Hartmann schüttelte den Kopf, und der Mann neben ihm sagte: »Dann wären wir schon tot. Sie bewegen sich nicht viel schneller als andere Maschinen. Aber schnell genug.«
Charity nickte zustimmend. Ein Blick auf das Namenschildchen des Mannes identifizierte ihn als Lieutenant Commander Barnes, Kommandant der Station.
»Wer sind sie dann?« fragte Charity.
»Wir haben noch nicht genug Daten, um sie zu identifizieren«, sagte Barnes. »Aber es kann nicht mehr lange dauern.« Er schüttelte den Kopf. »Keine Forderungen. Kein Kontakt. Sie haben sofort kompromißlos und erbarmungslos angegriffen.«
»Sind Net und die Kinder noch rausgekommen?« fragte Charity, an Hartmann gewandt. »Sie wollte meinen Jet nehmen.«
Hartmann zuckte mit den Schultern. Er blickte sie nicht an. »Ich weiß es nicht«, sagte er tonlos. »Die gesamte Kommunikation ist zusammengebrochen. Es ist ein kleines Wunder, daß die Monitore noch funktionieren.«
Wie um seine Worte zu unterstreichen, erzitterte die Himmelsstadt unter einer weiteren Explosion. Ein neuer, schriller Alarmton gellte auf und brach mit einem Mißklang wieder ab.
»Da kommen die Bilder«, sagte Barnes.
Der Bildschirm flimmerte eine Sekunde, dann wich der Anblick der Asteroidengürtels dem eines bizarren Fluggerätes. Was sie sahen, war keine wirkliche Aufnahme, sondern eine Hochrechnung, die der Stationscomputer aus den empfangenen Daten erstellte.
Trotzdem war es das Bizarrste, was Charity jemals zu Gesicht bekommen hatte...
Das Schiff - falls es ein Schiff war - ähnelte einem irdischen Stachelrochen, besaß aber andere Proportionen: Die ›Flügel‹ waren sehr viel breiter, und auf der Oberseite der fremdartigen Konstruktion erhob sich ein asymmetrischer Aufbau, dessen Zweck Charity nicht einmal zu erraten imstande war. Da es nichts gab, was als Vergleich herhalten konnte, war die Größe des Schiffes nicht zu erkennen, aber der Computer behauptete, daß es ungefähr dreißig Meter lang und nahezu ebenso breit war.
»Was, zum Teufel, ist das?« fragte Skudder, der unbemerkt hinter sie getreten war.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Hartmann. »Ich habe so etwas noch nie gesehen. Aber die Dinger sind schnell. Verdammt schnell.«
»Zu schnell für unsere Zielcomputer?« fragte Charity.
Barnes schüttelte den Kopf. »Nein. Unsere Laser könnten sie erwischen. Leider kommen sie nicht nahe genug heran.«
»Sie bleiben außer Reichweite«, fügte Hartmann düster hinzu. »Entweder ist das Zufall, oder sie wissen ganz genau, wie weit unsere Laser schießen.«
»Raketen?« fragte Skudder.
Barnes lachte humorlos, und Hartmann sagte: »Der zweite Treffer hat unsere Raketenbatterie erwischt.«
Auf dem Bildschirm blitzte es auf, und nur einen Augenblick später erbebte Skytown unter einem neuerlichen, noch heftigeren Treffer.
»Verdammt noch mal, warum tut denn niemand etwas?« schrie Seybert. Hartmann holte tief Luft, um sie anzufahren, aber Charity kam ihm zuvor.
»Dann müssen wir sie im Nahkampf erledigen. Wie viele Jets habt ihr an Bord?«
»Acht«, antwortete Barnes.
»Und warum, zum Teufel, haben Sie sie noch nicht gestartet?« fragte Seybert. Ihre Stimme kippte fast über.
»Weil der zweite Treffer unseren Haupthangar erwischt hat«, erwiderte Hartmann tonlos. »Ich sagte doch schon: Sie scheinen genau zu wissen, wo sie uns treffen müssen. Diese Mistkerle schießen uns methodisch in Stücke. Und wir können nichts dagegen tun.«
»Dann... dann sind wir verloren?« murmelte Seybert. »Wir werden alle sterben.«
»Nicht unbedingt«, antwortete Skudder. »Wenn sie uns umbringen wollten, hätten sie es längst gekonnt. Sie entwaffnen uns. Einer der nächsten Treffer wird unsere Laserbatterien treffen, jeder Wette.«
»Und... und dann?« fragte Seybert stockend.
Skudder lächelte humorlos. »Dann erfahren wir wohl, mit wem wir es wirklich zu tun haben«, sagte er.
