«Wenn sich Gesetze als störend erweisen, dann ignoriere sie, sie gelten nicht für dich.«
«Wie bitte?«
«Ein Satz, den Greville in sein Notizbuch geschrieben hat.«
«O ja. Es scheint so, daß Greville sich die Telefonnummer der Mutter hat geben lassen, um mit ihr über Rehabilitationsmaßnahmen für die Tochter zu sprechen, aber Mama wollte ihn nicht anhören. Sagen Sie…«Er zögerte.»Melden Sie sich hin und wieder mal? Treffen wir uns gelegentlich zu einem Drink im >Rook and Castle<?«
«Sehr gern, ja.«
«Und sollten Sie diese Aufzeichnungen finden, dann lassen Sie’s mich bitte wissen.«
«Natürlich«, sagte ich.
«Wir möchten diesen Vacarro gern stoppen, verstehen Sie?«
«Ich werde überall nachschauen«, versprach ich.
Den Hörer auflegend, befragte ich Annette.
«Aufzeichnungen zu seinen Fällen?«sagte sie.»O nein, die brachte er nie mit in die Firma.«
Wie er ja auch nie Diamanten gekauft hat, dachte ich trocken. Keine Spur von ihnen, weder in den Aufbewahrungshüllen noch in den Büchern.
Der leise, drängende Weckton war wieder gedämpft in der Schreibtischschublade zu hören. Meine Uhr zeigte zwanzig nach vier. Ich zog das Fach an seinem Griff heraus — und der Wecker hörte wie beim vorigen Mal auch sofort auf zu piepsen.
«Suchen Sie etwas?«fragte June, die gerade hereingeweht kam.
«Irgend etwas mit einer Weckvorrichtung wie beispielsweise eine Digitaluhr.«
«Das kann nur diese Weltuhr sein«, sagte sie.»Mr. Franklin pflegte sie sich zu stellen, um sich selbst daran zu erinnern, daß er Lieferanten in Tokio und so weiter anrufen wollte.«
Ich dachte bei mir, daß ich den Wecker eigentlich nicht brauchte, wo ich doch gar nicht wußte, was ich den Lieferanten sagen sollte.
«Möchten Sie, daß ich ein Fax nach Tokio schicke und mitteile, daß die Perlen gut hier eingetroffen sind?«fragte sie.
«Tun Sie das sonst denn auch?«
Sie nickte.»Sie machen sich leicht Sorgen.«
«Dann bitte.«
Als sie gegangen war, erschien Jason mit seinem orangefarbenen Haar in der Tür und erzählte mir ohne jede Spur frecher Überheblichkeit, daß er das Zeug zu Prospero Jenks geschafft, einen Scheck wieder mitgebracht und diesen Annette übergeben habe.
«Danke«, sagte ich unbewegt.
Er warf mir einen nicht zu deutenden Blick zu und meinte:»Annette hat gesagt, ich sollte Ihnen das mitteilen«, und entfernte sich. Eine erstaunliche Wandlung zum Besseren, dachte ich.
Ich blieb an diesem Abend noch im Büro, nachdem alle anderen gegangen waren, und durchmaß langsam Grevilles Reich — auf der Suche nach Verstecken, die listig und tückisch und höchst irreführend waren.
Es war gänzlich unmöglich, die ungezählten flachen Schubladen in den Lagerräumen zu durchsuchen, und ich kam zu dem Schluß, daß er die wohl auch kaum gewählt haben würde, hätten doch Lily oder einer von den anderen da zu leicht finden können, was sie oder er nicht finden sollten. Das war überhaupt das Problem dieser ganzen Räumlichkeiten, dachte ich schließlich. Greville hatte sich in das Bemühen, die Entstehung persönlicher Nischen zu verhindern, selbst einbezogen, waren doch offensichtlich alle seine Mitarbeiter höchst zutraulich in seinem Büro ein- und ausgegangen, wann immer ihnen dies erforderlich erschienen war.
Ständig präsent war auch der unangenehme Gedanke, daß, wenn Greville irgendeinen Hinweis auf die Diamanten in seinem Büro hinterlassen hatte, dieser leicht mit dem artistischen Einbrecher verschwunden sein konnte, das heißt gar nichts mehr da war, was ich hätte finden können — und in der Tat fand ich nichts, was auch nur annähernd brauchbar gewesen wäre. Nach einer Stunde ohne jedes Ergebnis schloß ich alles zu, was nur zuzuschließen war, und ging in den Hof hinunter zu Brad, damit er mich nach Hause fahre.
