Ich ruckte kurz am Zügel, die Pferde setzten sich in Bewegung — und tatsächlich zeigte sich >Dattelpalme< von seiner allerbesten Seite, hielt sich den größten Teil der Strecke bei seinen Begleitern, verlängerte erst seinen Schritt, als ich ihm das Signal dazu gab, löste sich dann von den anderen und schoß ruhig und mit gleichsam fließender Kraft an den Ostermeyers vorbei. Und wenn der Jockey die ganze Zeit über heftig stechende Schmerzen verspürte, so war das nur ein fairer Preis für das Ergebnis. Noch bevor ich das Pferd zum Stehen gebracht hatte, hatten es die Ostermeyers erworben, den Kauf mit einem Handschlag besiegelt.
«Die Vorlage eines einwandfreien veterinärärztlichen Attests vorausgesetzt«, sagte Harley gerade, als ich >Dat-telpalme< im Schritt zu der Gruppe zurückbrachte.»Sonst ist er wirklich großartig.«
Milos Lächeln sah so aus, als wolle es sein Gesicht zerteilen. Er hielt die Zügel, während Martha aufgeregt ihre Neuerwerbung tätschelte, und er hielt sie auch dann noch, als ich meine Füße aus den Steigbügeln zog, mich sehr behutsam zu Boden gleiten ließ und dann die paar Schritte bis zu der Stelle hüpfte, wo meine Krücken im Gras lagen.
«Was haben Sie mit Ihrem Fuß gemacht?«fragte Martha gänzlich unbesorgt.
«Verstaucht«, sagte ich und stützte erleichtert die Arme auf die Krücken.»Sehr langweilig.«
Sie lächelte, nickte und tätschelte nun meinen Arm.»Milo sagte, daß es nichts Schlimmes sei.«
Milo warf mir einen schauerlichen Blick zu, gab >Dattel-palme< an Gerry zurück und half den Ostermeyers in das großrädrige Fahrzeug, um nach Hause zu fahren. Wir holperten über die Fahrspuren, und ich nahm den Helm ab und strich mir mit den Fingern durchs Haar, wobei mir durch den Kopf ging, daß ich zwar nicht gern dauernd solche Ritte absolvieren, es aber durchaus wieder tun würde, wenn dies zu einem so positiven Ergebnis führte.
Wir kehrten nun alle bei Milo zum Frühstück ein, dort so sehr ein Ritual wie in anderen Rennställen auch, und Milo und die Ostermeyers besprachen bei Kaffee, Toast und Spiegeleiern mit Speck das weitere Programm von >Dattel-palme<, zu dem alle Spitzenrennen und natürlich auch ein erneuter Versuch gehören sollten, den Gold Cup zu holen.
«Was ist mit dem Grand National?« fragte Martha mit Augen wie Sternen.
«Nun ja, das müssen wir erst mal abwarten«, sagte Milo, aber auch seine Träume waren so deutlich sichtbar wie die Strahlen von Scheinwerfern. Er hatte als erstes nach unserer Rückkehr die vormalige Besitzerin von >Dattelpalme< angerufen, sich von ihr bestätigen lassen, daß sie mit dem Verkauf einverstanden und sehr angetan davon war — und seitdem war er fast wie ein mit Helium gefüllter Ballon, den man an der Schnur von der Decke auf den Boden zurückziehen mußte. Meine Begeisterung war aber auch nicht viel kleiner. >Dattelpalme< war wirklich ein Pferd, das einen zum Träumen bringen konnte.
Nach dem Essen und dutzendfachen Wiederholungen der Tugenden ihres Pferdes erzählte Milo den Ostermeyers, daß ich >Dozen Roses< geerbt hatte, die gerichtliche Bestätigung des Testaments vorausgesetzt, was sie sehr zu interessieren schien. Martha setzte sich aufrechter hin und rief:»Sagten Sie York?«
Milo nickte.
«Meinen Sie kommenden Samstag? Also so was, Harley und ich wollten nämlich jetzt am Sonnabend zum Rennen nach York fahren, nicht wahr, Harley?«
Harley sagte, daß dem in der Tat so sei.»Unsere lieben Freunde Lord und Lady Knightwood haben uns zum Lunch gebeten.«
Martha sagte:»Warum nehmen wir Derek nicht im Auto mit rauf, damit er sein Pferd laufen sehen kann? Was meinst du dazu, Harley?«
«Würde mich freuen, wenn Sie sich uns anschließen würden«, sagte Harley voller Aufrichtigkeit zu mir.»Lassen Sie uns bloß kein Nein hören.«
Ich sah in ihre freundlich-insistierenden Gesichter und sagte lahm:»Ich hatte eigentlich, wenn überhaupt, mit der Bahn fahren wollen.«
«Nein, nein«, sagte Martha.»Kommen Sie mit dem Zug nach London, und dann fahren wir zusammen rauf. Sagen Sie zu.«
Milo sah mich ängstlich an — die Ostermeyers zufriedenzustellen, das hatte noch immer absolute Priorität. Ich sagte, daß ich ihr freundliches Anerbieten sehr gerne annähme, und Martha, in deren Befriedigung sich plötzliche Unruhe mischte, sagte, sie hoffe doch sehr, daß meine Erbschaft mich nicht dazu bringen werde, keine Rennen mehr zu reiten.
