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«Und dieser jüngere Bursche da mit dem stachligen, orangeroten Heiligenschein?«

«Jason? Machen Sie sich wegen seiner Haare keine Sorgen, er ist harmlos. Er stellt unsere Muskeln dar. Die Steine sind in größerer Zahl ziemlich schwer, wissen Sie. Jason bewegt die Pakete, füllt Lagerbestände auf, übernimmt Gelegenheitsarbeiten und saugt Staub. Manchmal hilft er auch Alfie oder Lily, wenn wir anderen zu viel zu tun haben. Wie ich schon sagte, macht jeder von uns, was gerade erforderlich ist. Mr. Franklin hat nie zugelassen, daß sich einer ein eigenes Territorium absteckt.«

«Seine Worte?«

«Ja, natürlich.«

Kollektive Verantwortung, dachte ich. Ich verneigte mich vor der Weisheit meines Bruders. Wenn so etwas funktionierte, dann funktionierte es gut. Und so, wie alles hier aussah, schien dies ja durchaus der Fall zu sein, und ich würde da beileibe nicht störend eingreifen.

Ich schloß und verriegelte die Tür zum Tresorraum mit Grevilles Schlüssel und fragte Annette, welcher in dem umfangreichen Schlüsselbund die elektronischen Schlösser überwand. Dieser, sagte sie, zeigte darauf und sonderte ihn von den anderen ab.

«Wofür sind die anderen alle? Wissen Sie das?«

Sie schüttelte den Kopf.»Ich habe keine Ahnung.«

Auto, Haus, was nicht noch alles. Ich nahm an, daß ich es im Laufe der Zeit noch herausfinden würde. Ich bemühte mich, ihr aufmunternd zuzulächeln, winkte, mich verabschiedend, einigen der anderen zu und fuhr mit dem Servicelift nach unten, wo Brad im Hof auf mich wartete.

«Swindon«, sagte ich.»Das medizinische Versorgungszentrum, in dem wir am Freitag schon waren, okay?«

«Wollja«, murmelte er. Richtig strahlend, dachte ich bei mir.

Es war eine Fahrt von achtzig Meilen, zehn Meilen weiter als bis zu meiner Wohnung. Brad schaffte sie ohne weitere Kommunikation, und ich verbrachte die Zeit damit, an all die Dinge zu denken, die ich noch nicht erledigt hatte — zum Beispiel nach Grevilles Haus sehen, die Zustellung der Tageszeitung stoppen, wo immer die herkommen mochte, und beim Postamt Bescheid geben, daß seine Briefe… Zum Teufel auch, dachte ich müde, warum nur hatte dieser verdammte Kerl sterben müssen?

Der Orthopäde nahm den Verband von meinem Fußgelenk, machte eine Röntgenaufnahme und gab mißbilligende Laute von sich. Von den Zehen bis zum Schienbein sah alles hart, schwarz und geschwollen aus, die Haut auf Grund der Dehnung fast durchsichtig.

«Ich habe Ihnen doch gesagt, daß Sie dem Bein Ruhe geben sollen«, sagte er, einen Anflug von Ungehaltenheit in der Stimme.

«Mein Bruder ist gestorben…«, und ich erzählte ihm von dem Überfall und auch, daß ich mich um Grevilles Angelegenheiten kümmern müsse.

Er hörte aufmerksam zu, ein kräftiger, vernünftiger Mann mit vorzeitig ergrautem Haar. Ich kannte keinen Jockey, der ihm nicht vertraute. Er verstand unsere Bedürfnisse und Wünsche, da er eine ganze Reihe von uns behandelte, die in oder bei unserem Trainingszentrum in Lambourn lebten.

«Wie ich Ihnen neulich schon gesagt habe«, meinte er, als er fertig war,»haben Sie sich einen Bruch im unteren Teil der Fibula, also des Wadenbeins, zugezogen, und da, wo Tibia und Fibula miteinander verbunden sein sollten, sind sie auseinandergebrochen. Und jetzt sind sie noch weiter auseinander. Sie sind dem Talus, dem Fußgelenk, keinerlei Stütze mehr. Die lateralen Bänder, die das Gelenk normalerweise zusammenhalten, sind gerissen, und das ganze Gelenk ist ungesichert und geht innen auseinander wie eine Zapfenverbindung bei einem Möbelstück, wenn der Leim nichts mehr taugt.«

«Wie lange wird’s also dauern?«fragte ich.

