Eine besonders wichtige philosophische Kategorie, die die formale Logik als gegeben hinnehmen muß, die aber für ihren ganzen Aufbau von entscheidender Bedeutung ist, ist die Kategorie der Wahrheit. Einerseits muß die formale Logik diesen Begriff als gegeben voraussetzen (die ganze Aussagelogik beispielsweise ist ja nichts anderes als die Lehre von den Beziehungen zwischen der Wahrheit oder Falschheit von einfachen Aussagen und der Wahrheit oder Falschheit von Aussagen, die aus diesen einfachen Aussagen zusammengesetzt sind), andererseits sind in ihr Probleme entstanden (etwa die logischen Paradoxien), die zeigen, daß der Wahrheitsbegriff des Alltagslebens einer Klärung und Präzisierung bedarf.
Als Einwand gegen eine Beschäftigung mit der formalen Logik wird oft geltend gemacht[81], daß sie sich doch nur mit dem beschäftige, was sowieso jeder wisse und könne. Es wird etwa gefragt: Logisch denken können alle normalen Menschen, wozu also eine besondere Wissenschaft der Logik? Gegen eine solche Einschätzung des Wertes und des Nutzens der Wissenschaft der formalen Logik lassen sich grundsätzliche Argumente anführen. Derartige Vorwürfe beinhalten eine Verherrlichung[82] der Spontaneität auf dem Gebiet des Denkens, eine Unterschätzung des theoretischen Denkens. Das spontane logische Denken reicht im allgemeinen zur Lösung der logischen Probleme aus, die im Alltagsleben auftreten. Es reicht im allgemeinen auch aus für die massenhafte Produktionstätigkeit der Mehrzahl der Werktätigen. Allerdings[83] muß schon hier eine Einschränkung gemacht werden. Mit dem Heraufkommen[84] des Zeitalters der Automatisierung spielt die moderne formale Logik eine immer größere Rolle. In jedem modernen Lehrbuch der Automatisierungstechnik gibt es heute bereits Kapitel über die Anfangsgründe der formalen Logik. Die formale Logik gehört zu den Grundlagenfächern der Technik von morgen.
3. Die Geschichte des logischen Denkens ist so alt wie die Menschheit selbst. Sie läßt sich nur durch Analyse der Sprache primitiver Völker und andere indirekte Methoden in groben Umrissen erschließen. Besser kennen wir die Geschichte der Wissenschaft der Logik. Seit dem 5. Jahrhundert v.u.Z. läßt sich die bewußte Beschäftigung mit Problemen der formalen Logik an Hand literarischer Fragmente bei den Indern, Chinesen und Juden nachweisen. Fragmente zur Logik finden sich auch bei Xenon, bei den Sophisten, beiden Megarikern, bei Sokrates und Platon. Aus mancherlei Gründen ist auch anzunehmen, daß es logische Schriften des großen Materialisten Demokrit gegeben hat, die später verlorengingen oder vernichtet wurden. Der eigentliche Schöpfer der Wissenschaft der Logik ist Aristoteles, weil er als erster mit logischen Aussageformen gearbeitet und bewußt Variable benützt hat.
Ein Syllogismus der folgenden Art:
enthält die Variablen S, M, P. Erst zu Beginn der Neuzeit, in der Algebra des Franzosen Vieta, wird diese Entwicklung außerhalb[85] der Logik weitergeführt.
Aristoteles hat in seinen Schriften die Aussagenlogik mehr oder weniger implizit benützt. Explizite Darstellungen der Grundlagen der Aussagenlogik finden wir in der Stoa.
Mit dem Heraufkommen der mathematischen Logik wird die Frage der Logik als einer philosophischen Disziplin neu gestellt. Sie kann sicher nicht so gelöst werden, daß man gleichsam eine philosophische Logik, deren Problembestand im wesentlichen mit dem[86] der traditionellen Logik identisch ist, neben eine moderne mathematische Logik ohne philosophische Problematik stellt. Es ist vielmehr die Aufgabe der marxistischen Philosophen, eine philosophische Grundlegung der modernen Logik auf der Basis des dialektischen Materialismus zu geben. Dieser Prozeß ist noch im Gange.