Der Tag von Grevilles Bestattung brach kalt und klar an, und wir bewegten uns schon ostwärts, als die Sonne aufging. Da die Fahrt nach Ipswich insgesamt nur drei Stunden beanspruchte, hatten wir bei unserer Ankunft in der Stadt noch ausreichend Zeit, uns nach Grevilles Wagen umzusehen.
Nachfragen bei der Polizei hatten zu keinem positiven Ergebnis geführt. Sie hatten keinen uralten Rover abgeschleppt, mit Krallen bewegungsunfähig gemacht oder mit Strafzetteln verziert. Sie hatten die Autonummer in keiner Straße und auf keinem Parkplatz entdecken können, aber das besagte noch nichts Endgültiges, wie sie mir versichert hatten. Für sie habe die Fahndung nach dem Wagen keinerlei Priorität, da er ja nicht als gestohlen gemeldet worden sei, aber sie würden mir natürlich Bescheid geben, wenn, ja, wenn.
Ich erklärte Brad unterwegs den Autosucher und hatte auch einen Stadtplan dabei, der unbedingt dazugehörte.
«Es scheint, daß die Scheinwerfer des Autos angehen und ein Pfeifton hörbar wird, wenn man auf diese rote Taste hier drückt«, sagte ich.»Sie fahren also, und ich drük-ke, okay?«
Er nickte, schien belustigt, und wir machten uns daran, auf diese etwas absonderliche Art und Weise nach dem Auto zu suchen. Wir fingen im Stadtzentrum in der Nähe der Stelle an, wo Greville gestorben war, und fuhren von dort aus sehr langsam die Straßen ab, zuerst die in nördlicher Richtung, dann die nach Süden, und ich markierte auf dem Stadtplan die, die wir erledigt hatten. In den Wohnvierteln standen die Autos oft Stoßstange an Stoßstange geparkt, aber nirgends ertönte ein Pfeifton. Es gab öffentliche Parkplätze und Parkplätze von Geschäften und den Parkplatz am Bahnhof, aber nirgendwo ließen wir Lichter angehen. Rover des Modells 3500 waren in jedem Falle nicht sehr häufig vertreten, und wenn wir einen sahen, dann hielten wir an, um uns das Kennzeichen anzusehen, auch wenn die Farbe des Wagens nicht grau war — aber der von Greville war nicht darunter.
Bedrückende Enttäuschung machte sich breit. Ich hatte ernsthaft vorgehabt, das Auto zu finden. Als sich die Mittagszeit näherte, es auf zwei Uhr zuging, fing ich an zu glauben, daß ich nicht so lange hätte warten sollen, daß ich sofort nach Grevilles Tod die Suche hätte aufnehmen müssen. Aber am vergangenen Sonntag, so dachte ich dann auch, war ich nicht in der Verfassung dazu gewesen, und ich wußte ja auch überhaupt erst seit Dienstag, daß es da etwas Wertvolles zu suchen gab. Selbst jetzt noch war ich mir sicher, daß er die Diamanten niemals ungeschützt hätte herumliegen lassen, aber irgendeinen Grund dafür, daß er in Ipswich gewesen war… bei etwas Glück, warum nicht?
Das Krematorium lag in einem Garten mit säuberlich gepflanzten Rosenbäumen — Brad setzte mich am Eingang ab und fuhr weiter, um sich etwas zu essen zu suchen. Zwei schwarzgewandete Herren begrüßten mich, beide mit angemessenem Gesichtsausdruck, und stellten sich mir als der Bestatter, dem ich den Auftrag erteilt hatte, und als einer der für das Krematorium zuständigen Angestellten vor. Eine Fülle von Blumen sei gekommen, sagten sie, und erkundigten sich, welche davon ich auf den Sarg gelegt haben wolle.
Ein wenig verwirrt ließ ich mir die Blumen zeigen, die in einem langen, überdachten Gang neben dem Gebäude lagen. Ein oder zwei Gruppen weinender Menschen besahen sich dort Kränze, die für ihre Trauerfeier bestimmt waren.
«Dies hier sind die für Mr. Franklin«, sagte der Krematoriumsangestellte und wies auf zwei lange Reihen leuchtender Sträuße, die an diesem Ort des Todes bunte Lebendigkeit ausstrahlten.
«Die alle?«sagte ich erstaunt.
«Sie sind den ganzen Vormittag über gekommen. Welche wollen Sie drin haben, auf dem Sarg?«
Ich sah, daß Kärtchen an den Sträußen steckten.