Brad hatte die sechs letzten Rennen von >Dozen Roses< erwischt und dazu noch vier von >Edelstein<. Ich schaute mir zunächst die von >Dozen Roses< an, wobei ich mit dem am längsten zurückliegenden anfing, das im Mai stattgefunden hatte, und die Einzelheiten mit Grevilles Eintragungen in seinem Taschenkalender verglich.
Auf dem Bildschirm erschienen Bilder von Pferden, wie sie im Führring im Kreis bewegt und dann zum Start gebracht wurden. Grevilles Farben — Rosa und Orange — waren gut zu erkennen. Dieses Mai-Rennen war eines für Dreijährige und ältere Pferde über 2000 Meter gewesen und hatte an einem Freitag in Newmarket stattgefunden. Achtzehn Rennpferde. >Dozen Roses< wurde von einem Jockey geritten, der zu Loders zweiter Garnitur gehörte, da sein bester Mann im Sattel eines anderen Pferdes aus seinem Stall saß, das als hoher Favorit galt.
Beim Start kam es zu irgendeiner Rempelei, an der auch >Dozen Roses< beteiligt war. Ich spulte das Band zurück, ließ es noch einmal im Zeitlupentempo durchlaufen und mußte lachen. >Dozen Roses< hatte offensichtlich nicht das Rennen im Sinn gehabt, sondern ein ungebührliches Interesse an einer Stute bekundet.
Ich erinnerte mich jetzt daran, daß Greville mir mal gesagt hatte, daß er es schändlich und unfair finde, die Feu-rigkeit eines Hengstes zu dämpfen — er werde keines seiner Pferde je kastrieren lassen. Ich sah ihn deutlich vor mir, wie er über ein kleines Tischchen und den Rand eines Cognacglases hinweg mit funkelnden Augen zu mir gesprochen hatte, von denen seine eigene Freude am Sex abzulesen gewesen war. So viele so flüchtige Eindrücke von ihm in meinem Kopf, dachte ich. Und auch wieder viel zu wenige. Ich konnte einfach nicht glauben, daß ich nie wieder mit ihm würde essen gehen können — egal, was mein Verstand mir sagte.
Normalerweise setzten Trainer keine Stuten ein, die heiß waren, aber manchmal ließ sich das nicht rechtzeitig genug feststellen. Pferde dagegen konnten das. >Dozen Ro-ses< war erregt gewesen. Man hatte die Stute sofort in die Startbox gesperrt und >Dozen Roses< bis zur letzten Minute herumgeführt, damit sich seine Leidenschaft abkühle. Seinem Lauf hatte dann der rechte Schwung gefehlt, und er hatte nur einen mittleren Platz belegt, während die Stute hinter ihm und als letztes Pferd eingelaufen war. Loders anderes Pferd, der Favorit, hatte mit einer Länge Vorsprung gewonnen.
Zu dumm, dachte ich lächelnd und schaute mir den nächsten Versuch von >Dozen Roses< drei Wochen später an.
Diesmal gab’s nichts, was ihn hätte ablenken können. Das Pferd war ruhig, fast schläfrig, und brachte jene Art von bescheidener Leistung, die Besitzer sich fragen läßt, ob das alles die Sache wohl wert sei. Das folgende Rennen war ziemlich ähnlich verlaufen, und wenn ich Greville gewesen wäre, hätte sich bei mir wahrscheinlich die Auffassung durchgesetzt, daß die Zeit für einen Verkauf gekommen sei.
Greville, so schien es, hatte mehr Vertrauen gehabt. Nach einer Pause von sieben Wochen jedenfalls war >Dozen Ro-ses< förmlich zum Start geprescht, begeisternd gelaufen und als erstes Pferd über die Ziellinie geschossen — und hatte all denen 14:1 eingebracht, die unwissend genug gewesen waren, um auf ihn zu setzen. So natürlich Greville.
Ich sah mir eine Aufzeichnung nach der anderen an, und es stellte sich mir tatsächlich langsam die Frage, warum die Stewards keinen Wind gemacht hatten. Greville hatte aber nichts dergleichen je erwähnt, nur gesagt, wie sehr er sich freue, daß das Pferd die Form wiedererlangt habe, die es als Dreijähriger gehabt hatte.
Danach hatte >Dozen Roses< zwei weitere in puncto Ausdauer und Zielstrebigkeit vorbildliche Leistungen gezeigt — womit wir beim neuesten Stand angelangt waren. Ich ließ das letzte Band zurücklaufen, nahm es heraus und konnte wohl sehen, warum Loder glaubte, daß das Pferd am Samstag gut laufen würde.
