In diesem Augenblick trafen die Ostermeyers ein — auch sie mit Chauffeur, was Milo aber offensichtlich als selbstverständlich ansah. Er legte sein bullig-dickköpfiges Verhalten augenblicklich ab und ersetzte es durch den humo-rigen Charme, mit dem er die Besitzer regelmäßig zu verzaubern wußte. Der heutige Morgen bildete da keine Ausnahme. Die Ostermeyers sprachen sofort darauf an, sie mit einem neckischen Schlenkern der Hüften, er mit einem kräftigen Handschlag und breitem Grinsen.
Über meine Krücken waren sie nicht ganz so erfreut.
«O je«, rief Martha Ostermeyer mißbilligend aus.»Was haben Sie denn gemacht? Sagen Sie bloß nicht, daß Sie >Dattelpalme< nicht reiten können. Wir sind doch bloß hergekommen, wissen Sie, weil der liebe Milo uns gesagt hat, Sie würden da sein und das Pferd reiten.«
«Er wird’s auch reiten«, sagte Milo, noch bevor ich Martha Ostermeyer hatte antworten können, und sie klatschte erleichtert in ihre behandschuhten Hände.
«Wenn wir ihn kaufen sollen«, sagte sie lächelnd,»dann wollen wir ihn auch mit seinem richtigen Jockey im Sattel sehen und nicht mit irgendeinem von den anderen Burschen.«
Harley Ostermeyer nickte zustimmend und gütig mit dem Kopf.
Nicht so ganz meine Woche, dachte ich.
Die Ostermeyers waren ganz Güte und Verständnis, solange ihnen die Leute gefielen, und ich hatte es nie schwer gefunden, sie zu mögen. Aber mir war einmal auf dem Parkplatz einer Rennbahn auch Harley Ostermeyers versteckter Hang zu rücksichtsloser Bösartigkeit nicht entgangen — da hatte er einen Parkwächter zur Schnecke gemacht, der einen anderen Wagen so eingewiesen hatte, daß der seine eingeklemmt worden war und er eine halbe Stunde hatte warten müssen. Der Wachmann hatte wirklich verängstigt ausgesehen.»Gute Nacht, Derek«, hatte er gekrächzt, als ich dort vorbeigegangen war, und dann war Harley herumgeschnellt und hatte die Hälfte seines Ärgers dadurch abreagiert, daß er durch Schilderung seiner mißlichen Lage mein Mitgefühl zu erwecken trachtete. Harley Ostermeyer war sehr daran gelegen, daß man ihn für einen guten Kerl hielt — jedenfalls meistens. Er war, soweit ich das mitbekommen hatte, der Boß einer riesigen Supermarktkette. Martha Ostermeyer war selbst sehr wohlhabend, nämlich Bankiers-Multimillionärin in der vierten Generation. Ich war in den vergangenen Jahren oft für sie geritten und dafür gut entlohnt worden, denn Großzügigkeit gehörte zu ihren Vergnügungen.
Milo fuhr sie und mich in die Downs hinaus, wohin die Pferde schon gebracht worden waren, um bewegt zu werden. Der Tag war sonnig und kühl, der Himmel klar, die Downs erstreckten sich in Wellen bis zum Horizont, und das Fell der Pferde glänzte in der Sonne. Der ideale Tag, um einen Meisterschaftsjäger zu kaufen.
Milo schickte drei andere Pferde an den Anfang der Übungsstrecke und ließ sie diese dann entlanggaloppieren, damit die Ostermeyers wußten, wohin sie zu schauen hat-ten und was zu erwarten war, wenn erst >Dattelpalme< daherkam und an ihnen vorbeistob. Sie standen im Gras, blickten in die Richtung, in die Milo gezeigt hatte, und waren gespannt und glücklich.
Milo hatte in seinem großrädrigen Fahrzeug, das ungehindert durch den Schlamm und über die vielen Fahrspuren der Downs gerollt war, einen Ersatzhelm mitgebracht, und ich setzte ihn mit einem unhörbaren Seufzer auf. Das ganze Unterfangen war wirklich töricht, denn mein Bein war noch nicht wieder kräftig genug, und wenn irgend etwas Übles passierte, was >Dattelpalme< erschreckte, war nicht auszuschließen, daß er durchging, sich verletzte, und wir ihn auf die eine oder andere Weise verloren.
Andererseits war ich gelegentlich schon mit gebrochenen Knochen nicht nur Trainingsrunden, sondern richtige Rennen geritten, und ich kannte einen Jockey, der sich drei Knochen in einem Fuß gebrochen und doch mehrere Siege herausgeritten hatte — er hatte, den Fuß in einem Eimer mit Eis, zwischen den Rennen in seiner Kabine geruht und war dann buchstäblich zum Führring hinausgehüpft, von Freunden gestützt. Von behördlicher Seite waren später dann sehr strenge medizinische Vorschriften erlassen worden, um so etwas zu verhindern, war es doch den Wettern gegenüber nicht fair. Aber es war immer noch möglich, hin und wieder mal damit durchzukommen.
