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Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber sie ließ ihre Hand mit dem Ding in geschwungener Linie kräftig herabsausen. Dabei verlängerte sich der schwarze Gegenstand um mehr als das Doppelte zu einem dicken, silbrigen, flexiblen Stock, der mit vernichtender Gewalt gegen meinen linken Oberarm krachte. Der Schlag war so stark, daß er auch einen Schwergewichtsboxer schon in der ersten Runde gestoppt hätte.

Kapitel 6

Meine Finger wurden gefühllos und ließen das Kästchen fallen. Die Wucht des Schlages war so groß, daß ich schwankte, mich drehte, die Balance verlor und stürzte, wobei mir immerhin sehr klar war, daß ich diesmal den Fuß nicht auf den Boden setzen durfte. Ich ließ den Schlüsselbund los und griff mit der rechten Hand nach der geraden Lehne eines der schwarzen Sessel, um mich festzuhalten, aber mein Gewicht ließ ihn umkippen, und er fiel schwer auf mich drauf, der ich in einem Gewirr von Krücken, Stuhl- und Tischbeinen auf dem Teppich gelandet war, unter mir das grüne Kästchen, das sich in mein Kreuz bohrte.

Von wahnsinniger Wut erfüllt, versuchte ich, den Überblick zu behalten, und hatte schließlich wieder genug Atemluft, um ein einziges, liebreizendes und von Herzen kommendes Wort hervorzustoßen.

«Miststück.«

Sie warf mir einen bösen Blick zu und griff nach dem Telefonhörer, drückte drei Tasten.

«Die Polizei«, sagte sie und nach Ablauf des kurzen Augenblicks, den der Notdienst brauchte, sie entsprechend zu verbinden:»Polizei. Ich möchte einen Einbruch melden. Ich habe einen Einbrecher gestellt.«

«Ich bin Grevilles Bruder«, ließ ich mich dumpf vom Boden her vernehmen.

Meine Worte schienen sie nicht erreicht zu haben. Deshalb sagte ich noch einmal und lauter:»Ich bin Grevilles Bruder.«

«Was?«sagte sie unbestimmt.

«Mein Himmel, sind Sie taub? Ich bin kein Einbrecher, sondern Greville Franklins Bruder. «Ich setzte mich ganz vorsichtig halb auf, fühlte mich dabei völlig kraftlos.

Sie legte den Hörer wieder auf.»Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?«

«Haben Sie mir Gelegenheit dazu gegeben? Und wer, zum Teufel, sind Sie überhaupt, daß Sie hier einfach so in das Haus meines Bruders reinspazieren und andern Leuten eins überbraten?«

Sie hielt das fürchterliche Instrument, mit dem sie mich niedergeschlagen hatte, in Bereitschaft und sah ganz so aus, als erwarte sie, daß nun ich sie angreifen würde, wonach mir wahrhaftig zumute war. In den vergangenen sechs Tagen hatten mich ein Pferd, ein Straßenräuber und eine Frau zermalmt — was mir nun noch fehlte, war ein Kleinkind, das herbeigewatschelt kam, um mir den Gnadenstoß zu versetzen. Ich preßte die Finger meiner rechten Hand gegen die Stirn, den Handballen gegen meinen Mund und bedachte die Düsternis des Daseins im allgemeinen.

«Was ist los mit Ihnen?«fragte sie nach einer Pause.

Ich ließ die Hand sinken und sagte schleppend:»Gar nichts.«

«Ich habe Ihnen doch bloß einen leichten Schlag versetzt«, sagte sie, Kritik in der Stimme.

«Soll ich Ihnen mal eins mit dem Ding da verpassen, damit Sie wissen, wie das ist?«

«Sie sind wütend!«Sie klang überrascht.

«Haargenau.«

Ich rappelte mich vom Boden hoch, richtete den umgestürzten Stuhl auf und ließ mich darauf nieder.»Wer sind Sie?«wiederholte ich. Aber ich wußte es schon — sie war die Frau auf dem Anrufbeantworter. Die gleiche Stimme. Kristallklar. Liebling, wo steckst du? Ich liebe dich.

«Haben Sie in der Firma angerufen? Sind Sie vielleicht Mrs. Williams?«

Sie schien in ihrem Inneren zu erbeben und zu zerbrechen, ging an mir vorbei und schaute hinaus in den Garten.

«Ist er wirklich tot?«fragte sie.

«Ja.«

Sie mußte so vierzig sein, dachte ich. Vielleicht auch älter. Fast meine Größe. In gar keiner Weise winzig und zart. Eine entscheidungsfreudige, kräftige Frau, zutiefst bekümmert.

