»Dann fahren sie die Generatoren hoch«, knurrte Skudder. »Wahrscheinlich, um sich auf den Angriff vorzubereiten. Die geben nicht auf.«
Charity schwieg. Mit klopfendem Herzen schaute sie abwechselnd auf das Abbild der Station auf den Monitoren, dann wieder auf die Uhr.
Noch eine Minute. Dreißig Sekunden. Sie mußten sich einfach melden. Der Kommandant der Fremden mußte doch wissen, daß er diesen Kampf nicht gewinnen konnte!
Noch zehn Sekunden.
Fünf.
Null.
Die Frist, die Charity den Fremden gesetzt hatte, war abgelaufen.
Das Funkgerät blieb stumm.
»Wie ich es euch gesagt habe«, sagte Skudder. »Die geben nicht auf.«
Charity schaute wieder auf die Uhr. Das Ultimatum war seit zwölf Sekunden überschritten.
Als der Sekundenzeiger die fünfzehn erreichte, explodierte Skytown in einem ungeheuerlichen, weißblauen Feuerball.
9
Obwohl über dem großen Raum mehr als zwanzig Personen zusammengekommen waren, herrschte eine fast unheimliche Stille. Draußen, fünfundzwanzig Stockwerke unter dem Konferenzsaal, der in der oberen Etage des Zentralturmes lag, waren die Lösch- und Aufräumungsarbeiten noch immer in vollem Gange. Dann und wann zerriß der Blitz einer kleineren Explosion das Grau der hereinbrechenden Dämmerung.
Obwohl der Überfall mittlerweile gute sechzehn Stunden zurücklag, war es den Männern immer noch nicht gelungen, das brennende Treibstofflager vollkommen zu löschen.
Und vermutlich sterben dort unten selbst in diesem Augenblick noch Menschen, dachte Charity matt. Der Angriff hatte weitaus mehr Todesopfer gefordert, als sie alle in der ersten Euphorie des Sieges erkannt hatten. Die Fremden hatten hart und mit fast chirurgischer Präzision zugeschlagen. Genau wie oben in Skytown sahen die Schäden auf den ersten Blick gar nicht einmal so schlimm aus, um sich beim zweiten Hinsehen dafür als um so verheerender zu erweisen.
Die Rochenschiffe hatten bereits bei ihrem allerersten Angriff mehr als fünfzig Prozent der Verteidigungsanlagen der Basis zerstört. Die drei nachfolgenden Angriffswellen hatten den Rest der Abwehr niedergemacht; dann waren die Landungstruppen gekommen, diese eigentümlichen, furchteinflößenden schwarzen Riesen, die sich hier unten als ebenso unbesiegbar und fast unverwundbar erwiesen hatten wie in der EXCALIBUR.
Der Kampf hatte weniger als eine halbe Stunde gedauert. Trotzdem waren die militärischen Einrichtungen der Basis nach der Auseinandersetzung so gut wie zerstört, und mehr als die Hälfte der Verteidiger war tot oder kampfunfähig.
Hätte Charity den Kommunikationssatelliten mit dem Störsender auch nur zehn Minuten später vernichtet, hätten sie Euro-eins nur noch als brennende Ruine vorgefunden. Charity schätzte, daß es ein Jahr dauern würde, um die angerichteten Schäden auch nur halbwegs wieder zu bereinigen.
Und sie war ziemlich sicher, daß sie dieses Jahr nicht hatten.
Ein besonders greller Blitz löschte für einen Moment die Dunkelheit vor den Fenstern aus und ließ alle Anwesenden für einen Moment in ihren Gesprächen innehalten und erschrocken aufsehen. Charity wurde aus ihren Gedanken gerissen.
Während sie sich mit einer unbewußten Geste über die immer noch schmerzenden Rippen fuhr, suchte ihr Blick Hartmann. Sie versuchte sich zu erinnern, was er in den letzten fünf oder auch zehn Minuten gesagt hatte, doch sie konnte es nicht. Es war vermutlich auch egal.
Diese überflüssigste alle überflüssigen Krisensitzungen, die der Rat in aller Eile einberufen hatte, dauerte nun schon zwei Stunden, und das Gespräch drehte sich seit genau diesen zwei Stunden im Kreise und würde es auch weitere zwei oder auch zweihundert Stunden tun. Wieso waren Skudder und sie eigentlich die einzigen hier im Raum, die das zu begreifen schienen?
»Ich weigere mich einfach zu glauben«, sagte Drasko im diesem Moment, »daß Ihre Leute absolut nichts über die Identität der Angreifer in Erfahrung gebracht haben.«
Hartmann spießte ihn mit Blicken regelrecht auf, doch seine Stimme klang erstaunlich ruhig, als er antwortete. Charity verstand ohnehin nicht mehr, woher Hartmann die Selbstbeherrschung nahm, die er seit ihrer Rückkehr an den Tag legte.
