Выбрать главу

»Glaub ihr nicht«, sagte einer der Männer. »Das ist eine Falle. Wenn du mit ihr gehst, wird sie dich töten!«

»Kannst du mir irgendeinen Grund nennen, daß ich es nicht gleich hier und jetzt erledige, wenn das wirklich meine Absicht wäre?« fragte Charity mit aufkeimendem Zorn. Dann wandte sie sich wieder an die junge Frau. »Ich hole deine Tochter, aber du mußt mir schon sagen, wo sie ist!«

Die junge Frau zögerte noch eine letzte, endlose Sekunde, dann nickte sie und deutete nach Westen. »Zweihundert Schritte von hier. Der Schacht.«

Charity erinnerte sich vage, über einen halb zusammengestürzten U-Bahn-Schacht hinweggeflogen zu sein, der etwa in der angegebenen Entfernung lag. Die junge Frau wollte aufstehen, aber Charity schüttelte den Kopf und drückte sie mit sanfter Gewalt wieder zu Boden.

»Ich gehe allein«, sagte sie. »Wenn deine Tochter noch lebt, dann finde ich sie.«

Sie stand auf, warf einen suchenden Blick in den Himmel und schüttelte den Kopf. Die drei Minuten, von denen Skudder gesprochen hatte, waren längst verstrichen, aber von dem angekündigten SWAT-Team war keine Spur zu sehen.

»Typisch«, murmelte sie. »Wenn man die Cops mal wirklich braucht, kommen sie zu spät.«

Laut und an die Männer und Frauen ringsum gewandt, fuhr sie fort: »Ich gehe jetzt und suche das Mädchen. Ihr bleibt hier. Haltet euch von dem Schutzschirm fern. Ihr könnt ihn nicht sehen, und ihn zu berühren, würde euch auf der Stelle töten. In ein paar Minuten kommen weitere Schiffe wie meines. Was immer ihr auch über uns glauben solltet - diese Männer sind nicht eure Feinde. Sie kommen, um euch zu helfen. Sagt ihnen, wo ich bin. Und sie sollen sich verdammt noch mal beeilen!«

2.

Von allen ›Geschenken‹, welche die Invasoren von Moron mit zur Erde gebracht hatten, war das Mutagen vermutlich eines der übelsten. Seine Wirkung war nicht annähernd so spektakulär gewesen wie das Auftauchen der gigantischen Kampfschiffe am Himmel, oder das Flächenbombardement aus Atom- und Wasserstoffbomben, das nicht nur die meisten militärischen Einrichtungen der Erde, sondern auch nahezu jede Großstadt vernichtet hatte.

Trotzdem war seine Wirkung mindestens ebenso verheerend, wenn nicht sogar schlimmer.

Es hatte lange gedauert, bis sie das Geheimnis zumindest erkannt hatten. Von seiner Lösung waren sie allerdings noch Lichtjahre entfernt.

Als Charity vor acht Jahren aus dem Cryogen-Schlaf erwacht war, hatte sie damit gerechnet, eine vollkommen verwüstete, ja, vielleicht total zerstörte Welt vorzufinden, einen Planeten, der von außerirdischen Invasoren beherrscht wurde und auf dem es vielleicht gar keine Menschen mehr gab.

Was sie nicht erwartet hatte war, sich in einer vollkommen veränderten Welt wiederzufinden.

Die Moroni hatten sich nicht damit begnügt, neun Zehntel der Weltbevölkerung auszulöschen und das überlebende Zehntel in die Steinzeit zurückzubomben oder zu versklaven. Sie hatten ihre eigene Welt mitgebracht. Ein Großteil der Fauna und Flora, die Charity gekannt hatte, war verschwunden, und die entstandenen Lücken waren von einer vollkommen fremden Ökologie ausgefüllt worden, der im Grunde nur eines gemein war: Sie war feindselig und tödlich.

Die Moroni waren Insekten, zwei Meter große, ameisenähnliche Kreaturen, die keinerlei Individualität kannten und den Befehlen einer geheimnisvollen Gemeinschaftsintelligenz im Hintergrund gehorchten, die sie niemals wirklich kennengelernt hatten. In der Welt, auf der die Moroni ihren Ursprung hatten, war die Entwicklungsgeschichte des Lebens anders verlaufen als auf der Erde: Die Insekten hatten das Evolutionsrennen gewonnen, nicht die Säugetiere.

Und die Invasoren hatten ihre eigene Tier- und Pflanzenwelt mitgebracht.

Wenigstens hatten sie das gedacht.

Die Wahrheit war jedoch viel furchtbarer.

Vielleicht hätte man sie niemals erkannt, hätte es das große Sterben nicht gegeben.

