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Wurde sie angegriffen, saß sie in der Falle.

Das Weinen wurde allmählich lauter, doch je tiefer Charity in den Gang vordrang, desto mehr andere Geräusche hörte sie. Die allerwenigsten davon gefielen ihr. Ein noch schwacher, aber jetzt schon unangenehmer Geruch erfüllte die Luft.

Eine Falle, dachte sie. Das ist eine gottverdammte Falle. Und ich tappe mit offenen Augen hinein.

Nach gut dreißig Schritten traf sie auf die erste Wanze. Es war ein einzelnes Tier, das sich aus unerfindlichen Gründen von der Hauptmasse getrennt hatte, dem Anblick des Leckerbissens, der da auf sie zukam, aber nicht widerstehen konnte. Charity verzichtete darauf, ihre Waffe einzusetzen, sondern wich ihm mit einer raschen Bewegung aus und zertrat die Kreatur, bewegte sich dann aber weitaus vorsichtiger weiter als zuvor.

Nur zu recht, wie sich nach wenigen Schritten herausstellte.

Vor ihr lag eine Kreuzung. Die linke Abzweigung und der weiter geradeaus führende Teil des Tunnels waren leer, aber aus dem rechten wuselten ihr gleich vier oder fünf der totenweißen Raubinsekten entgegen. Charity ließ zwei der Biester an ihrem Körperschild verglühen, erschoß die übrigen mit ihrem Laser und stürmte weiter, wobei sie alle Vorsicht fallen ließ. Die grellen Entladungen der Strahlenwaffe mußten die restlichen Insekten ohnehin alarmiert haben. Sie konnte nur beten, daß sie nicht durch die Tür stürmen und sie sich der gesamten Wanzenarmee gegenübersehen würde.

Ihre Gebete wurden tatsächlich erhört, wenn auch nicht ganz in dem Maße, wie Charity es sich erhofft hatte. Der Raum, in den sie gelangte, war von quadratischem Grundriß und maß vielleicht fünfzehn Meter, was ihn beinahe schon zu einer kleinen Halle machte. Es wimmelte nicht gerade von Wanzen; trotzdem mußten es gut zwei oder drei Dutzend der kleinen Scheusale sein, die sich darin aufhielten. Ein Teil von ihnen war damit beschäftigt, zwei menschliche Gestalten zu bewachen, die zusammengekauert in der entferntesten Ecke des Raumes hockten; der Rest stürzte sich wie auf ein gemeinsames Kommando auf Charity.

Sie gab rasch hintereinander drei, vier Schüsse aus ihrer Laserwaffe ab, dann stürzte sie los und überließ es ihrem Körperschild, mit den Angreifern fertig zu werden, die wie eine Flut hüpfender weißer Gummibälle aus allen Richtungen auf sie einstürmten.

Es war keine gute Idee. Das Energiefeld verbrannte jede Wanze, die es berührte, aber es konnte Charity nicht vor der Wucht des Aufpralls schützen.

Sie taumelte wie unter einem Bombardement eisenharter Fußbälle, und obwohl die Bestien schon bei der flüchtigsten Berührung starben, bekam Charity zwei, drei üble Schnittwunden ab, noch bevor sie sich dem Mädchen und ihren unbekannten Begleitern auch nur näherte. Der Schildgenerator in ihrem Gürtel brummte protestierend.

Trotzdem stolperte sie weiter, gab ungezielte Schüsse nach rechts und links ab und erreichte Melissa schließlich. Mit ein paar wütenden Fußtritten schleuderte sie die Wanzen davon, die Melissa und den Mann bewachten. Das Mädchen schrie auf, sprang in die Höhe und wollte sich auf Charity werfen - ein Kind, das in Panik war und den Schutz eines Erwachsenen suchte. Charity prallte im allerletzten Moment zurück und machte eine verzweifelte Abwehrbewegung.

»Nicht!« schrie sie. »Faß mich nicht an!«

Sie bezweifelte, daß das Mädchen verstand, was sie sagte, ganz zu schweigen davon, warum sie es sagte, aber allein ihr Schrei und die hektische Bewegung erfüllten ihren Zweck.

Melissa prallte mitten in der Bewegung zurück, und im nächsten Augenblick griff ihr unbekannter Begleiter nach ihr und riß sie mit einem Ruck zu sich heran. Auf den Gesichtern der beiden war die gleiche, tief sitzende Furcht zu erkennen, die Charity auch schon auf den Gesichtern der Leute draußen entdeckt hatte. Vielleicht war das auch gut so, wenigstens im Moment.

