Ein nervöser Soldat vertrat ihnen den Weg, als sie auf die Panzertür der Zentrale zuliefen, machte jedoch sofort Platz, als er Charity und Skudder erkannte.

Skytown erbebte unter einem weiteren, furchtbaren Einschlag, als sie durch die Tür stolperten. Diesmal schien die gesamte Station wie ein riesiges lebendes Wesen aufzustöhnen, das grausame Schmerzen erleiden mußte, und Charity konnte nur mit ein paar hastigen Stolperschritten verhindern, daß sie von den Füßen gerissen wurde und fiel.

Seybert war nicht ganz so geschickt, aber selbst Charitys Vorrat an Schadenfreude war mittlerweile längst aufgebraucht. Sie warf einen hastigen Blick in die Runde, entdeckte Hartmann auf dem erhöhten Kommandopult des Captains und hetzte mit Riesensprüngen auf ihn zu.

»Hartmann! Was ist passiert?«

Hartmann schaute sie nur flüchtig an und wies dann auf den großen Zentralschirm, der fast ein Drittel der Wand vor ihm in Anspruch nahm. Die dreidimensionale Darstellung erweckte den Eindruck, durch ein Fenster direkt in den Weltraum hinauszublicken, aber Charity wußte, daß sich zwischen ihr und dem All fast zweihundert Meter befanden; Die Zentrale lag genau im Herzen der Himmelsstadt und war gut genug gepanzert, um selbst dem direkten Treffer einer taktischen Nuklearwaffe zu trotzen.

Leider galt das nicht für den Rest der Station. Der große Zentralschirm wurde von Dutzenden kleinerer Monitore eingerahmt, auf denen unterschiedliche Teile von Skytown zu sehen waren. Der Anblick schien überall gleich zu sein: Wo es nicht brannte oder keine Zerstörung zu sehen war, herrschte das nackte Chaos. Rennende Menschen, Furcht, Panik.

Auf dem großen Bildschirm schien auf den ersten Blick nichts Außergewöhnliches zu erkennen zu sein. Erst als Charity Hartmanns Geste folgte und konzentriert auf einen bestimmten Punkt auf dem Schirm blickte, sah sie drei, dann vier und schließlich fünf winzige, flimmernde Punkte.

»Bis jetzt haben wir ein knappes halbes Dutzend identifiziert«, sagte Hartmann. »Bomber, ihrer Taktik nach zu urteilen.«

»Moroni?« fragte Charity.