Milo sah mich mit dem Helm auf dem Kopf aus dem Fahrzeug rutschen, kam glückstrahlend herbei und sagte:»Ich wußte doch, daß du es machen würdest.«
«Mm«, sagte ich.»Wenn du mir in den Sattel hilfst, dann leg bitte beide Hände fest um mein Knie und paß gut auf, denn wenn mein Fuß umknickt, kommt’s zu keinem Verkauf.«
«Du bist mir vielleicht ein Schwächling«, sagte er.
Dennoch war er sehr vorsichtig, und ich landete ohne allzu große Probleme im Sattel. Ich hatte Jeans an und es an diesem Morgen zum ersten Mal geschafft, einen Schuh auch auf diesen Fuß zu bekommen — jedenfalls einen dieser weiten, weichen, schwarzen Ledermokassins, die ich als Hausschuhe benutzte. Milo schob den Steigbügel mit unerwarteter Sanftheit über den Mokassin, und ich fragte mich, ob ihm vielleicht in letzter Minute doch noch Zweifel an der Klugheit der ganzen Unternehmung gekommen waren.
Aber ein Blick auf die Gesichter der Ostermeyers vertrieb sowohl seine als auch meine Zweifel. Sie strahlten >Dattelpalme< bereits voller Besitzerstolz an.
>Dattelpalme< sah wirklich gut aus, stach ins Auge, wie man so sagt. Ein Brauner mit schwarzen Flecken, ausgezeichneter Kopf, kurze, stämmige Beine mit reichlich Knochen. Die Ostermeyers waren stets auf hübsche Tiere aus, weil sie selbst so hübsch waren, und >Dattelpalme< war darüber hinaus auch noch ein sehr wohlerzogenes Pferd, was einen Ritt mit ihm zu einem wahren Vergnügen machte.
Er und ich und noch zwei andere Pferde von unserer Koppel ritten nun im Schritt zum anderen Ende der Galoppstrecke los, fielen aber bald schon in einen leichten Trab, was mir nur dadurch möglich wurde, daß ich mich in den Bügeln aufstellte, alles Gewicht auf den rechten Fuß verlagerte und Milo wegen der Empfindungen in meinem linken phantasievoll verwünschte. >Dattelpalme<, der sehr genau wußte, wie Pferde zu reiten waren, nämlich nicht mit einer solchen Schlagseite, schüttelte heftig Kopf und Schweif, schien mir im übrigen dann aber doch zu vertrauen. Wir beide kannten uns schließlich sehr gut, war ich doch im Verlauf der vergangenen drei Jahre bei allen Rennen sein Jockey gewesen. Pferde hatten keine Mög-lichkeit, einem Wiedererkennen direkten Ausdruck zu geben, aber manchmal drehte er doch den Kopf zu mir hin und sah mich an, wenn er meine Stimme hörte, und ich meine auch, daß er mich an meinem Geruch erkennen konnte, denn er berührte zuweilen meinen Nacken mit dem Maul, und seine Nüstern machten dabei kleine, flatternde Bewegungen. In jedem Fall hatten wir eine sehr enge Beziehung zueinander, und das kam uns an diesem Morgen sehr zustatten.
Am Anfang der Galoppstrecke angelangt, bereiteten meine beiden Mitreiter und ich die Pferde darauf vor, in gestrecktem Galopp zu Milo und den Ostermeyers zurückzureiten. Ich mußte vor allem dafür sorgen, daß ich auf deren Seite neben den Begleitpferden herritt, damit sie einen ungehinderten Blick auf die Ware werfen konnten, und daß ich am Ende die Nase vorn hatte, um sie davon zu überzeugen, daß dies auch in Zukunft so sein würde.
Langsam einen Kreis reitend, um >Dattelpalme< in die richtige Ausgangsposition zu bringen, redete ich leise mit dem Pferd, wie ich das oft tat. Wie viele andere Rennpferde auch, empfand es den Klang der menschlichen Stimme als beruhigend, denn sie ließ es irgendwie spüren, daß alles in Ordnung war. Vielleicht hörten Pferde ja die tieferen Schwingungen — man konnte nie wissen.
«Lauf einfach mal da rauf wie ein echter Profi«, sagte ich zu ihm,»weil ich dich ungern verlieren würde, alter Knabe. Ich möchte eines Tages das Grand National mit dir gewinnen, deshalb glänze, blende. Ach, gib dein Bestes, verdammt und zugenäht.«