2. Die atheistischen Ideen des französischen Materialismus blieben nicht ohne Einfluß auf das deutsche Geistesleben zu Ausgang des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts; sie wirkten weithin nach[146], obwohl sich die zur Macht gelangte französische Bourgeoisie sehr bald von den materialistischen und atheistischen Traditionen ihres antifeudalen Kampfes lossagte.
Prinzipielle Schärfe gewann der Kampf gegen die bestehende Religion in Deutschland zu Beginn der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts, als sich die Kräfte der bürgerlichen Revolution von 1848 zu formieren begannen. Hier bereitete die Theorie der Mythenbildung der Evangelien, die D.F. Strauß entwickelte, und die von B. Bauer und G.F. Daumer geführte Richtung der historischen Bibelkritik das Terrain[147] für die offen materialistisch-atheistische Religionskritik Feuerbachs.
Der Materialismus der russischen revolutionären Demokraten (Belinski, Dobroljubow, Herzen, Ogarjow, Tschernyschewski), der von Feuerbach beeinflußt war, trug scharf atheistischen Charakter. Die russischen revolutionären Demokraten stellten die Religionskritik bewußt in den Dienst der bäuerlich-demokratischen antizaristischen Bewegung, wobei sie sich auf die bisherigen Ergebnisse des Atheismus der vorangegangenen Zeit in bezug auf die Rolle und die Herkunft der Religion stützten. Sie gelangten jedoch ebensowenig wie Feuerbach über die prinzipiellen Schranken des bürgerglichen Atheismus hinaus. Diese bestanden vor allem darin, daß die Religion lediglich als Bewußtseinsphänomen betrachtet wurde. Deshalb erblickten diese Materialisten auch in der weltanschaulichen Aufklärung die Hauptmethode des Kampfes zur Überwindung von Religion und abergläubischer Befangenheit[148]. Sie vermochten nicht – und das war eine unvermeidliche Konsequenz ihres Verharrens auf idealistischen Positionen auf dem Gebiet der Gesellschaftsbetrachtung – die objektiven sozial-ökonomischen Wurzeln, die Klassenbedingtheit aller Religion aufzudecken, denn das hätte die Aufhellung des Ausbeutungscharakters der kapitalistischen wie jeder Klassengesellschaft erfordert. Das war vom Standpunkt der bürgerlichen Klasse, deren fortgeschrittene ideologische Vertreter sie waren, nicht vollziehbar.
3. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wird der bürgerliche Atheismus durch den von Marx und Engels begründeten proletarischen Atheismus überwunden.
Der proletarische Atheismus beruht auf dem gesicherten wissenschaftlichen Fundament der marxistisch-leninistischen Philosophie, dem dialektischen und historischen Materialismus, dessen Konsequenz und untrennbarer Bestandteil er ist. Der proletarische, wissenschaftliche Atheismus deckt zum ersten Male in der Geschichte der Auseinandersetzung mit der Religion konsequent deren sozial-ökonomische und erkenntnistheoretische Wurzeln auf. Er sieht die Religion als Folge des primitiven Entwicklungsstandes der Produktivkräfte in der widerspruchsvollen Entwicklung in den Klassengesellschaften und widerlegte durch historische und erkenntnis-theoretische Untersuchungen (in die die positiven Resultate des bürgerlichen Atheismus und der bürgerlichen Religionskritik Aufnahme fanden[149]) die theologischen Behauptungen vom göttlichen Ursprung, von der Ewigkeit und dem allgemeinmenschlichen Charakter der Religion.
