«Wie überaus unangenehm. «Das war in seinen Augen offensichtlich keine unpassende Feststellung. Mir ging durch den Kopf, daß es Greville möglicherweise unangenehm finden könnte, tot sein zu müssen. Aber vielleicht war das nicht der rechte Augenblick für schwarzen Humor.
«Sollten unter den Richtern persönliche Freunde meines Bruders sein«, sagte ich,»so wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sie bitten könnten, sich mit mir in Verbindung zu setzen. Falls Ihnen das nichts ausmacht.«
«Das werde ich tun, selbstverständlich. «Er zögerte.»Mr. Franklin gehörte auch dem Konzessionsausschuß an. Soll ich dessen Vorsitzenden ebenfalls informieren?«
«Ja, bitte. Teilen Sie es jedem mit, den Sie erreichen können.«
Er verabschiedete sich, alle Sorgen dieser Welt auf seinen Schultern, und ich seufzte Annette zu, daß wir besser so bald wie möglich damit anfangen sollten, auch alle übrigen Menschen zu unterrichten, wobei dem Handel auch klar gemacht werden müsse, daß das Geschäft in gewohnter Manier weiterlaufen werde.
«Wie wär’s mit den Zeitungen?«fragte sie.»Können wir es nicht in der Times und so weiter anzeigen?«
«Gute Idee. Würden Sie sich bitte darum kümmern?«
Sie sagte, das werde sie, legte mir dann aber doch das, was sie geschrieben hatte, vor, ehe sie die Zeitungen anrief.»Opfer eines tragischen Unfalls, ist Greville Saxony Franklin, Friedensrichter, Sohn des…«Sie hatte hier eine Lücke gelassen, die ich für sie ausfüllte:»verstorbenen Oberstleutnants und seiner Frau Miles Franklin«. Dann änderte ich noch» Bruder von Derek «zu» Bruder von Susan, Miranda und Derek «ab und fügte ein paar abschließende Worte an — Einäscherung, Ipswich, Freitag.
«Haben Sie eine Ahnung«, fragte ich Annette,»was er da in Ipswich gewollt haben könnte?«
Sie schüttelte den Kopf.»Ich habe ihn diesen Ort nie erwähnen hören. Aber er hat mir ja nie viel von dem erzählt, was nicht zum Geschäftlichen gehörte. «Sie machte eine Pause.»Er war nicht heimlichtuerisch, aber er plauderte auch nie über sein Privatleben. «Sie zögerte.»Er hat auch nie über Sie gesprochen.«
Ich dachte an die vielen Male, wo wir so nett zusammengesessen und er mir doch praktisch nichts erzählt hatte, und ich verstand sehr wohl, was sie meinte.
«Er pflegte immer zu sagen, daß die größte Sicherheit die Verschwiegenheit sei«, sagte sie.»Er hat uns immer wieder gebeten, absolut Fremden nicht zuviel von unserer Arbeit zu erzählen, und wir wissen alle sehr gut, daß es sicherer ist, sich daran zu halten, auch wenn wir hier keine Edelsteine haben. Alle Leute, die in dieser Branche arbeiten, sind irgendwie Sicherheitsfanatiker, und Diamantäre können sogar regelrecht paranoid sein.«
«Was«, fragte ich,»sind Diamantäre?«
«Nicht was, sondern wer«, sagte sie.»So hießen früher die Diamantschleifer, also die Leute, die die Rohdiamanten kaufen, die Steine schleifen und polieren und sie dann an die Juweliere für die Herstellung von Schmuck verkaufen. Mr. Franklin meinte immer, Diamanten seien eine Welt für sich, sie seien etwas gänzlich anderes als die übrigen Edelsteine. In den achtziger Jahren kam es bei den Diamantpreisen erst zu einem lächerlichen Höhenflug, dann zu einem jähen Absturz, und viele Diamantschleifer verloren ein Vermögen oder machten pleite, und Mr. Franklin sagte oft, daß sie verrückt gewesen sein müßten, als sie den Bogen so überspannten. «Sie machte eine Pause und sagte dann:»Man kann gar nicht anders als mitkriegen, was um uns herum in dieser Gegend so vor sich geht, wo doch jeder zweite Laden hier mit Edelsteinen handelt. In den Pubs und Restaurants spricht kaum je einer über etwas anderes. Und deshalb, sehen Sie, bin ich sicher, daß sich der Bankmanager irrt. Mr. Franklin hätte niemals Diamanten gekauft.«
Wenn er keine Diamanten gekauft hat, dachte ich, was hat er dann, zum Teufel nochmal, mit eins Komma fünf Millionen Dollar in bar gemacht?