«Nein«, sagte ich.
«Das klingt ausreichend entschieden«, sagte Harley mit Genugtuung.»Sie sind Teil unseres Handels, teurer Freund. Sie und >Dattelpalme< gehören zusammen.«
Kurz darauf fuhren Brad und ich nach London zurück, und ich war froh, daß er am Steuer saß.
«Büro?«fragte er, und ich sagte:»Ja«, und wir legten den Weg in schweigender Harmonie zurück.
Er hatte mir schon am gestrigen Abend berichtet, daß Grevilles Auto nicht in der Nähe seines Hauses geparkt stehe — beziehungsweise hatte er mir den Zettel mit Grevilles Autonummer zurückgegeben und gesagt:»Habs nich finden können. «Ich dachte, daß ich mich wohl lieber an die Polizei und andere Abschleppunternehmen in Ipswich wenden und außerdem besser damit anfangen sollte, mich über die Finanzen der Firma und auch die Grevilles zu informieren. Außerdem hatte ich noch zwei Drittel des Tresorraums zu überprüfen. Ich fühlte wieder den unerbittlichen Sog des Treibsandes.
Ich nahm die verwirrenden kleinen Spielsachen aus Gre-villes Haus mit nach oben ins Büro und zeigte sie June.
«Dies da«, sagte sie sogleich und zeigte auf die daumenlange Röhre mit dem Winselton,»ist ein Gerät, das Mük-ken vertreibt. Mr. Franklin sagte, das Geräusch sei das einer männlichen Mücke und es schrecke die blutsaugenden Weibchen ab. «Sie lachte.»Er sagte immer, jeder sollte so ein Ding bei sich haben.«
Sie nahm das andere Gerät in die Hand und runzelte die Stirn, drückte die rote Taste ohne jedes Ergebnis.
«Es hat eine Antenne«, sagte ich.
«O ja. «Sie zog sie voll aus.»Ich glaube…«Sie unterbrach sich.
«Er hatte mal so einen Sender, mit dem er aus einiger Entfernung sein Auto anlassen konnte. Da lief dann bei kaltem Wetter der Motor warm, bevor er das Haus verließ. Aber das Empfangsteil wurde ihm mitsamt seinem Porsche geklaut. Und dann kaufte er sich ja den alten Rover, und er meinte, daß es nur bei automatischem Getriebe oder Benzineinspritzung oder irgend so was funktioniere, was der Rover nicht habe.«
«Dann ist das also der Fernanlasser?«
«Also… nein. Dies hier macht nicht soviel. Der Fernanlasser hatte auch Knöpfe, mit denen man das Licht einschalten konnte. Da konnte man sehen, wo das Auto stand, wenn man es zum Beispiel auf einem unbeleuchteten Parkplatz abgestellt hatte. «Sie schob die Antenne wieder zusammen.»Ich glaube, dies Ding schaltet nur das Licht ein oder läßt das Auto pfeifen, wenn ich mich rich-tig erinnere. Er freute sich ungeheuer darüber, als er es bekam, aber ich hab’s schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Er hatte so viele Sachen, daß er sie schon nicht mehr alle mit sich herumtragen konnte, und ich glaube, er war es auch ein bißchen leid geworden, sie herumzuschleppen. Die meisten ließ er in seinem Schreibtisch liegen.«
«Sie haben sich gerade Ihre zwanzig Prozent Gehaltserhöhung noch ein zweites Mal verdient«, sagte ich.
«Wie bitte?«
«Lassen Sie uns doch mal sehen, ob die Batterien überhaupt noch gut sind«, sagte ich.
Sie öffnete das Batteriefach des Senders und entdeckte, daß es leer war. Als sei das reine Routine, öffnete sie ein Schubfach in einem der anderen Unterschränkchen des Schreibtisches, und zum Vorschein kam eine große, offene Schachtel, die mit Unmengen von Batterien der verschiedensten Größen gefüllt war. Sie nahm eine Packung heraus, öffnete sie, steckte die erforderliche Anzahl von Energiequellen in die dafür vorgesehene Kammer, und obwohl ein Druck auf die rote Taste noch immer kein Ergebnis zeitigte, war ich doch recht zuversichtlich, daß wir der Sache nähergekommen waren.