Als ich ihn mal gefragt hatte, warum er nie zu den Rennen ginge, um seine Pferde laufen zu sehen, hatte er mir geantwortet, daß er doch genug davon im Fernsehen zu sehen bekomme — und ich hatte geglaubt, daß er damit die normalen Sendungen, wie sie nachmittags live von den jeweiligen Bahnen übertragen wurden, gemeint hatte.
Es klingelte an der Haustür, schrill und unerwartet. Ich ging hin, blickte durch den Spion und sah Brad auf der Schwelle stehen, blinzelnd und geblendet von zwei Strahlern, die ihm direkt ins Gesicht schienen. Diese Lampen waren über der Tür angebracht und beleuchteten den Pfad und die Pforte. Als er den Arm schützend vor sein Gesicht hielt, öffnete ich die Haustür.
«Hallo«, sagte ich,»alles in Ordnung?«
«Machen Sie das Licht aus. Kann nix sehen.«
Ich sah mich neben der Tür nach einem Schalter um, fand mehrere und löschte das blendende Flutlicht dadurch, daß ich alle wahllos nach oben kippte.
«Wollte nur nachsehn, ob Sie okay sind«, erklärte Brad.»Diese Lichter sind gerade eben erst angegangen.«
Mir wurde klar, daß das ganz von selbst geschehen war. Zweifellos war das eine weitere Manifestation von Grevilles Sicherheitsbedürfnis. Jeder, der nach Einbruch der Dunkelheit den Pfad entlang auf das Haus zuging, wurde zum Dank dafür angestrahlt.
«Tut mir leid, daß es solange gedauert hat«, sagte ich.»Wo Sie nun schon mal da sind, könnten Sie vielleicht so gut sein und mir ein paar Dinge tragen helfen.«
Er nickte, als habe er für diesen Abend genug der Worte von sich gegeben, und folgte mir auf mein Zeichen hin schweigend in das kleine Wohnzimmer.
«Ich möchte dieses grüne Steinkästchen und so viele von diesen Bändern mitnehmen, wie Sie schleppen können, angefangen hier auf dieser Seite«, sagte ich, und er nahm bereitwilligst etwa zehn der neuesten Kassetten heraus und stellte das grüne Kästchen oben drauf.
Ich fand den Schalter für die Flurbeleuchtung, schaltete diese ein und das Licht im kleinen Wohnzimmer aus. Prompt und völlig unaufgefordert schaltete es sich wieder ein.
«Meine Fresse«, sagte Brad.
Ich dachte, daß es vielleicht an der Zeit sei zu gehen, bevor wir noch weitere Alarmanlagen auslösten, die nach Dunkelwerden wohl direkt mit der örtlichen Polizeiwache verbunden waren. Ich schloß die Wohnzimmertür, und dann kehrten wir durch den Flur in die Außenwelt zurück. Vor dem Hinausgehen kippte ich alle Schalter neben der Haustür wieder nach unten, womit ich offensichtlich mehr an- als abschaltete. Die Strahler über der Tür gingen zwar nicht an, aber hinter uns fing plötzlich ein Hund laut zu kläffen an.
«Verdammt«, sagte Brad, wirbelte herum und preßte wie zur Verteidigung die Kassetten gegen seine Brust.
Es gab keinen Hund. Dafür stand auf einem kleinen Tisch im Flur ein hornförmiger Lautsprecher, der das dumpfe Knurren und Bellen eines wildentschlossenen Schäferhundes von sich gab.
«Meine Fresse«, sagte Brad erneut.
«Gehen wir«, sagte ich belustigt, und er konnte gar nicht schnell genug wegkommen.
Das Bellen hörte ganz von selbst wieder auf, als wir ins Freie hinaustraten. Ich zog die Haustür hinter uns zu, und wir machten uns auf, um die Treppe hinab- und den Pfad entlang zur Pforte zu gehen. Wir hatten kaum drei Schritte getan, als die Scheinwerfer wieder angingen.
«Gehen Sie einfach weiter«, sagte ich zu Brad.»Ich könnte mir denken, daß sie sich nach einer gewissen Zeit von selbst wieder abschalten.«
Er hatte nichts dagegen einzuwenden. Er hatte den Wagen um die Ecke geparkt, und ich dachte während der schnellen Fahrt nach Hungerford über Clarissa Williams nach — über ihr Leben, ihre Liebe und ihren Ehebruch.
An diesem Abend schaffte ich es weder, das grüne Steinkästchen aufzubekommen, noch den Sinn und Zweck der mitgebrachten Geräte zu ergründen.