Als Grundzug der revolutionären wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse erblickt der proletarische Atheismus jedoch primär in den sozial-ökonomischen Bedingungen der Ausbeutergesellschaft die Wurzeln der Religion und des religiösen Aberglaubens: «Die soziale Unterdrückung der werktätigen Massen, ihre scheinbar völlige Ohnmacht gegenüber den blind waltenden Kräften des Kapitalismus, der den einfachen arbeitenden Menschen täglich und stündlich tausendmal mehr entsetzlichste Leiden und unmenschlichste Qualen bereitet als irgendwelche außergewöhnlichen Ereignisse wie Kriege, Erdbeben usw. – darin liegt heute die tiefste Wurzel der Religion» (Lenin, Werke, 15, 408). Was für den Kapitalismus in besonderem Maße, gilt entsprechend für die gesamte geschichtliche Periode der auf Ausbeutung und Unterdrückung der Volksmassen beruhenden Klassengesellschaft. Die Charakterisierung der Religion als des «illusorischer Glücks» (Marx) entschleiert sowohl in der sozialen Unterdrückung, Niederhaltung[150] der Mehrheit der Gesellschaft die Hauptursache der Religion, wie sie zugleich eine konsequent revolutionäre Orientierung auf die Beseitigung aller gesellschaftlichen Verhältnisse gibt, «in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen» ist (Marx).
4. Der proletarische Atheismus zeigt mit der Orientierung auf den revolutionären Kampf zur Beseitigung der Ausbeuterordnung – bei dem die führende Kraft die revolutionäre Arbeiterklasse unter Führung ihrer marxistisch-leninistischen Partei ist – die Perspektive völlig neuer Beziehungen der freien, gleichberechtigten Menschheit der entwickelten sozialistischen Gesellschaftsordnung: Die Religion wird aus dem Leben der Gesellschaft schwinden[151], «wenn die Gesellschaft durch Besitzergreifung und planvolle Handhabung[152] der gesamten Produktionsmittel sich selbst und alle ihre Mitglieder aus der Knechtung befreit hat» (Marx, Engels, Werke, 20, 295). Hierdurch gewinnt auch die weltanschauliche Aufklärung, die atheistische Propaganda des Marxismus-Leninismus, den ihr zukommenden Platz als ein organischer Bestandteil des revolutionären Klassenkampfes der Arbeiterklasse und der mit ihr verbündeten Klassen und Schichten. Die atheistische Propaganda, die sich in vielfältigen Formen auf die Formierung eines wissenschaftlich gesicherten Weltbildes unter den Volksmassen richtet, ist ein objektiv notwendiger Bestandteil des Kampfes gegen den politischen Klerikalismus und den Mißbrauch der Religion durch die Ausbeuterklassen wie für die Freimachung aller schöpferischen Talente und Energien des Volkes im Kampf um die neue, menschliche Gesellschaft: den Sozialismus und Kommunismus. Sie berührt nicht die Frage der vollen Glaubensfreiheit und der ungehinderten Religionsausübung, die in allen sozialistischen Ländern verfassungsmäßig garantiert und geschützt ist.
Übungen
I. Lesen Sie die folgenden Wörter richtig vor:
unterliegen; das Zeugnis; die Kennzeichnung; altgriechisch; christlich; jeglich; der Charakter; entlarven; die Tyrannei; religiös; das Evangelium; antifeudal; die Mythe; beeinflussen; vorangegangen; unvermeidlich; die Konsequenz; das Fundament; der Aberglaube; die Qual; verächtlich; gleichberechtigt; der Mißbrauch; die Religionsausübung.
II. Lesen Sie und übersetzen Sie den Text A.
III. Geben Sie entsprechende russische Äquivalente für folgende Ausdrücke:
1. unterschiedlichen Deutungen unterliegen; das schriftliche Zeugnis; zur Kennzeichnung von Stämmen; der Glaube an Gott; altgriechisch; die Götter des Kultus; die christliche Tradition des Mittelalters; den Anspruch mit j-m teilen; die Leugnung jeglicher Gottesvorstellungen; der Kampf gegen den Klerikalismus; ein ausgesprochen streitbarer Charakter; die Religion entlarven; die Stütze der Tyrannei; Unwissenheit verbreiten; der Quell aller sozialen Übel; den Klerus anprangern; der religiöse Betrug; die Verlogenheit der religiösen Moral; die Empörung gegen die Kirche; zur Einigung der antifeudalen Kräfte beitragen; in das Bewußtsein eindringen.