Niemand kannte den Grund dafür, aber Tatsache war, das weniger als acht Monate, nachdem sie die Invasoren endgültig geschlagen und die Erde von dem galaxisumspannenden Transmitternetz Morons getrennt hatten, sämtliche Moroni auf der Erde gestorben waren, scheinbar ohne Grund und alle in der gleichen Sekunde - und mit den Moroni sämtliche fremden Lebensformen, die sie mit sich gebracht hatten.

Seltsamerweise war dies nur ein Bruchteil der Monster und fremden Pflanzen, die die Erde seit sechzig Jahren bevölkerten.

Die Erklärung, die einer von Hartmanns Wissenschaftlern geliefert hatte, war so schrecklich, daß Charity sich monatelang schlichtweg dagegen gesperrt hatte, sie zu akzeptieren: Die fremden Monster waren keine fremden Monster. Es war das, was das Mutagen aus der irdischen Tier- und Pflanzenwelt gemacht hatte.

Offensichtlich hatten die Invasoren gleich nach ihrer Ankunft auf der Erde einen künstlich erzeugten Virus ausgesetzt, der sich rasend schnell verbreitete und einen zusätzlichen Baustein in die DNS-Ketten seiner Opfer einfügte. Diese veränderte DNS sorgte nicht nur dafür, daß das infizierte Opfer nun seinerseits Mutagen-Viren produzierte, sondern begann in den nachfolgenden Generationen auch immer bizarrere Mutationen hervorzubringen.

Die Ungeheuer, mit denen Charity es gerade zu tun gehabt hatte, waren ein gutes Beispiel dafür. Sechzig Jahre zuvor waren die Urgroßeltern der katzengroßen Monster tatsächlich ganz normale, irdische Raubwanzen gewesen, stecknadelkopfgroße, harmlose Geschöpfe, die vielleicht ein ästhetisches, allenfalls ein hygienisches Problem darstellten. Heute gehörten sie zu einer der größten Gefahren, die den Bewohnern nicht gesicherter Gebiete drohten - was praktisch für neunundneunzig Prozent der Erdoberfläche galt.

Die räuberischen Rieseninsekten stellten schon einzeln eine ernstzunehmende Gefahr für einen unbewaffneten Menschen dar. Zu Hunderten oder gar zu Tausenden konnten sie eine ganze Stadt binnen weniger Stunden entvölkern. Charity hatte selbst miterlebt, wie schwerbewaffnete Infanterieeinheiten vor den Raubzügen der Wanzen geflohen waren. Und die Wanzen stellten nur eine von buchstäblich zahllosen neuen Spezies dar, die nach der Vernichtung der Invasoren auf der Erde zurückgeblieben waren.

Angesichts all dessen kam es Charity immer weniger als eine gute Idee vor, sich ganz allein und nur mit einer Laserpistole bewaffnet auf den Weg zu machen, um das Mädchen aus der Gewalt der Wanzen zu befreien. Trotzdem stockte sie nicht einmal im Schritt, als sie den U-Bahn-Schacht erreichte und über die mit Trümmern und Schutt übersäte Treppe in die Tiefe zu steigen begann. Sie wußte zwar, daß es völliger Unsinn war, doch ein jeder Logik unzugänglicher Teil ihres Denkens beharrte nachdrücklich darauf, daß sie es dem toten Mann in der Ruine schuldig sei, das Mädchen zu retten, falls es noch lebte.

Dabei wäre es klüger gewesen, die wenigen Minuten zu warten und sich dann zusammen mit einem Dutzend bis an die Zähne bewaffneter Marines auf die Suche nach Melissa zu machen - aber was bedeuteten schon Logik und Sicherheit, wenn das Leben eines Kindes auf dem Spiel stand? Charity wußte, daß sie den Tod des Mannes überwinden würde; doch mit der Möglichkeit, das Mädchen zu finden und festzustellen, daß es gestorben war, nur weil sie die entscheidende Minute zu lange gewartet hatte - damit wäre sie mit Sicherheit nicht fertig geworden.

Charity erreichte das untere Ende der Treppe, blieb stehen und schaute sich aufmerksam um. Das Sonnenlicht reichte gerade aus, um die ersten fünf oder sechs Meter des eingestürzten U-Bahn-Tunnels zu erhellen. Alles, was dahinter lag, war in vollkommener Dunkelheit verborgen. Nicht nur ein gutes Versteck für alle nur unvorstellbaren gefräßigen Räuber, sondern vor allem eine perfekte Leinwand, auf der Charitys außer Rand und Band geratene Phantasie alle möglichen Schreckensbilder malen konnte.