Выбрать главу

Ich fragte mich, wie sie wohl der Polizei gegenüber ihre Anwesenheit im Haus erklärt hätte, wenn diese just in dem Augenblick erschienen wäre, in dem sie eifrig damit beschäftigt gewesen war, ihre Spuren zu verwischen. Vielleicht hätte sie erkannt, daß sie einen Fehler begangen hatte, wäre einfach schnell verschwunden und hätte den außer Gefecht gesetzten Einbrecher am Boden liegen lassen.

Ich ging zum Telefontischchen und nahm den brutalen Männerbändiger in die Hand. Der schwere Griff, ein schwarzer, zigarrenförmiger Zylinder, der um der Griffigkeit willen gerillt war, maß weniger als zwei Zentimeter im Durchmesser und war ungefähr achtzehn Zentimeter lang. Aus ihm heraus ragte ein Stück verchromte, dicke, eng gewundene Spiralfeder, aus der wiederum eine ähnliche, aber etwas dünnere Feder herausstak, die in eine kleine schwarze Metallkugel mündete. Das ganze Ding war 38 bis 40 cm lang, der Schlag durchaus dem Tritt eines Pferdes vergleichbar.

«Was ist das?«fragte ich und wog das Ding in der Hand.

«Greville hat es mir gegeben. Er sagte, die Straßen seien nicht mehr sicher, und wollte, daß ich es immer einsatzbereit bei mir trüge. Er meinte, alle Frauen sollten so was haben, um sich gegen Straßenräuber und Gewalttäter zur Wehr setzen zu können… Als Richter hatte er ja sehr viel mit Frauen zu tun, die angegriffen worden waren. Er sagte, ein Schlag damit würde den stärksten Mann hilflos machen und mir so die notwendige Zeit verschaffen, um ihm zu entkommen.«

Es fiel mir nicht schwer, das zu glauben. Ich bog den schwarzen Knopf nach einer Seite hin nieder, ließ los und beobachtete, wie sich die enge, schwere Feder schnell wechselnd krümmte und wieder aufrichtete. Clarissa erhob sich vom Boden und sagte:»Es tut mir leid. Ich habe das Ding noch nie benutzt, nicht im Zorn. Greville hat mir auch gezeigt, wie… er sagte nur, ich solle so fest wie möglich zuschlagen, damit die Federn herausschnellen und ein Maximum an Schaden anrichten könnten.«

Mein lieber Bruder, dachte ich. Ich danke dir von Herzen.

«Kann man es auch wieder in seine Hülle zurückkriegen?«fragte ich.

Sie nickte.»Drehen Sie die dickere Feder im Uhrzeigersinn… dann löst sich die Sperre, und sie läßt sich in den Griff schieben.«

Ich tat, wie sie gesagt hatte, aber das dünnere Federstück ragte immer noch heraus.»Sie müssen den schwarzen Kugelkopf irgendwo gegenstoßen, dann geht auch dies Stück rein.«

Ich stieß mit dem Knopf gegen die Wand, und wie nichts glitt die dünnere Feder sanft in die dickere hinein, verwandelte sich der schwarze Kugelkopf in das harmlos aussehende Ende eines weiteren technischen Spielzeugs.

«Wie funktioniert das?«fragte ich, aber sie wußte es nicht.

Ich entdeckte, daß sich das untere Teil des Zylinders abschrauben ließ, wenn man es versuchte, und ich drehte es etwa zwanzigmal herum, bis ein ungefähr drei Zentimeter langes Stück abging. Jetzt wurde mir auch klar, daß das gesamte Endteil ein starker Magnet war.

Wie einfach, dachte ich. Im Normalzustand hielt der Magnet die beiden Spiralfedern in dem Zylinder fest, aber wenn man diesen stark nach vorn schnellen ließ, dann reichte seine Stärke nicht aus, er ließ sie los, ließ sie nach vorn und heraussausen und das Ding seine vollen, peitschenden Möglichkeiten entfalten.

Ich schraubte die Kappe wieder auf, hielt den Zylinder fest in der Hand und schwang ihn kraftvoll nach unten.

Wortlos schob ich das Ding wieder zusammen und gab es ihr zurück.

«Man nennt das einen Kiyoga«, sagte sie.

Es war mir gleichgültig, wie man das nannte. Mir machte der Gedanke, das Ding vielleicht nie wiederzusehen, nicht das geringste aus. Sie steckte es, vollkommen vertraut damit, wieder in die Tasche ihres Regenmantels — diese letzte Antwort einer Frau auf Wegelagerer, Verrückte und ausgesuchte Frauenhasser.

Sie sah mich unglücklich und unsicher an.

