Die materiellen Objekte besitzen nicht nur eine Eigenschaft, sondern viele: Form, Gewicht, Farbe, Geruch usw. Unsere Sinnesorgane empfinden diese Eigenschaften. Auf Grund dieser Empfindungen entsteht im Gehirn die einheitliche und geschlossene Wahrnehmung der Gegenstände. Jedem materiellen Objekt entspricht seine bestimmte Wahrnehmung durch das Subjekt. In den Besonderheiten der Wahrnehmung kommt die Besonderheit der materiellen Objekte, kommen ihre Ähnlichkeiten und Unterschiede zum Ausdruck.
Das Gehirn besitzt die Fähigkeit, Vorstellungen zu reproduzieren, das heißt Abbilder solcher Gegenstände, die im Augenblick keine Empfindungen in uns hervorrufen. Solche Bilder scheinen Produkte einer spontanen Bewußtseinstätigkeit zu sein. Das ist aber nicht der Fall. Vorstellungen kann es nur von solchen Objekten geben, die in uns wirklich einmal Empfindungen hervorgerufen haben, deren Spuren im Gehirn festgehalten wurden. Gleich den Empfindungen und Wahrnehmungen, auf deren Grundlage sie entstehen, sind die Vorstellungen, Widerspiegelungen, Abbilder der materiellen Welt.
Da aber die Vorstellungen nicht an jeweils gegebene Empfindungen gebunden sind, besitzen sie eine relative Selbständigkeit und können willkürlich miteinander verbunden werden. Die Phantasie des Menschen kann Elemente der verschiedenartigsten Vorstellungen kombinieren, die auf der Grundlage früherer Empfindungen und Wahrnehmungen gebildet worden sind, aber letztlich sind alle diese Elemente Widerspiegelungen der objektiven Realität.
Das Denken ist ebenfalls eine Widerspiegelung der Außenwelt. Diese Form der Widerspiegelung der Welt ist gleichfalls ohne Empfindungen nicht möglich. Aber im Unterschied zu den Empfindungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen hat das Denken keinen konkret-sinnlichen Charakter und widerspiegelt nicht nur einzelne Dinge und Erscheinungen, sondern vor allem das Allgemeine in den Dingen und Erscheinungen, ihr inneres Wesen, die inhärenten Zusammenhänge, Gesetzmäßigkeiten. Diese verallgemeinerte Widerspiegelung der Wirklichkeit durch das Denken geht mit Hilfe der Begriffe vor sich (die selbstverständlich auch falsch sein können).
Das Gesagte bestätigt nochmals, daß die materialistische Philosophie die Grundfrage der Philosophie völlig richtig beantwortet. Aus ihr geht hervor, daß die Materie primär, das Bewußtsein dagegen sekundär ist. Das ist nicht nur so zu verstehen, daß das Bewußtsein von der Materie hervorgebracht worden ist, sondern auch in dem Sinne, daß der Inhalt des Bewußtseins durch die materielle Wirklichkeit bestimmt wird, deren Widerspiegelung es ist.
Übungen
XVII. Geben Sie den Inhalt des Textes kurz wieder. Betiteln Sie den Text.
XVIII. Wiederholen Sie den §5. Machen Sie einen mündlichen Bericht zum Thema «Die formale und die dialektische Logik».
Fragen für Fortgeschrittene
Die hier angeführten Aussagen widersprechen einander im wesentlichen. Welche davon halten Sie für richtig und warum?
1. «Um die wahren Meinungen der Menschen kennenzulernen, glaubte ich mehr auf ihre Handlungen, als auf ihre Reden achtgeben zu müssen».
2. «Das wesentliche im Dasein eines Mannes liegt in dem, was er denkt, und nicht in dem, was er tut oder auch erleidet».
3. «Die Menschen denken über die Vorfälle[119] des Lebens nicht so verschieden, als sie darüber sprechen».
Fünf Sinne
(Ein Scherz)
Der Lehrer fordert Fritz auf, ihm die fünf Sinne zu nennen. Fritz aber kennt sie nicht. Da will der Lehrer nachhelfen: «Na, denke doch mal nach. Wenn du dir die Welt anschaust, siehst du doch allerlei, und wenn die Leute reden, dann hörst du doch allerhand».
Da fällt es Fritz plötzlich ein: «Ja, die fünf Sinne heißen: Blödsinn, Unsinn, Stumpfsinn, Eigensinn und Wahnsinn».
