Выбрать главу

«Danke«, sagte ich. Ich nahm das Kästchen auf und öffnete es — darin war ein elektronisches Miniaturschachspiel, eines von diesen Dingern, die den Spieler dazu herausfordern, es zu schlagen. Ich blickte auf. Trelawneys Gesicht hatte, da er sich unbeobachtet wähnte, einen tieftraurigen Ausdruck angenommen.»Würden Sie es gern haben?«sagte ich.»Ich weiß, es ist nicht viel, aber möchten Sie es gern behalten?«

«Wenn das ein ernstes Angebot ist?«

Ich nickte, und er steckte das Schachspiel wieder in die Tasche.

«Greville und ich haben oft… ach, verdammt…« Er brach mit diesem hervorgestoßenen Wort ab. Dann sagte er:»Warum mußte so etwas Sinnloses geschehen?«

Darauf gab es keine Antwort. Traurig nahm ich das schwarze Notizbüchlein in die Hand und öffnete es gedankenlos.

«Die Bösen verlachen die Guten«, las ich laut vor,»und die auf krummen Wegen wandeln, verachten den, der den geraden Weg geht.«

«Die Gedanken des Vorsitzenden Mao«, sagte Trelaw-ney trocken, sich wieder fassend.»Ich pflegte ihn damit aufzuziehen. Er sagte, das wäre eine Angewohnheit aus seinen Studententagen, als er gelernt habe, seine Gedanken dadurch zu ordnen, daß er sie nieder schrieb. Als ich erfahren hatte, daß er tot war, habe ich dieses Büchlein durchgelesen. Ich habe mir auch einiges abgeschrieben, ich hoffe, das macht Ihnen nichts. «Er lächelte.»Sie werden sehen, daß einige seiner Anmerkungen sehr interessant sind.«

«Die über seine Pferde?«

«Die auch.«

Ich verstaute das Notizbuch in einer Hosentasche, die schon recht voll war, und zog dabei, einer Eingebung folgend, den Taschenkalender heraus. Ich zeigte ihn Trelaw-ney und erklärte ihm, worum es sich handelte.

«Ich habe bei dieser Nummer hier angerufen«, sagte ich und zeigte sie ihm,»und Grevilles Namen genannt. Da hat mich eine Frau sehr bestimmt aufgefordert, sie nicht noch einmal zu behelligen, da sie diesen Namen in ihrem Hause nicht mehr zu hören wünsche.«

Elliot Trelawney runzelte die Stirn.»Greville? Klingt gar nicht nach Greville.«

«Das dachte ich auch. Könnte es mit irgendeinem Ihrer Fälle zu tun gehabt haben? Vielleicht war das jemand, den er mal wegen irgendeiner Sache verurteilt hat?«

«Ja, das kann sein. «Er dachte nach.»Ich könnte wahrscheinlich herausbekommen, wessen Nummer das ist, wenn Ihnen daran gelegen ist. Sonderbar daran wäre aber, daß er sie in seinen Taschenkalender geschrieben hat. Möchten Sie der Sache weiter nachgehen?«

«Sie kam mir doch merkwürdig vor«, sagte ich.

«Mit Recht. «Er zog aus seiner anderen Innentasche einen goldenen Stift und notierte sich die Nummer in einem kleinen schwarzen Büchlein mit goldenen Ecken.

«Machen Sie sich mit dieser richterlichen Tätigkeit viele Feinde?«fragte ich.

Er sah auf und zuckte die Achseln.»Hin und wieder werden wir beschimpft. Ausgepfiffen, könnte man sagen. Aber normalerweise nicht. Meistens bekennen sich die Angeklagten schuldig, weil sie es nur allzu offensichtlich sind. Der einzige wirkliche Feind, den Greville gehabt haben könnte, ist dieser Spielclub-Gründer, der seine Konzession nicht bekommen wird. Greville bezeichnete ihn mal als Drogenkönig. Ein Mann, dem ein Mord zur Last gelegt werde, der aber mangels Beweisen nicht verurteilt werden könne. Ja, der könnte ihm recht böse gewesen sein. «Er zögerte.»Als ich hörte, daß Greville ums Leben gekommen ist, da dachte ich zunächst an Vaccaro. Aber es scheint ja wohl eindeutig so zu sein, daß die Sache mit dem Baugerüst ein reiner Unglücksfall war. oder nicht?«

«Ja, das war es. Das Gerüst ist sehr weit oben eingebrochen. Ein Mann, der darauf arbeitete, stürzte drei Stockwerke tief in den Tod. Auf Greville regneten einfach die Teile herab. Eine Minute früher, eine Minute später…«Ich seufzte.»Ist Vaccaro der Mann mit der Clublizenz?«

«Das ist er. Er erschien vor dem Ausschuß und machte einen vollkommen aufrichtigen Eindruck. Unter der Bedingung einer Überwachung, sagten wir. Aber dann hat sich irgend jemand mit Greville in Verbindung gesetzt und ihn auf all den Dreck an Vaccaros Stecken aufmerksam gemacht. Wir selbst verfügen allerdings über keinerlei Einzelheiten, deshalb brauchen wir seine Aufzeichnungen.«

«Ich werde nach ihnen suchen«, versprach ich noch einmal. Ich blätterte in dem Taschenkalender noch ein paar Seiten weiter.