»Es ist aber leider so«, sagte er. »Jedenfalls im Moment. Wir wissen weder, wer sie sind, noch woher sie kommen oder warum sie hier sind.«
»Über das warum gibt es wohl keine Zweifel«, warf Harris spöttisch ein. »Wenn das ein Freundschaftsbesuch war, möchte ich sie nicht schlecht gelaunt erleben.«
»Der Angriff war ausgezeichnet vorbereitet«, bestätigte Hartmann. »Sie wußten ganz genau, wie und wo sie uns treffen müssen, um den größtmöglichen Schaden anzurichten.«
»Sind sie sicher?« fragte Drasko. »Ich meine... Sie sind Soldat, General Hartmann. Es ist Ihre Aufgabe, Ihre Gegner als gefährlich zu betrachten. Aber wir sollten jetzt nicht in Hysterie geraten. Ich halte diese Fremden nicht für so gefährlich wie Sie.«
»Warum sehen Sie nicht einfach aus dem Fenster?« schlug Skudder vor.
»Ich habe nicht gesagt, daß ich sie für ungefährlich halte«, antwortete Drasko ruhig. »Aber einen Gegner zu überschätzen kann ebenso gefährlich sein wie das Gegenteil. Letztendlich sind Sie mit einem Dutzend Schiffen und einigen hundert Soldaten gekommen -«
»Die um ein Haar ausgereicht hätten«, fiel Skudder ihm ins Wort.
»Wir haben gesiegt, oder?«
Skudder wollte auffahren, doch Hartmann brachte ihn mit einer raschen Geste zum Schweigen und wandte sich betont ernst an Drasko. »Nein, Gouverneur, das haben wir nicht.« sagte er ruhig. »Wir hatten Glück, das war alles. Verdammt großes Glück. Wir hatten rein zufällig die besten Kampfmaschinen dort oben, über die die Erde zur Zeit verfügt. Und hinter ihren Kontrollen saßen - ebenfalls rein zufällig - die mit Abstand besten Piloten, die wir haben. Captain Laird hat das Gefecht praktisch allein entschieden. Und hätten wir nicht - und auch das wieder durch pures Glück - im allerletzten Moment den feindlichen Störsender erwischt, hätte das alles nichts genutzt. Glauben Sie mir, Gouverneur: Die Wahrscheinlichkeit, daß wir noch einmal so viel Glück haben, ist mehr als gering.«
»Ein Grund mehr, herauszufinden, wer die Fremden sind!« sagte Drasko.
»Das werden wir«, sagte Hartmann. »Aber es braucht Zeit. Leider ist es uns nicht gelungen, Gefangene zu machen. Natürlich werden wir die Schiffswracks untersuchen, die uns in die Hände gefallen sind, aber auch das braucht Zeit. Alles, was wir bis jetzt sagen können ist, daß unsere Feinde anscheinend menschenähnlich sind. Ihre Technik ähnelt der unseren, ist aber weiter entwickelt. Vielleicht können wir in ein paar Tagen mehr sagen, aber im Moment ist das leider alles.«
»Was ist mit den gefangenen Piloten?« beharrte Drasko. »Ich weiß, daß die Angreifer auf Skytown Selbstmord begangen haben, aber sie haben doch auch hier eine Anzahl ihrer Schiffe abgeschossen.«
Charity sah aus den Augenwinkeln, wie Hartmann zusammenfuhr, als Drasko die Himmelsstadt erwähnte, und spürte ein kurzes, aber heftiges Aufwallen von Zorn. Drasko wußte so gut wie jeder andere hier im Raum, daß Net und die Kinder dort oben gestorben waren. Anscheinend war es ihm gleich.
»Es gab keine Piloten«, sagte Harris rasch. »Jedenfalls keine, deren Überreste wir noch identifizieren können. Offensichtlich gehört es zur Politik der Fremden, lieber zu sterben, als sich gefangen nehmen zu lassen. Ihre Anzüge sind mit einem modernen Äquivalent der guten alten Zyankalikapsel ausgestattet.«
»Was soll das heißen?« schnappte Drasko.
Harris hob die Schultern. »Alles, was wir gefunden haben, waren fast unidentifizierbare organische Überreste. Sowohl in den abgeschossenen Schiffen als auch in den Kampfanzügen der Bodentruppen, die sie zurücklassen mußten. Wir haben sie noch nicht alle untersuchen können, aber es scheint sich wohl um eine Art Selbstzerstörungsmechanismus zu handeln, der sich automatisch aktiviert, wenn der Träger des Anzuges stirbt.«