Der Transporter und das Rochenschiff stürzten unter ihr in die Tiefe. Die beiden Schiffe hatten sich regelrecht ineinander verkeilt. Das Shuttle war auf zwei Drittel seiner ursprünglichen Länge zusammengestaucht worden und deutlich erkennbar in sich verdreht. Eine ununterbrochene Folge kleiner, greller Explosionen riß sein Heck immer weiter auseinander, aber durch einen schier unglaublichen Zufall arbeiteten seine Triebwerke noch immer, so daß sich das zerbrechende Wrack immer tiefer in den Rumpf des viel kleineren Rochenschiffes hineinwühlte.
Auch der Rochen war dem Untergang geweiht, selbst wenn es dem Piloten gelungen wäre, das Wrack des Transporters irgendwie abzuschütteln. Seine rechte Flanke war fast zur Gänze aufgerissen, und irgendeine Flüssigkeit - vermutlich Treibstoff - zischte unter hohem Druck aus einem Leck und verbrannte mit roten, brodelnden Flammen. Es sah tatsächlich so aus, als würde der stählerne Stachelrochen bluten.
Charity beobachtete in stummer Faszination, wie sich die beiden ineinander verkeilten Schiffe allmählich weiter entfernten, wobei sie sich ununterbrochen umeinander drehten, als führten sie einen geheimnisvollen Totentanz auf. Dabei näherten sie sich allmählich wieder der EXCALIBUR, bis sie schließlich in die Anziehungskraft des riesigen Schiffes gerieten. In der Flanke der EXCALIBUR entstand ein zweites, klaffendes Loch, als die beiden Schiffe aufschlugen und explodierten.
Erst jetzt schaltete Charity ihren Anzugfunk ein und drückte die Sendetaste.
»Hartmann?«
Endlose vier, fünf Sekunden lang bekam sie keine Antwort, dann aber hörte sie Hartmanns Stimme aus ihrem Helmlautsprecher dringen, leise, weit entfernt, von starken Störungen und statischem Rauschen überlagert und unendlich erstaunt.
»Charity? Bist... bist du das?«
»Wer sonst würde es fertig bringen, drei Schiffe in fünf Minuten zu Schrott zu fliegen?« antwortete Charity. Eigentlich war ihr nicht nach Scherzen zumute. Das Sprechen bereitete ihr große Mühe. Die Schmerzen in ihrer Brust wurden immer schlimmer, und sie schmeckte Blut.
»Großer Gott!« keuchte Hartmann. »Was ist passiert? Bist du verletzt?«
»Nein«, log Charity. »Nur ein paar Schrammen.«
»Ich sehe dich«, sagte Hartmann. »Falls diese Kiste nicht auseinanderfällt, bin ich in einer Minute bei dir!«
»Warte«, sagte Charity rasch. Alles drehte sich um sie. Sie stand kurz davor, endgültig das Bewußtsein zu verlieren. Trotzdem fuhr sie fort: »Was ist mit deinem Schiff?«
»Was soll damit sein?« fragte Hartmann und fügte trocken hinzu: »Es bricht auseinander.«
»Das meine ich nicht«, erwiderte Charity. »Hast du noch ein paar Raketen übrig?«
»Ja.«
»Dann hör auf zu reden und schieß diese verdammte fliegende Satellitenschüssel endlich ab!«
»Was meinst du, was ich die ganze Zeit versucht habe«, sagte Hartmann. »Aber das verdammte Ding hat Schutzschirme wie ein Schlachtkreuzer. Ich bräuchte eine Atombombe, um es zu knacken.«
»Schieß auf die Triebwerke«, sagte Charity. »Ich habe einen von ihnen auf diese Weise erwischt. Ich nehme an, es gibt an dieser Stelle irgendeine Lücke.«
Wenn nicht, ist ohnehin alles vorbei, dachte sie. Die Besatzung des Kommunikationsschiffes mußte den Kampf beobachtet haben. Selbst wenn die Fremden ihren Funkverkehr nicht abhörten, schrien sie jetzt wahrscheinlich aus Leibeskräften um Hilfe.
Der Gedanke brachte Charity zu einer anderen Frage, die sie sich auf einer tiefen Ebene ihres Bewußtseins schon seit einer guten Minute stellte.
Während Hartmann seine beschädigte Viper mühsam hinter das viel größere Schiff manövrierte, fragte sie: »Hartmann?«
»Ja?«
»Wieso können wir miteinander reden? Der Funk - wieso funktioniert er?«
»Nur dein Anzuggerät, Charity«, antwortete Hartmann. »Und meines. Wir mußten irgendwo sparen, also haben wir in die Anzüge die guten alten UKW-Geräte eingebaut. In irgendeinem Lagerhaus flogen noch ein paar Millionen von den Dingen herum. Das Funkgerät meiner Viper ist so tot, wie dieses verdammte Ding da draußen hoffentlich gleich sein wird.«
Moron-Technologie, dachte Charity.