Ein Schütteln des Kästchens verriet mir nichts über seinen Inhalt, und ich schloß nicht aus, daß es sehr wohl auch leer sein konnte. Ein Zigarettenkästchen, dachte ich, obwohl ich mich nicht erinnern konnte, Greville je rauchen gesehen zu haben. Vielleicht ein Kasten, um zwei Kartenspiele darin aufzubewahren. Vielleicht ein Schmuckkästchen. Sein winziges Schloß widersetzte sich aber allen mit Nagelschere, Kofferschlüsseln und Drahtstückchen unternommenen Öffnungsversuchen, und am Ende gab ich mich geschlagen und stellte es beiseite.
Auch die technischen Geräte wollten sich weder öffnen noch schließen lassen. Bei dem einen handelte es sich um ein kleines, schwarzes, zylinderförmiges Objekt von der Größe etwa eines Daumens, dessen eines Ende wie der Rand einer Münze geriffelt war. Wenn man dieses geriffelte Stück die Viertelumdrehung im Uhrzeigersinn bewegte, die es sich bewegen ließ, ertönte ein dünner, schwacher, sehr hoher Ton — und das erwies sich als die Summe aller Einsatzmöglichkeiten dieses Gegenstandes. Mit einem Schulterzucken stellte ich das Gewinsel wieder ab und die kleine Röhre dann aufrecht auf das grüne Kästchen.
Der zweite Apparat gab nicht einmal ein Winseln von sich. Es war ein flacher schwarzer Plastikbehälter, ungefähr so groß wie ein Kartenspiel, und mitten auf seiner Oberseite befand sich eine einzige, viereckige, rote Taste. Ich drückte sie, aber nichts passierte. Ein verchromter, runder Knopf an der einen Seite des Gerätes erwies sich bei genauerer Untersuchung als das Ende einer Teleskopantenne. Ich zog sie so weit wie möglich heraus, etwa 25 Zentimeter, und als Lohn wurde mir zuteil, was ich für einen kleinen Sender hielt, der ich weiß nicht was, ich weiß nicht wohin sendete.
Seufzend schob ich die Antenne in ihren Sockel zurück und legte auch den Sender auf den grünen Kasten. Danach steckte ich eine Kassette nach der anderen in meinen Videorecorder und sah mir die Rennen an.
Alfies Bemerkung über die schwankende Form von Grevilles Pferden hatte mich mehr interessiert, als ich ihm hatte zeigen wollen. Nach meiner Einschätzung seiner Ergebnisse hatte >Dozen Roses< eine lange Flaute durchgemacht, der ganz plötzlich eine ungemein erfolgreiche Zeit gefolgt war, was stark an das klassische» Betrugsmuster «erinnerte, bei dem man ein Pferd verlieren und immer wieder verlieren läßt, bis sein Handikap gering ist und niemand mehr darauf setzt, um es dann in einem leichten, hinter seinen latenten Fähigkeiten zurückbleibenden Rennen an den Start zu schicken, haushoch gewinnen zu lassen und auf diese Weise einen fetten Wettgewinn einzustreichen.
In abgeschwächter Form machten das gelegentlich alle Trainer mal, auch wenn die Regeln verlangten, daß stets das Beste zu geben sei. Junge und unerfahrene Pferde konnten ja sehr leicht ruiniert werden, wenn man sie allzu sehr und allzu früh zu höchster Leistung antrieb — man mußte ihnen schon Gelegenheit geben, langsam Spaß an der Sache zu bekommen, mußte Sorge tragen, daß sie ihren Renninstinkt voll entwickelten.
Dies zugestanden, gab es einen Punkt, über den kein Trainer je hinauszugehen wagte. In den schlimmen alten Zeiten, als noch nicht alles von Kameras festgehalten wurde, war es sehr viel schwerer gewesen, den Nachweis zu führen, daß ein Pferd nicht alles versucht hatte — viele Jockeys waren Meister darin gewesen, mit ihren Peitschen herumzufuchteln und gleichzeitig bremsend an den Zügeln zu ziehen. Unter den Adlerlinsen und dem Regiment harter Disziplin, die die moderne Rennszene bestimmten, konnten schon ganz natürliche und unvorhergesehene Schwankungen in der Form eines Pferdes dazu führen, daß sich der Trainer vor die Kontrollkommission zitiert sah, um dies zu erklären. Und wenn ein Trainer keine Erklärung dafür hatte, warum sein hochgepriesener Favorit plötzlich Bleifüße hatte, dann konnte ihm das eine deprimierend hohe Geldstrafe eintragen.
Kein Trainer war, wie sehr er sich auch bemühen mochte, je vor Verdächtigungen sicher, aber ich hatte noch nie gehört oder gelesen, daß Nicholas Loder in Schwierigkeiten dieser Art geraten wäre. Vielleicht, so dachte ich, wußte Alfie etwas, was die Kontrollkommission nicht wußte. Vielleicht konnte Alfie mir sagen, warum Loder fast panisch reagiert hatte, als er mit der Aussicht konfrontiert worden war, daß >Dozen Roses< am kommenden Sonnabend vielleicht nicht an den Start gehen konnte.