Denn Charity hatte noch immer alle Hände voll damit zu tun, sich der angreifenden Wanzen zu erwehren. Gut die Hälfte der Biester war bereits tot, an ihrem Körperschild verbrannt oder unter den Treffern der Laserwaffe explodiert, aber der Rest setzte seinen Angriff hartnäckig fort.

Der Generator in Charitys Gürtel brummte mittlerweile nicht mehr protestierend, sondern knatterte wie ein defekter Rührquirl, und die Laserschüsse, die sie in rascher Folge abgab, töteten nicht nur eine Wanze nach der anderen, sondern erfüllten den Raum auch mit immer unerträglicher werdender Hitze. Die toten Insekten verbrannten und schwängerten die Luft dabei zusätzlich mit fettigem, übelriechendem Qualm, der jeden Atemzug zur Qual werden ließ.

Es war die Hölle.

Als Charity schon glaubte, nicht mehr länger durchhalten zu können, starb die letzte Wanze in einem grellen Feuerblitz, und der Angriff endete so abrupt, wie er begonnen hatte.

Charity ließ erschöpft die Waffe sinken, taumelte zwei, drei Schritte zur Seite und schaltete mit einer kraftlosen Bewegung den Schildgenerator ab, bevor ihr das Ding um die Ohren fliegen oder ein Loch in ihre Hüfte brennen konnte. Blut lief über ihr Gesicht, und ihr Herz hämmerte, als wolle es jeden Augenblick zerspringen. Die Schwäche schlug wie eine Woge über ihr zusammen, so daß sie sich gegen die Wand sinken ließ und sekundenlang mit geschlossenen Augen dastand, bis die Dunkelheit hinter ihren Lidern endlich aufhörte, Purzelbäume zu schlagen.

Als Charity die Augen aufschlug, blickte sie in zwei schreckensbleiche Gesichter, auf denen die Todesangst nicht schwächer geworden war, sondern nur eine andere Ursache bekommen hatte. Das Mädchen und der junge Mann - Charity überlegte einen Moment, ob er ihr Vater sein konnte, gelangte dann aber zu dem Schluß, daß er zu jung dazu war; außerdem gab es nicht die geringste Ähnlichkeit zwischen ihnen - hatten sich schutzsuchend aneinandergedrängt und waren so weit vor ihr zurückgewichen, wie es nur ging. Charity stieß sich von der Wand ab, erinnerte sich aber dann an die Reaktion der Leute oben und blieb nach einem Schritt wieder stehen.

»Du bist Melissa?« fragte sie.

Das Mädchen - Charity schätzte ihr Alter auf vielleicht neun oder zehn Jahre, und so weit man dies unter all dem Schmutz und Blut auf ihrem Gesicht erkennen konnte, ähnelte es seiner Mutter wie eine perfekte, nur zwanzig Jahre jüngere Kopie - nickte, ohne etwas zu sagen, aber in die Angst in ihren Augen mischte sich ein Ausdruck sanfter Überraschung.

»Und du?«

»Walter«, erwiderte der Mann zögernd. »Mein Name ist Walter.«

Er sprach den Namen seltsam aus, nicht auf die Charity gewohnte Weise. Wie alle Menschen dieser neuen Erde sprach er Neu-Englisch, die von den Moroni in fünfzig Jahren Besatzungszeit aufoktroierte Einheitssprache, aber er hatte einen sonderbaren Akzent, der ein wenig an den Hartmanns erinnerte.

Charity besann sich wieder darauf, daß sie nicht im heimatlichen Amerika war, sondern in einem Bereich Europas, der vor der Invasion der Sterneninsekten einmal Deutschland geheißen hatte.

»Hör mir zu, Melissa«, sagte sie, so ruhig sie konnte. »Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Deine Mutter schickt mich, um dich zu holen.«

»Meine Mutter?« Melissas Blick flackerte. Etwas wie eine verzweifelte Hoffnung erschien darin, aber Furcht und Mißtrauen wichen keineswegs. »Sie... sie ist am Leben?«

»Sie und alle anderen«, antwortete Charity. Die meisten jedenfalls, korrigierte sie sich in Gedanken, hütete sich aber, das laut auszusprechen. »Sie sind am Leben, und sie bleiben am Leben. Und das werden wir auch. Aber dazu müssen wir hier heraus, und zwar schnell.« Sie wandte sich an Walter. »Waren das alle Wanzen, oder gibt es noch mehr?«