«Wirklich? Hat er nie erzählt. Er war so nett und auch so schrecklich zurückhaltend.«
«Er besaß noch ein zweites Pferd, das >Edelstein< heißt.«
Mit ganz offensichtlichem Zweifel versuchte sie es erst mit» Dozen Roses «und dann mit» Edelstein«, aber nichts geschah, außer daß eine weitere, dringliche Aufforderung sichtbar wurde, das Codewort einzugeben.
«Dann probieren Sie es jetzt mal mit >Diamanten<«, sagte ich.
Sie tat es — und nichts änderte sich.
«Sie kannten ihn doch«, sagte ich.»Was könnte ihn veranlaßt haben, etwas unter >Perle< abzuspeichern?«
«Keine Ahnung. «Sie saß über die Tasten gebeugt da und trommelte mit den Fingern auf ihre Lippen.»Perle… Perle… warum Perle?«»Was ist eine Perle?«sagte ich.»Hat sie eine Formel?«
«Ah. «Sie richtete sich plötzlich auf.»Das ist ein Monatsstein.«
Sie tippte» Monatsstein«, und nichts geschah.
Dann errötete sie leicht.
«Das ist einer der Monatssteine für den Juni, und Juni entspricht June«, sagte sie.»Ich kann’s ja mal damit probieren.«
Sie tippte» June«- und da erhellte sich der Monitor und gab seine Geheimnisse preis.
Kapitel 5
Wir hatten keineswegs die Diamanten gefunden. Auf dem Monitor stand die Nachricht:
Wenn Sie dies gelesen haben, June, dann kommen Sie doch schnurstracks in mein Büro und bitten um eine Gehaltserhöhung. Sie wären es zwar wert, in Ihrem Monatsstein aufgewogen zu werden, ich kann Ihnen aber nur eine Erhöhung Ihrer Bezüge um zwanzig Prozent bieten.
Mit freundlichen Grüßen
Greville Franklin
«Oh!«Sie saß wie versteinert da.»Das war’s also, was er gemeint hat.«
«Erklären Sie’s mir«, sagte ich.
«Eines Morgens…«Sie hielt inne, und ihr Mund verzog sich bei dem Bemühen, nicht in Tränen auszubrechen. Sie brauchte eine Weile, bis sie weitersprechen konnte, und dann sagte sie:»Eines Morgens meinte er zu mir, daß er ein kleines Rätsel für mich erfunden habe und mir sechs Monate Zeit gebe, es zu lösen. Nach sechs Monaten werde es sich selbst vernichten. Er lächelte dabei so fröhlich. «Sie schluckte.»Ich fragte ihn, was für eine Art von Rätsel es sei, aber er wollte es mir nicht verraten. Er sagte nur, er hoffe sehr, daß ich es lösen könne.«
«Und haben Sie gesucht?«
«Aber natürlich. Ich durchforschte die ganze Firma, obwohl ich eigentlich gar nicht recht wußte, nach was ich da suchte. Ich suchte auch im Computer, und zwar nach einer neuen Datei, aber ich kam einfach nicht auf den Gedanken, daß es eine Geheimdatei sein könnte. Das Wort >Per-le< übersah ich völlig, weil ich es ja so häufig vor Augen habe. Wie albern. Richtig dumm.«
Ich sagte:»Ich glaube nicht, daß Sie dumm sind, und ich werde das Versprechen meines Bruders einlösen.«
Sie schenkte mir einen schnellen, erfreuten Blick, schüttelte dann aber den Kopf ein wenig und sagte:»Ich hab’s ja nicht gelöst. Ich hätte es nie gefunden, wenn Sie nicht gewesen wären. «Sie zögerte.»Wie wäre es mit zehn Prozent?«
«Zwanzig«, sagte ich bestimmt.»Ich werde Ihre Hilfe und Ihr Wissen brauchen, und wenn Annette persönliche Assistentin ist, wie da an der Tür ihres Büros steht, dann sind Sie eben jetzt stellvertretende persönliche Assistentin, und dies mit den Bezügen, die für diese neue Stelle vorgesehen sind.«
Sie errötete und befaßte sich angelegentlich damit, einen Ausdruck von Grevilles Anweisungen herzustellen, den sie zusammenfaltete und einsteckte.
«Ich werde das Geheimnis im Computer lassen«, sagte sie mit verschleierter Zuneigung.»Niemand wird es je dort finden. «Sie drückte ein paar Tasten, der Monitor war wieder leer, und ich fragte mich, wie oft sie wohl so ganz für sich allein die magischen Worte aufrufen würde, die Greville ihr hinterlassen hatte.