Er lächelte kurz.»Bei so einem elastischen Verband wird es noch zehn Tage weh tun, und danach können Sie wieder rumlaufen. Sie könnten, von heute an gerechnet, in etwa drei Wochen wieder im Sattel sitzen, wenn es Ihnen nichts ausmacht, daß der Steigbügel Ihnen Schmerzen verursacht, was er tun wird. Nach weiteren drei Wochen ist das Gelenk dann vielleicht wieder soweit in Ordnung, daß Sie Rennen reiten können.«

«Gut«, sagte ich erleichtert,»dann ist’s ja nicht viel schlimmer, als es schon war.«

«Es ist zwar schlimmer, aber es wird nicht länger brauchen, um zu verheilen.«»Schön.«

Er sah auf das deprimierende Bild hinab.»Wenn Sie weiter so rumreisen wollen, dann würde Ihnen ein fester Gipsverband sehr viel besser helfen. Sie könnten sich dann schon in ein paar Tagen wieder mit vollem Gewicht auf Ihren Fuß stützen, fast ohne Schmerzen.«

«Und den muß ich dann sechs Wochen tragen? Und kriege verkümmerte Muskeln?«

«Atrophie, Verkümmerung, das ist ein zu starkes Wort. «Er wußte gleichwohl, daß Jockeys, die Hindernisrennen ritten, vor allem kräftige Beinmuskeln brauchten, und die konnte man sich nur durch Bewegung erhalten. In Gips konnten sie sich überhaupt nicht mehr rühren und wurden schnell schwächer. Wenn die Bewegungsfähigkeit auch ein paar Stiche und Schmerzen kostete, war das die Sache doch wert.

«Die sogenannten Delta-Bandagen sind extrem leicht«, sagte er mit Überzeugungskraft.»Es handelt sich da um einen Polymer, gar nicht zu vergleichen mit dem guten alten Gips. Das Zeug ist porös, deshalb kommt Luft dran und Sie kriegen keine Hautprobleme. Ist wirklich gut. Und man könnte einen Reißverschluß reinbauen, so daß Sie ihn bei der Physiotherapie abnehmen können.«

«Wann kann ich dann wieder reiten?«

«In neun oder zehn Wochen.«

Ich schwieg einen Augenblick, und da sah er schnell zu mir auf. Sein Blick war klar und fragend.

«Also Delta-Bandage?«sagte er.

«Nein.«

Er lächelte und nahm eine elastische Kreppbinde zur Hand.»Fallen Sie im Laufe des nächsten Monats bloß nicht da drauf, denn dann fangen Sie wirklich wieder bei Null an.«

«Ich werde mir Mühe geben.«

Er wickelte den Verband eng um mein Bein, von unterhalb des Knies bis zu den Zehen und wieder zurück, und verschrieb mir wieder Distalgesic.»Nicht mehr als acht Tabletten innerhalb von 24 Stunden und nicht mit Alkohol. «Das sagte er jedesmal.

«Gut.«

Er sah mich ein Weilchen nachdenklich an, stand dann auf und ging hinüber zu dem Schränkchen, in dem er Medikamente aufbewahrte. Als er zu mir zurückkam, steckte er eine kleine Plastiktüte in einen Umschlag, den er mir dann hinhielt.

«Ich gebe Ihnen hier ein Mittel, das DF 1-1-8 heißt. Sehr passend, denn das sind ja schließlich auch Ihre Initialen! Ich gebe Ihnen drei davon mit. Es ist ein sehr ernstzunehmendes Schmerzmittel, und ich möchte Sie bitten, nur dann dazu zu greifen, wenn Ihnen wieder so etwas wie gestern passiert.«

«Okay«, sagte ich und steckte den Umschlag in die Tasche.»Vielen Dank.«

«Wenn Sie eine dieser Tabletten schlucken, fühlen Sie absolut nichts mehr. «Er lächelte wieder.»Wenn Sie zwei auf einmal nehmen, dann heben Sie total ab, dann sind Sie high wie sonst was. Wenn Sie aber alle drei auf einmal schlucken, werden Sie bewußtlos. Seien Sie also gewarnt. «Er machte eine Pause.»Sie sind eine allerletzte Zuflucht.«

«Ich werd’s mir merken«, sagte ich,»und bin Ihnen wirklich dankbar.«

Brad fuhr zu einer Apotheke, ging mit meinem Rezept hinein, wartete, bis es fertiggemacht worden war, und chauffierte mich dann noch die zehn Meilen bis nach Hause.

«Morgen früh um die gleiche Zeit?«fragte ich.»Wieder nach London?«

«Wollja.«

«Ohne Sie wäre ich wirklich aufgeschmissen«, sagte ich und kletterte mit seiner Hilfe aus dem Wagen. Er warf mir einen kurzen, gehetzten Blick zu und reichte mir die Krücken.»Sie fahren großartig«, sagte ich noch.

Das war ihm peinlich, zugleich freute es ihn aber auch. Es erschien natürlich nicht so etwas wie ein Lächeln auf seinem Gesicht, aber es zuckte doch deutlich sichtbar in seinen Backen. Er drehte sich um, wich meinem Blick aus und setzte sich verbissen in Bewegung, um zu seiner Mutter heimzugehen.

Ich meinerseits ging ins Haus und bedauerte das Embargo, mit dem Whisky belegt war. So stärkte ich mich denn, da Junes Sandwich inzwischen nurmehr eine ferne Erinnerung war, mit Sardinen auf Toast und Eiscreme zum Nachtisch, was mehr oder weniger meine habituelle Kochfaulheit widerspiegelte.