«Ich nehme an, daß ich Sie nicht bitten darf, einfach zu vergessen, daß ich hier war?«sagte sie.

«Das wäre mir nicht möglich.«

«Könnten Sie es. wenigstens für sich behalten?«

Ich konnte mir vorstellen, daß ich sie vielleicht gemocht hätte, wenn ich unter anderen Umständen mit ihr zusammengetroffen wäre. Sie hatte große Augen, denen ein Lachen weit besser gestanden hätte, und ein Gesicht, das eine beständige, auch von dem Durcheinander ihrer Gefühle nicht zu überwindende Fröhlichkeit erkennen ließ.

Mit einiger Anstrengung sagte sie:»Bitte!«

«Bitten Sie nicht«, sagte ich scharf. Ich fühlte mich unbehaglich — und zu ihr paßte es nicht.

Sie schluckte.»Greville hat mir von Ihnen erzählt. Ich nehme an… daß ich mich auf sein Urteil verlassen kann.«

Sie suchte in ihrer anderen Manteltasche, also in der, in der sie nicht den Totschläger stecken hatte, und zog einen einfachen Schlüsselring heraus, an dem drei Schlüssel hingen.

«Die nehmen Sie wohl besser an sich«, sagte sie.»Ich brauche sie nicht mehr. «Sie legte sie neben den Anrufbeantworter, und ich sah in ihren Augen den Schimmer plötzlicher Tränen.

«Er starb in Ipswich«, sagte ich.»Er wird dort am Freitag eingeäschert. Um zwei Uhr.«

Sie nickte wortlos und sah mich nicht an, sondern ging an mir vorbei durch die Tür und den Hausflur und die Haustür hinaus, die sie mit stiller Endgültigkeit hinter sich schloß.

Ich sah mich mit einem Seufzer im Zimmer um. Die Buchschachtel, in der ihre Briefe gesteckt hatten, lag noch offen auf dem Fußboden, und ich bückte mich, hob sie auf und stellte sie ins Regal zurück. Ich fragte mich dabei, wieviele der Bücher hohl sein mochten. Morgen abend, nach meinem Treffen mit Elliot Trelawney, würde ich wieder herkommen und das festzustellen versuchen.

Vorläufig aber hob ich auch das Kästchen aus Stein vom Boden auf und stellte es auf den Tisch mit den Chrysanthemen, wobei mir durch den Kopf ging, daß der verzierte Schlüssel in der rot gefütterten Buchschachtel viel zu groß war, um in sein winziges Schloß zu passen. Grevilles Schlüsselbund lag ebenfalls noch auf dem Teppich. Ich kehrte zu dem zurück, was ich getan hatte, bevor ich so gewaltsam unterbrochen worden war, mußte dann aber entdecken, daß selbst noch der kleinste Schlüssel an Gre-villes Bund zu groß für das grüne Kästchen war.

Eine ganze Menge Erfolglosigkeit, dachte ich trübsinnig.

Ich trank das Sodawasser aus, das nicht mehr sprudelte.

Ich rieb mir den Arm, was ihn auch nicht heiler machte.

Ich fragte mich, welches Urteil Greville da über mich gefällt hatte, auf das man bauen konnte.

Unter dem Fenster stand ein kleines poliertes Schränkchen, das ich noch nicht untersucht hatte, und ich beugte mich, nicht sehr viel erwartend, zu ihm hinab und zog eine der beiden Türen an ihrem aus einem Messingring bestehenden Griff auf. Die andere Tür öffnete sich daraufhin ganz von selbst, und das Innere des Schränkchens glitt als eine Einheit heraus — ein Videorecorder, und darunter zwei Fächer mit Reihen von schwarzen Kassetten. Alle waren mit den gleichen Aufklebern versehen, auf denen diesmal aber keine chemischen Formeln, sondern Datumsangaben vermerkt waren.

Ich zog wahllos eine der Kassetten heraus, und es verschlug mir die Sprache, als ich das weitaus größere Etikett auf der Vorderseite sah:»Video-Club Pferderennen «stand in dicken Druckbuchstaben darauf, darunter mit Schreibmaschine:»7. Juli, Sandown Park, >Dozen Roses<.«

Der» Video-Club Pferderennen «verkaufte, wie ich wohl wußte, Bänder mit Aufzeichnungen der Rennen an die Pferdebesitzer, Trainer und auch an andere Interessierte. Wie ich bei weiterem Nachforschen mit zunehmender Verwunderung feststellte, mußte Greville dem Club so eine Art Dauerauftrag erteilt haben, denn jedes Rennen, an dem seine beiden Pferde im Verlauf der vergangenen zwei Jahre teilgenommen hatten, war nach meiner Einschätzung dort in den beiden Fächern vorhanden und konnte betrachtet werden.