Die Vipern stammten fast hundertprozentig aus irdischer Fertigung, aber bei den Funkgeräten waren Hartmanns Techniker von diesem Prinzip abgewichen; einfach, weil sie nichts hatten, was den überlichtschnellen Kommunikationsgeräten der Aliens auch nur nahe kam. Das konnte bedeuten, daß...
Hartmann hatte sein Schiff in Schußposition gebracht und feuerte sofort; für Charitys Geschmack aus viel zu geringer Distanz. Aber sie vermutete, daß Hartmanns Viper tatsächlich kurz davor stand, auseinanderzubrechen, und daß er mit jeder Sekunde geizen mußte. Eine seiner Raketen verfehlte ihr Ziel und detonierte in einem spektakulären Feuerwerk an den Schirmen des fremden Schiffes, aber die beiden anderen verschwanden in den geschwärzten Triebwerksöffnungen.
Die Explosion erfolgte augenblicklich. Das gesamte Heck des Kommunikationsschiffes verschwand in einem gewaltigen Feuerball, dem kurz darauf zahllose weitere, wenn auch kleinere Explosionen im vorderen Teil des Schiffes folgten. Die beiden Raketen reichten nicht aus, das Schiff vollkommen zu zerstören, doch es begann augenblicklich zu taumeln. Sämtliche Lichter erloschen, dann riß eine noch heftigere Explosion ein gewaltiges Loch in seine Oberseite und den darauf befindlichen Wald aus Antennen und Sendeanlagen.
»Volltreffer«, sagte Hartmann trocken. »Ein guter Tip, Captain Laird. Ich werde Sie offiziell für eine Belobigung vorschlagen.«
Charity lächelte schmerzverzerrt. »Versuch lieber, eine Verbindung zur Erde herzustellen«, sagte sie.
Hartmann antwortete nicht, ließ sein Anzuggerät aber eingeschaltet, so daß Charity hören konnte, wie er das Hyperfunkgerät der Viper aktivierte.
»General Hartmann an Euro-Basis eins! Dies ist ein Notruf! Kommen!«
Nichts geschah. Hartmann wiederholte seine Worte, etwas lauter und in hörbar drängenderem Tonfall, doch er mußte es insgesamt viermal wiederholen, ehe er eine Antwort bekam.
Sie fiel nicht so aus, wie Charity es sich erhofft hätte, sondern so, wie sie es befürchtet hatte.
Für Sekunden füllten sich ihre Helmlautsprecher mit Lärm. Schreie, Explosionen. Dann hörte sie eine unbekannte, panikerfüllte Stimme: »Euro-Basis eins! Wir werden angegriffen! Mayday! Mayday! Ich wiederhole: Wir werden angegriffen!«
Hartmanns Stimme war von einer erstaunlichen Ruhe erfüllt, als er antwortete. Vielleicht hatte er es ebenso erwartet wie Charity.
»Wer spricht denn da?«
»Major Willemsen! Commodore Mayers ist tot, wie auch die meisten anderen, Sir! Ich habe das Kommando übernommen, aber ich kann nicht mehr viel tun! Die Angreifer sind uns hoffnungslos überlegen! Fast alle unsere Waffen versagen! Die gesamte Moron-Technologie ist ausgefallen! Wir sind wehrlos!«
»Bewahren Sie Ruhe, Major«, sagte Hartmann. »Wir sind auf denselben Gegner gestoßen. Wie ist die genaue Lage?«
»Katastrophal«, antwortete Willemsen. Seine Stimme bebte noch immer vor Panik und war viel zu schrill. Im Hintergrund war eine Serie schwerer Explosionen zu hören. »Sie bombardieren die Basis. Die meisten konventionellen Abwehreinrichtungen sind zerstört, und dieser ganze Alien-Scheiß ist vor einer Stunde komplett ausgefallen. Nichts funktioniert mehr!«
Charity lächelte flüchtig über diesen Ausdruck und funkte Hartmann an.
»Sag ihm, er soll es noch mal versuchen«, sagte sie.
»Was?«
»Den Alien-Scheiß einzusetzen«, entgegnete sie. »Schnell!«
Sie konnte Hartmanns Achselzucken regelrecht hören, aber er tat trotzdem sofort, was sie verlangte. »Versuchen Sie es, Willemsen«, sagte er. »Nehmen Sie die Moron-Technologie wieder in Betrieb.«
»Aber, Sir, wir -«
»Sofort!« Hartmanns Stimme war schneidend. »Das ist ein Befehl!«