Diamanten gekauft. Er mußte es getan haben. Entweder das, oder das Geld lag noch irgendwo rum, zweifellos sorgfältigst versteckt. Entweder das Geld oder Diamanten in seinem Gegenwert lagen irgendwo unversichert herum, und sollte mein halb verschwiegener und halb supersicherheitsbedachter Bruder eine Schatzinselkarte hinterlassen haben, auf der der kostbare Ort mit einem x markiert war, dann hatte ich die noch nicht gefunden. Sehr viel wahrscheinlicher aber war, wie ich befürchtete, daß dieses Wissen unter dem Baugerüst begraben worden war. Wenn dem so war, dann würde die Firma an die Bank fallen — wohl das letzte, was Greville gewollt hätte.
Wenn dem so war, dann würde sich ein großer Teil des Erbes, das er mir hinterlassen hatte, auflösen wie Morgennebel.
Er hätte sich, dachte ich finster, an seine alten Prinzipien halten und die Finger von Diamanten lassen sollen.
Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte erneut, und diesmal hob Annette ab, da sie gerade daneben stand.
«Saxony Franklin, was kann ich für Sie tun?«sagte sie und lauschte in den Hörer.»Nein, tut mir leid, aber Sie können Mr. Franklin nicht persönlich sprechen. Würden Sie mir bitte Ihren Namen sagen?«Sie lauschte.»Nun, Mrs. Williams, wir müssen Sie zu unserem großen Leidwesen davon in Kenntnis setzen, daß
Mr. Franklin am Wochenende bei einem Unfall ums Le
ben gekommen ist. Sein Geschäft läuft jedoch unverändert weiter. Kann ich Ihnen in irgendeiner Weise behilflich sein?«
Sie hörte ihrer Gesprächspartnerin eine Weile mit wachsender Verwirrung zu und sagte dann:»Sind Sie noch dran? Mrs. Williams, hören Sie mich?«Aber es schien, als erhalte sie keine Antwort, denn nach ein paar weiteren Augenblicken legte sie mit düsterem Blick den Hörer auf die Gabel.»Wer immer sie war, sie hat aufgelegt.«
«Gehe ich richtig in der Annahme, daß Sie
Mrs. Williams nicht kannten?«
«Ich hatte nie das Vergnügen. «Sie zögerte.»Ich meine aber, sie hätte auch gestern schon angerufen. Ich glaube, ich habe ihr da gesagt, daß Mr. Franklin den ganzen Tag nicht in der Firma sein würde, wie ich das allen gesagt habe. Allerdings habe ich sie gestern nicht nach ihrem Namen gefragt. Aber sie hat eine Stimme, die man nicht vergißt.«
«Wieso nicht?«
«Geschliffenes Glas«, sagte sie lakonisch.»Wie Mr. Franklin, nur noch stärker. Und wie Sie auch, ein klein wenig.«
Das amüsierte mich. Sie selbst sprach, was ich für akzentfreies Englisch hielt, auch wenn ich mir vorstellen konnte, daß jede Art zu sprechen für einen anderen so klang, als sei da ein Akzent zu hören. Ich wunderte mich kurz über diese Mrs. Williams von geschliffenem Glas, die die Nachricht von dem Unglück schweigend entgegengenommen und gar nicht gefragt hatte, wo und wie und wann es passiert war.
Annette ging in ihr eigenes Büro hinüber, um die Zeitungen anzurufen, und ich zog Grevilles Taschenkalender hervor und versuchte mein Glück mit den Nummern, die gestern abend nicht zu erreichen gewesen waren. Von den zweien, die hinten in dem Büchlein standen, gehörte die eine seinem Buchmacher, die andere seinem Friseur, und beide schienen traurig darüber zu sein, daß sie seiner Kundschaft verlustig gingen — der Buchmacher allerdings angesichts der Gewohnheit Grevilles, bei seinen Wetten zu gewinnen, ein bißchen weniger.
Mein Knöchel schmerzte stark — das Resultat, so konnte ich wohl sagen, einer allgemeinen Depression ebenso wie geschädigter Knochen und Bänder. Depression deshalb, weil alle Entscheidungen, die ich bis zu diesem Zeitpunkt getroffen hatte, vom gesunden Menschenverstand diktiert worden waren, nun aber bald ein Stadium erreicht sein würde, wo ich mit meiner Unwissenheit schreckliche Fehler machen konnte. Ich war noch nie in meinem Leben mit Kapital umgegangen, das umfangreicher gewesen wäre als die Summe, die ich auf meinem Konto hatte, und das einzige Geschäft, von dem ich etwas verstand, war das Zureiten von Rennpferden, und auch das hatte ich eher durch Zuschauen als auf dem Wege praktischer Betätigung erlernt. Wenn es um Pferde ging, wußte ich immerhin, was ich tat — da konnte ich den Spinell wohl vom Rubin unterscheiden. In Grevilles Welt dagegen konnte man mich reinlegen, ohne daß ich was merkte. Ich konnte böse verlieren, bevor ich noch die einfachsten Grundregeln des Spiels erlernt hatte.