Ich stellte mir auch die Frage, ob sie sich tatsächlich selbst löschen würden, das heißt, ob man einem Computer wirklich etwas mit dem Befehl eingeben konnte, sich zu einer bestimmten Zeit selbst zu vernichten. Ich konnte nicht sehen, warum so etwas nicht möglich sein sollte, aber ich dachte auch, daß Greville ihr wohl vor Ablauf der sechs Monate deutlichere Hinweise gegeben hätte.
Ich bat June, mir zuerst eine Liste von allem auszudruk-ken, was sich augenblicklich im Tresorraum befand, und dann eine Aufstellung all der Dinge, von denen sie glaubte, daß sie mir dabei helfen könnten, das Geschäft besser zu verstehen — also zum Beispiel Umfang und Wert der Verkäufe, die an einem Tag, in einer Woche, in einem Monat getätigt wurden, oder welche Sachen am häufigsten verlangt wurden und welche am seltensten.
«Ich kann Ihnen auf alle Fälle schon mal sagen, daß im Augenblick schwarzer Onyx sehr beliebt ist. Vor fünfzig Jahren, sagt man, ging nichts über Bernstein, heute kauft ihn kein Mensch mehr. Schmuck kommt in Mode und wieder aus der Mode, wie alle anderen Dinge auch. «Sie fing an, auf ihren Tasten herumzutippen.»Geben Sie mir ein bißchen Zeit, und ich drucke Ihnen einen Schnellkurs aus.«
«Danke«, sagte ich lächelnd und wartete, während der Drucker eine gewaltige Menge glitzernder Facetten ausspuckte. Dann begab ich mich mitsamt der Liste auf die Suche nach Annette, die ich in den Lagerräumen fand und fragte, ob sie mich als Führerin auf einem Rundgang — in schnellem Galopp — durch den Tresorraum begleiten könne.
«Es gibt dort keine Diamanten«, sagte sie mit Entschiedenheit.
«Ich sehe mir besser mal an, was es da gibt.«
«Sie sehen gar nicht wie ein Jockey aus«, sagte sie.
«Wieviele kennen Sie denn?«
Sie sah mich mit großen Augen an.»Keinen, außer Ihnen.«
«Im großen und ganzen«, sagte ich milde,»sind Jockeys Menschen wie alle anderen auch. Hätten Sie das Gefühl, daß ich besser in der Lage wäre, den Laden hier zu schmeißen, wenn ich, sagen wir mal, Klavierstimmer wäre? Oder Schauspieler? Oder Geistlicher?«
«Nein«, sagte sie schwach.
«Na gut, da haben wir also einen Jockey am Hals. Schicksal. Tun Sie Ihr Bestes für den armen Kerl.«
Ganz unfreiwillig lächelte sie ein echtes Lächeln, das ihr so bekümmertes Gesicht in wunderbarer Weise aufhellte.»Also«, sagte sie und fuhr erst nach einer kleinen Pause fort.»In mancherlei Hinsicht sind Sie wirklich wie Mr. Franklin. Die Art und Weise, wie Sie Sachen sagen. Sei ehrlich in deinem Tun, sagte er immer, und schlafe bei Nacht.«
«Sie erinnern sich hier alle an das, was er gesagt hat, nicht wahr?«
«Natürlich.«
Er hätte, so nahm ich an, wohl mit Freude festgestellt, daß er ein so positives Erbe hinterlassen hatte. So viele Lehren. So viel Weisheit. Aber nur so wenige Schilder, die den Weg zu seinem Privatleben wiesen. Und auch keinen sichtbaren Wegweiser, der zu den Diamanten führte.
Im Tresorraum zeigte mir Annette, daß auf jedem Etikett neben der chemischen Formel eine Zahl stand — wenn ich bei dieser Zahl auf der Liste nachschaute, die mir June ausgedruckt hatte, würde ich dort die Formel wiederfinden, dazu aber auch den Namen der Steine, die Farbe, Form und Größe sowie das Herkunftsland.
«Warum hat er dieses Verfahren gewählt?«fragte ich.»Das erschwert es doch nur, Sachen zu finden.«
«Ich glaube, genau das war seine Absicht«, antwortete sie.»Ich sagte Ihnen ja, er war sehr auf Sicherheit bedacht.
Hier arbeitete mal eine Sekretärin, der es gelang, eine ganze Menge von unseren wertvollsten Türkisen aus dem Tresorraum zu stehlen. Damals stand auf dem Etikett schlicht >Türkis<, was ihr die Sache leichtmachte. Das ist heute anders.«
«Und was steht heute da?«
Sie lächelte und zeigte auf eine Reihe von Pappkartons. Ich besah mir die weißen Aufkleber, auf denen allen zu lesen stand: CuAl6(PO4)4(OH)8-4-5(H2O).