§ 7.
Die Dialektik in der Kunstgeschichte
Text А
(Feist, S. 25 – 28)
1. «Die Dialektik ist die Wissenschaft von den allgemeinen Bewegungs- und Entwicklungsgesetzen der Natur, der Menschengesellschaft und des Denkens». Sie besagt in ihrer durch Marx und Engels begründeten materialistischen Form, daß sich die Natur und die Gesellschaft – und damit auch die Kunstgeschichte und der künstlerische Schaffensprozeß – in dialektischer Weise bilden, vollziehen und verändern und daß das Denken der Menschen diese Dialektik erfassen und sich auch selbst dialektisch vollziehen muß, wenn es die objektive Realität richtig widerspiegeln, d.h. zu wahren Aussagen gelangen soll. Die dialektischen Gesetze, die – fußend[120] auf Hegel – vor allem Engels 1876/78 im «Anti-Dühring» und Lenin 1915 oder 1916 in seinen Notizen «Zur Frage der Dialektik» dargelegt haben, beinhalten im wesentlichen folgendes: erstens, den wechselseitigen Zusammenhang aller Erscheinungen, d.h. die Beziehungen von Ursache und Wirkung, Allgemeinem und Besonderem, Notwendigkeit und Zufall, Möglichkeit und Wirklichkeit. Zweitens, als Gegensatz zur metaphysischen Behauptung von ewigen Konstanten – die ständige Bewegung und Entwicklung in allen Bereichen der Realität und des Bewußtseins. Drittens, den Vollzug[121] dieser Entwicklung in der Weise, daß quantitative Veränderungen an einem bestimmten Punkt in eine neue Qualität Umschlägen, daß sich die Entwicklung also im wesentlichen in Sprüngen vollzieht. Viertens, besagt die Dialektik, daß die Entwicklung durch Entstehung und Überwindung innerer Widersprüche in den Dingen und Zusammenhängen vorwärtsgetrieben wird, wobei man von dem Gesetz der Negation der Negation sprechen kann, und, fünftens, daß dabei die Einheit und der Kampf der Gegensätze, die in sich widerspruchsvolle und damit bewegende coincidentia oppositorum[122], z.B. des Relativen und des Absoluten, wirkt und beachtet werden muß.
2. Die Einsicht in die objektive Dialektik, vor allem in den wechselseitigen Zusammenhang, die reziproke[123] Bedingtheit der Phänomene, macht die Gewinnung von kunstgeschichtlichen Erkenntnissen, das Abgeben[124] von Urteilen, die Systematisierung der Methoden und der Erkenntnisse besonders kompliziert. Die verschiedenen Aspekte lassen sich nie säuberlich[125] voneinander trennen. Aber die Dialektik verlangt vor allem die Berücksichtigung der Entwicklung und der historischen Umstände. Die Wahrheit ist immer konkret.
Die Dialektik hilft der Ästhetik, die Beziehungen zwischen Objektivem und Subjektivem im ästhetischen Verhalten zur Realität, einschließlich des Kunstschaffens, zu klären, und ermöglicht dem Kunsthistoriker, die Beziehungen zwischen Einzelkunstwerk oder einzelnem Künstler und Stil – sei es nun Stil einer Gruppe, einer Klasse, einer Epoche, eines Stammes[126] oder einer Nation – als dialektische Relation von Besonderem und Allgemeinem zu begreifen. «Das Einzelne existiert nicht anders als in dem Zusammenhang, der zum Allgemeinen führt. Das Allgemeine existiert nur im Einzelnen, durch das Einzelne. Jedes Einzelne ist (auf die eine oder andere Art) Allgemeines. Alles Allgemeine ist ein Teilchen oder eine Seite oder das Wesen des Einzelnen. Alles Allgemeine umfaßt alle einzelnen Dinge lediglich[127] annähernd. Alles Einzelne geht in das Allgemeine nur unvollständig ein usw., usw. Alles Einzelne hängt durch Tausende von Übergängen mit einer anderen Art Einzelner (Dingen, Erscheinungen, Vorgängen) zusammen usw.»[128]. Man setze statt «Einzelnes» die Gemälde von Rubens oder die Maler Rubens, van Dyck, Jordaens[129] und statt «Allgemeines» Barock oder flämische Kunst, um zu verstehen, was hier angedeutet werden soll.