«Sagt Ihnen >Koningin Beatrix< irgend etwas?«Ich zeigte ihm die Eintragung.»Oder >kZr = C x 1,7<?«

C, dachte ich und sah noch einmal hin, stand für Diamanten.

«Nichts«, sagte Elliot Trelawney.»Aber wie Sie selbst ja wissen, konnte Greville ebenso dunkel wie klar sein. Und das sind schließlich ganz private Aufzeichnungen. Wie sein Notizbuch. Das war auch nicht für die Allgemeinheit bestimmt.«

Ich nickte, steckte den Taschenkalender wieder ein und bezahlte Elliot Trelawneys zweiten Glenlivet, wobei ich mich irgendwie voll fühlte. Er blieb noch eine Weile und schien froh zu sein, über Greville sprechen zu können, während ich es zufrieden war, ihm zuzuhören. Wir verabschiedeten uns schließlich fast freundschaftlich, und er gab mir seine Karte mit seiner Telefonnummer, damit ich ihn anrufen könne, sollte ich Grevilles Aufzeichnungen finden.

Wenn, dachte ich bei mir. Wenn ich sie finde.

Als er gegangen war, rief ich vom Pub aus meinen Wagen an, hängte nach fünf unbeantworteten Brrr-brrrs wieder auf und trat auf die Straße hinaus. Fast grinsend erschien Brad, um mich abzuholen.

«Nach Hause«, sagte ich, und er sagte» Wollja«, und das war’s.

Unterwegs las ich in Grevilles Notizbuch und hielt oft inne, um die flüchtigen Gedanken in mich aufzunehmen, die ganz offensichtlich von dem Strandgut inspiriert worden waren, das da im West-Londoner Magistratsgericht angeschwemmt wurde.

«Die Redlichkeit ist der Feind des Bösen«, schrieb er,»wie das Böse der Feind des Guten ist. Das Böse wie das Gute können selbstgefällig werden.«

«Du wirst in allen Einkommensgruppen diesen miesen Spießbürgertyp finden, der seine Freude an der Anarchie hat, aber indigniert die Polizei ruft, wenn in sein Haus eingebrochen worden ist, der sich lautstark jeder Autorität widersetzt, bis er mal vor jemandem gerettet werden muß, der eine Pistole in der Hand hält.«

«Die zum Empfang milder Gaben ausgestreckte Hand kann sich im Nu in eine dich verwünschende Faust verwandeln. Der Staaten Hand, der Staaten Faust.«

«Das Verbrechen ist für viele Menschen nicht Verbrechen, sondern einfach ein Lebensstil. Wenn sich Gesetze als störend erweisen, dann ignoriere sie, sie gelten nicht für dich.«

«Unendlich traurig ist, wenn man einem alten Freund nicht mehr vertraut.«

«Historisch gesehen sind mehr Leute an der Religion als an Krebs gestorben.«

«Ich hasse Vergewaltiger. Ich stelle mir vor, wie mich jemand anal vergewaltigt, und der Zorn übermannt mich. Es ist jedoch wichtig, ein Urteil kalt zu fällen.«

Weiter hinten stieß ich ganz unverhofft auf das, was Elliot Trelawney gemeint haben mußte.

Greville hatte notiert:»Derek kam sehr steif mit gebrochenen Rippen zum Essen. Ich fragte ihn, wie er es schaffe, mit all seinen Verletzungen zu leben. >Vergiß den Schmerz und laß die Party weiterlaufenc, sagte er. Also tranken wir Schampus.«

Ich hörte zu lesen auf und blickte in die herbstliche Landschaft hinaus, über der es dunkel zu werden begann und in der überall Lichter angingen. Ich erinnerte mich noch sehr gut an diesen Abend, bis zu einem gewissen Punkt. Greville war sehr lustig gewesen. Der Cocktail aus Champagner und Schmerztabletten hatte mich ganz schön high gemacht und ich hatte nicht das geringste gespürt, bis ich am folgenden Morgen aufwachte. Ich war siebzig Kilometer bis zu mir nach Hause gefahren, ohne dies irgendwie mitbekommen zu haben, und es war nicht zuletzt diesem erschreckenden Umstand zuzuschreiben, daß ich mich im Augenblick und so gehorsam an Mineralwasser hielt.