4. Wird die Frage gestellt, ob ein Unterschied zwischen der formalen Logik und der mathematischen Logik besteht, so muß eindringlich[87] darauf hingewiesen werden, daß es in dieser Beziehung nur eine Logik gibt. Die mathematische Logik ist die moderne Gestalt der formalen Logik.
Diese moderne Logik behandelt in ihrem ersten grundlegenden Teil die Theorie der logischen Konstanten (d.h. Ausdrücke wie ¬p, p˄q, p˅q, p→q, p↔q), die einstelligen Prädikate, wie S(x), P(x) und ihre Theorie, die mehrstelligen Prädikate, wie R(x, у), T(x, y, z), und, darauf aufbauend, die Theorie der Prädikaten-Prädikate, wie ℐ(P), ℋ(S), ℑ(S, P) usw.
Da der Unterschied zwischen traditioneller Logik und mathematischer Logik kein Unterschied im Gegenstand und in der Methode ist, sondern nur ein Unterschied im historischen Entwicklungsstand, so ist diese Definition zugleich die Definition der formalen Logik überhaupt.
Im einzelnen ist zum Unterschied zwischen der mathematischen Logik und der traditionellen Logik folgendes zu sagen: Die mathematische Logik ist nicht aus philosophischen Bedürfnissen geboren worden, vielmehr aus dem Interesse, die logischen Grundlagen der Mathematik explizit darzustellen. Die Entstehung der Differential- und Integralrechnung hat eine Fülle logischer Probleme ergeben, die zunächst keiner Klärung zugeführt werden konnten. Es war im wesentlichen der praktische Erfolg der neuen mathematischen Disziplinen, wie Differentialgleichungen, Differentialgeometrie, komplexe Funktionentheorie usw., der als erkenntnistheoretische Rechtfertigung dieser neuen Disziplinen dienen konnte. Es ist aus der Rückschau[88] erstaunlich, daß Mathematiker wie Euler, d’Alembert, Gauss, Cauchy u.a. mathematische Begriffe, mit denen sie arbeiteten, ohne den logischen Apparat, der eigentlich erforderlich gewesen wäre, um sie streng zu definieren, doch richtig handhabten.
Es zeigte sich jedoch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, daß eine exakte logische Grundlegung[89] der modernen Mathematik, zu der der traditionelle Logikapparat nicht mehr ausreichte, unerläßlich war. Diese Neugestaltung der logischen Grundlagen der Mathematik war auch deswegen unerläßlich, weil sich zeigte, daß das elementare Operieren mit den mathematischen Grundbegriffen zu Widersprüchen führte, die innerhalb der Mathematik nicht zu beseitigen waren.
Mit den Werken von Bolzano, vor allem mit seiner Wissenschaftslehre (1837), mit Arbeiten von Boole, vor allem «An Investigation of the Laws of Thought» (1854), und von De Morgan, «Formal Logic or the Calculus of Inference, Necessary and Probable» (1847), begann eine neue Ära der Logik.
Für die mathematische Logik ist charakteristisch, daß sie eine der Mathematik ähnliche Sprache benützt, woraus ihr Name resultiert. Es wird dadurch eine in der traditionellen Logik nicht möglich gewesene Präzision der Darstellung logischer Beziehungen und insbesondere des logischen Schließens erreicht. Wesentlich ist vor allem, daß nunmehr[90] keine stillschweigenden Voraussetzungen benützt werden (z.B. keine stillschweigende Benützung der Aussagenlogik, wie dies in der traditionellen Logik der Fall war). Alle logischen Schlüsse werden gleichsam durch ein mathematisches Operieren mit Formeln gewonnen. Wichtig ist die Bereicherung der Logik durch die Relationslogik. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde die mathematische Logik weitergeführt durch Frege, Peano, Russell, Whitehead, Hilbert u.a. In neuester Zeit hat die mathematische Logik nicht nur Anwendung in der mathematischen Grundlagenforschung, sondern auch in der Wahrscheinlichkeitsrechnung, in gewissen Bereichen der theoretischen Physik, der Schaltalgebra und anderen Gebieten der Technik gefunden. Sie hat sich insbesondere als eine der grundlegenden Voraussetzungen für das Entstehen der Kybernetik erwiesen.