Dreißig Sekunden später erbebte Skytown unter einen weiteren Einschlag, und genau wie Skudder vorausgesagt hatte, hatte das Geschoß einer der beiden schweren Laserbatterien der Station getroffen und zerstört. Sie waren wehrlos. Was der Station an Waffen verblieben war, zielte nutzlos auf die den Angreifern abgewandten Seite in den freien Weltraum.
»Ich verstehe nicht, worauf sie warten«, murmelte Seybert.
Ihr Blick war wie der aller anderen gebannt auf den Hauptmonitor gerichtet, auf dem die fünf Angreifer mittlerweile deutlich zu erkennen waren, nicht mehr nur als Computersimulation. Die Realität kam der Hochrechnung, die der Zentralcomputer erstellt hatte, ziemlich nahe. Es gab einige Unterschiede im Detail, aber im großen und ganzen blieben die Schiffe das, was sie auf den ersten Blick gewesen waren: Große, fremdartig aussehende Konstruktionen, vor denen ein fast greifbarer Hauch von Bedrohung und Gefahr ausging.
Eine weitere Minute verging, dann sagte Barnes leise: »Sie warten darauf.«
Zwischen den Rochenschiffen waren zwei weitere, größere Umrisse erschienen. Der massige Rumpf, an dem die kurzen Stummelflügel geradezu lächerlich aussahen, die massive Panzerung und die beiden großen Türen auf jeder Seite machten Charity auf Anhieb klar, womit sie es zu tun hatten: Landungsschiffe.
»Da kommt die Infanterie«, sagte sie. »Sie wollen uns entern.«
Barnes warf einen Blick auf seine Instrumente. »Wenn sie ihre Geschwindigkeit beibehalten, sind sie in vier Minuten hier.«
»Zum Teufel, so tun Sie doch etwas, Commander!« keuchte Seybert.
Barnes maß sie mit einem fast mitleidigen Blick. »Gerne - wenn Sie mir sagen, was. Soll ich vielleicht nach draußen gehen und mit Steinen werfen? Sie haben uns entwaffnet, Gouverneur, begreifen Sie das doch endlich!«
»Dann müssen wir Hilfe rufen!« antwortete Seybert erregt. Sie drehte sich mit einem Ruck zu Hartmann um. »Was ist mit all diesen Raumschiffen, die Sie in dem unterirdischen Hangar in Ihrer Basis verstecken? Wieso kommen diese Schiffe nicht?«
Hartmann reagierte nicht einmal mit einem Wimpernzucken auf die Eröffnung, daß sein Geheimnis keines war.
»Wir haben keine Verbindung zur Basis«, sagte er. Sein Blick löste sich für einen Moment von Seyberts Gesicht und suchte den Charitys, und sie las eine Furcht in seinen Augen, die er noch nicht in Worte zu kleiden wagte. Ihre Verbindung zur Erde war zwar abgebrochen, aber wenn Net und die Kinder mit Charitys Jet durchgekommen wären, dann hätte Hilfe bereits unterwegs sein müssen.
Charity schaute wieder auf den Schirm. Die beiden Landungsschiffe kamen rasch näher. Noch etwas mehr als zwei Minuten, und sie würden andocken. Im Grunde waren sie viel zu klein, als daß sie genügend Truppen hätten transportieren können, um eine so große Station wie Skytown einzunehmen. Selbst wenn sie die Verluste berücksichtigen, die vor allem der Treffer auf dem Aussichtsdeck gefordert hatte, zählte die Besatzung noch immer nahezu tausend Männer und Frauen. Und die meisten davon waren ausgebildete Soldaten, die sich schon im Kampf gegen die Moroni bewährt hatten. Charity hatte plötzlich das Gefühl, daß ihnen alle eine sehr böse Überraschung bevorstand.
»Können wir evakuieren?« fragte Skudder.
Barnes schüttelte den Kopf. »Nicht in zwei Minuten.«
Charitys Gedanken rasten. Sie war trotz allem zuversichtlich, daß sie mit den Angreifern fertig werden würden.
Hartmanns Männer waren hervorragend ausgebildet und bewaffnet und hatten schon so manchem scheinbar überlegenen Gegner eine blutige Nase verpaßt.
Doch ein Kampf im Inneren der Station würde zahllose Menschenleben kosten. Sie mußten den Feind draußen im All abfangen. Und das möglichst in neunzig Sekunden.
»Schalten Sie die Schirme ab, Commander«, sagte Charity. »Ich gehe raus.«
Barnes starrte sie an. »Wie?«
Charity deutete auf den Bildschirm. »Die EXCALIBUR. Sind die Jäger in ihren Hangars einsatzbereit?«