Die Aufzeichnungen der Rennen von >Edelstein< waren weitaus weniger interessant. Trotz seines Namens war er nicht sehr viel wert, und das eine Rennen, das er gewonnen hatte, sah wirklich mehr nach einem Zufallstreffer als nach dem Ergebnis konstruktiver Arbeit aus. Ich faßte den Entschluß, beide Pferde zu verkaufen, wie Loder das ja auch anstrebte.
Kapitel 7
Brad kam am Mittwoch schon sehr früh und fuhr mich nach Lambourn. Trotz Distalgesics schmerzte der Knöchel, behinderte mich an diesem Morgen aber doch nicht mehr ganz so, und ich hätte durchaus auch selbst fahren können, wenn ich mir Mühe gegeben hätte. Es ging mir unterwegs durch den Kopf, daß Brad zur Verfügung zu haben ein Luxus war, an den ich mich nur zu leicht gewöhnte.
Die Aufmerksamkeiten von Clarissa Williams hatten sich bis auf eine leichte Steifheit und einen dunkler werdenden Bluterguß in Gestalt eines Streifens zwischen Schulter und Ellbogen wieder verflüchtigt. Das, was geblieben war, machte mir nicht sonderlich viel aus, denn über weite Strecken des Jahres hatte ich mal hier und mal da blaue Flecken, die das Resultat der für Hindernisrennen gültigen Wahrscheinlichkeitsrechnung waren. Man stürzte ungefähr einmal pro vierzehn Rennen, manchmal auch öfter, und während einige Jockeys Körper hatten, die kaum je blaue Flecken zeigten, tat meiner dies gern und zur Genüge. Dafür heilte bei mir alles sehr schnell wieder — Knochen, Haut und Optimismus, eben alles.
Milo Shandy, der zwischen seinen Stallungen herumlief, als sei er absolut unfähig stillzustehen, kam zu meinem ausrollenden Wagen gerannt und riß die Tür auf der Fahrerseite auf. Die Worte, die er hatte sagen wollen, kamen irgendwie nicht heraus. Er starrte zuerst Brad an, dann
mich auf dem Rücksitz und meinte endlich:»Bei Gott, ein Chauffeur! Verhätschelst dich, was?«
Brad stieg aus, warf Milo einen Neandertalerblick zu und reichte mir wie üblich die Krücken.
Milo, dunkel, klein und untersetzt, beobachtete den Vorgang voller Abscheu.
«Ich möchte, daß du >Dattelpalme< reitest«, sagte er.
«Nun, das geht aber nicht.«
«Die Ostermeyers werden’s wünschen. Ich habe ihnen gesagt, daß du da sein wirst.«
«Gerry reitet >Dattelpalme< sehr gut«, sagte ich — Gerry war der Bursche, der das Pferd normalerweise und an den meisten Tagen der Woche bewegte.
«Gerry ist nicht du.«
«Er ist besser als ich mit meinem kaputten Fußgelenk.«
Milo blitzte mich an.»Willst du nun, daß das Pferd hier bleibt oder nicht?«
Das wollte ich natürlich.
Milo und ich verbrachten einen ansehnlichen Teil unserer Zeit mit Zankereien. Er war von Natur aus streitsüchtig und temperamentvoll, mit Ansichten schnell bei der Hand, die sich schon am nächsten Tag in ihr Gegenteil verkehren konnten, schulmeisterlich, dynamisch und direkt. Er vertraute einzig und allein seinem eigenen Urteil und war stets sicher, daß sich am Ende alles zum Guten wenden würde. Er verhielt sich den Pferdebesitzern gegenüber einigermaßen taktvoll, aber seinen Angestellten begegnete er mit Härte, und den Pferden, die er dutzendweise zu Siegern machte, mit Flüchen.
Ich war am Anfang, also vor drei Jahren, als ich für ihn zu reiten angefangen hatte, über die Art und Weise, wie er mit mir sprach, sehr erbittert gewesen. Eines Tages hatte ich die Beherrschung verloren und zurückgebrüllt, woraufhin er in ein Lachen ausgebrochen war und mir verkündet hatte, daß wir beide gut miteinander auskommen würden, was auch der Fall war, wenn auch nur selten an der Oberfläche.
Ich wußte, daß die Leute glaubten, wir paßten nicht zueinander — schließlich war ich gefällig und ruhig, er dagegen aufbrausend und unbeständig. Aber ich mochte seine Art, mit den Pferden zu arbeiten, die bereitwillig und gut für ihn zu laufen schienen, und so waren wir beide recht erfolgreich gewesen.