Sie trug einen Regenmantel mit Ledergürtel, obwohl es schon seit Wochen nicht mehr geregnet hatte, und einfache schwarze Pumps. Ihr Haar, dicht und dunkel, war glatt nach hinten gekämmt und über dem Kragen nach innen eingedreht. Es hatte eines sehr gekonnten Haarschnitts bedurft, um ihr dieses kühl-gepflegte Aussehen zu geben. Kein sichtbarer Schmuck, nur noch wenig Lippenstift übrig, nicht die Spur eines Parfümdufts.

«Wie?«sagte sie endlich.

Ich verspürte einen starken Drang, ihr diese Information vorzuenthalten, sie für ihren voreiligen Angriff zu bestrafen, sie zu verletzen und so meine Rechnung mit ihr zu begleichen. Aber das war sinnlos, und ich wußte, daß es mir mehr Beschämung als Befriedigung eintragen würde, weshalb ich ihr nach kurzem Kampf mit mir selbst den von dem Baugerüst verursachten Unfall schilderte.

«Freitag, am Nachmittag«, sagte ich.»Er war sofort ohne Bewußtsein. Er ist dann am Sonntag in der Frühe gestorben.«

Sie wandte sich langsam um und sah mich an.»Sind Sie Derek?«fragte sie.

«Ja.«

«Ich bin Clarissa Williams.«

Keiner von uns beiden machte Anstalten, dem anderen die Hand zu geben. Das wäre auch nicht gerade angemessen gewesen, dachte ich.

«Ich bin hergekommen, um ein paar Sachen von mir abzuholen«, sagte sie.»Ich war nicht darauf gefaßt, hier jemanden anzutreffen.«

Das sollte wohl so eine Art Entschuldigung sein, nahm ich an — wenn ich wirklich ein Einbrecher gewesen wäre, hätte sie ja auch all die Nippes hier gerettet.

«Was für Sachen?«fragte ich.

Sie zögerte, sagte aber schließlich:»Ein paar Briefe, das ist alles. «Ihr Blick wanderte zu dem Anrufbeantworter hinüber, und ganz deutlich sichtbar spannten sich die Muskeln um ihre Augen herum an.

«Ich habe die Botschaften abgehört«, sagte ich.

«O Gott.«

«Warum sollte Sie das beunruhigen?«

Sie hatte, wie es schien, ihre Gründe dafür, die sie mir aber nicht zu verraten gedachte — jedenfalls nicht hier und jetzt.

«Ich möchte sie löschen«, sagte sie.»Das war auch einer der Gründe, warum ich hergekommen bin.«

Sie sah mich an, und mir fiel kein zwingender Grund ein, warum sie es nicht tun sollte, weshalb ich nichts sagte. Zögernd, als erbäte sie für jeden einzelnen Schritt meine Nachsicht, bewegte sie sich langsam auf das Gerät zu, spulte das Band zurück, drückte auf die Aufnahmetaste und überspielte das Vorherige mit Schweigen. Nach einer Weile spulte sie das Band erneut zurück und spielte es dann noch einmal ab — es waren keine verzweifelten Bitten mehr zu hören.

«Hat sonst noch jemand dieses Band…?«

«Ich denke nicht. Jedenfalls nicht, solange die Putzfrau nicht die Angewohnheit hatte, sich die Botschaften anzuhören. Ich glaube, sie war heute da.«

«O Gott.«

«Sie haben doch keinen Namen genannt. «Wieso, zum Henker, beruhigte ich sie eigentlich, fragte ich mich. Ich hatte noch immer keine Kraft in den Fingern. Ich konnte diesen fürchterlichen Schlag noch immer spüren.

«Möchten Sie etwas zu trinken?«fragte sie ganz unvermittelt.

«Ich habe einen gräßlichen Tag hinter mir. «Sie ging zu dem Tablett mit den Flaschen und goß Wodka in ein schweres Becherglas.

«Was möchten Sie?«

«Wasser«, sagte ich.»Ein doppeltes.«

Ihr Mund straffte sich, und sie stellte die Wodkaflasche auf das Tablett zurück, daß es klirrte.»Soda oder Tonic?«fragte sie steif.

«Soda.«

Sie goß Sodawasser in ein Glas für mich und Tonic in das ihre, verdünnte den Alkohol, aber nicht zu sehr. Unten in der Küche gab es auch Eis, aber keiner von uns beiden erwähnte das.

Ich bemerkte, daß sie ihre tödliche Waffe ganz harmlos neben dem Anrufbeantworter hatte liegenlassen. Wahrscheinlich stellte ich jetzt keine Bedrohung mehr für sie dar. Als wolle sie jeden physischen Kontakt vermeiden, setzte sie mein Sodawasser auf das Tischchen neben mir zwischen die kleinen Steinbären und die Chrysanthemen und nahm dann einen kräftigen Schluck aus ihrem Glas. Besser als Tranquilizer, dachte ich. Alkohol löste die Anspannung, beruhigte den mentalen Schmerz. Das erste Betäubungsmittel der Welt — ich hätte auch ganz gut was davon gebrauchen können.