Ich gab ihm besänftigend meine Kreditkarte zur Begleichung der Rechnung, und er schleppte sie in ein Kabuff von Büro.
Ich blickte wieder zum Rover hin.»Können Sie den fahren?«fragte ich Brad.
«Wollja«, sagte er finster.
Ich lächelte und zog Grevilles Schlüsselbund aus der Tasche, um zu sehen, ob einer der Schlüssel den Kofferraum öffnen würde — und das war zu meiner Erleichterung der Fall, obwohl der betreffende Schlüssel keiner war, den man normalerweise mit Autos in Verbindung gebracht hätte. Sah aus wie ein Safe-Schlüssel, dachte ich, und das Schloß, das dann sichtbar wurde, war entsprechend kompliziert und aus Stahl. Sein Einbau war typisch für Greville, der nach seinen Erfahrungen mit dem Porsche auf ein Höchstmaß an Sicherheit bedacht gewesen war.
Zu dem so stark gesicherten Schatz gehörten ein Satz teuer aussehender Golfschläger, dazu ein Caddie und eine Schachtel mit neuen Golfbällen, ein großer brauner Umschlag, eine Reisetasche mit Schlafanzug, frischem Hemd, Zahnbürste und einer rot-orangefarbenen Dose Rasierschaum, ferner ein schnurloses, tragbares Telefon wie meins, ein kleiner PC, ein tragbares Telefax-Gerät, ein geöffneter Karton mit Fax-Papier, ein blankpoliertes Holzkästchen, in dem sich eine hübsche Messingwaage und federleichte Gewichte befanden, eine Dieb stahlsicherung, die am Lenkrad anzubringen war, eine riesige Taschenlampe und ein kompliziert aussehender, schwerer, orangefarbener Metallapparat, in dem ich, mich Grevilles begeisterter Schilderung erinnernd, ein Gerät wiedererkannte, das man unter einen platten Reifen montieren und dann damit zur nächsten Werkstatt fahren konnte, ohne das Rad am Straßenrand wechseln zu müssen.
«O Mann!«sagte Brad und besah sich die Ladung, und auch dem Mechaniker, der mit dem Zettelkram zurückkam, war sogleich die Notwendigkeit der besonderen Sicherheitsvorkehrungen einsichtig.
Ich klappte den Kofferraumdeckel zu und verschloß ihn wieder, was mich irgendwie Greville sehr ähnlich zu machen schien, und warf dann einen schnellen Blick in das Innere des Wagens, wo ich die Art von Unordnung vorfand, die auch der größten Ordnungsliebe trotzt — Zündholzschachteln, Papierstreifen von Parkuhren, eine blau getönte Sonnenbrille und eine Zellophanpackung mit Papiertaschentüchern. In der Türablage auf der Fahrerseite eine Straßenkarte, unordentlich hineingestopft.
Ich nahm sie heraus. Es war eine Karte von East Anglia, auf der die Strecke zwischen London und Ipswich tiefschwarz nachgezeichnet worden war. Am Rand waren die Nummern der Straßen, denen man folgen mußte, untereinander aufgelistet. Die markierte Strecke endete aber nicht, wie ich mit Interesse feststellte, in Ipswich, sondern führte weiter bis Harwich.
Das an der Nordsee gelegene Harwich war ein Fährhafen. Von Harwich nach Hoek van Holland — eine der historischen Verbindungen wie die zwischen Dover und Calais oder Folkestone und Oostende. Ich wußte nicht, ob es diese Fähren von Harwich aus überhaupt noch gab, und dachte, daß Greville, wenn er nach Holland hätte reisen müssen, wohl mit Sicherheit geflogen wäre. Trotzdem aber war er allem Anschein nach auf dem Weg nach Harwich gewesen.
Ich wandte mich abrupt an den Meister, der mit ersten Anzeichen der Ungeduld unserer Abfahrt harrte, und fragte:»Gibt es irgendwo hier in der Nähe ein Reisebüro?«
«Drei Häuser weiter«, sagte er und zeigte die Richtung an,»aber hier können Sie nicht parken, wenn Sie dorthin wollen.«
Ich gab ihm ein Trinkgeld, das groß genug war, um eine Meinungsänderung zu bewirken, ließ Brad zurück, damit er auf die Autos aufpasse, und hinkte an meinen Krücken die Straße entlang. An der bezeichneten Stelle tauchte das Reisebüro auf, und ich ging hinein, um mich über Fährverbindungen nach Hoek van Holland informieren zu lassen.
«Natürlich«, sagte ein entgegenkommendes Mädchen.»Sie fahren täglich und auch jede Nacht. Sealink befährt diese Strecke. Wann wollen Sie fahren?«
«Das weiß ich eigentlich noch nicht.«
Sie hielt mich wohl für nicht ganz richtig im Kopf.»Also, die St. Nicholas fährt jeden Morgen nach Holland rüber, und die Koningin Beatrix jeden Abend.«
Ich muß so verdattert ausgesehen haben, wie ich mich fühlte. Ich schloß meinen offenstehenden Mund.
«Was ist denn?«fragte sie.
«Nichts, nichts. Vielen Dank.«
Sie zuckte die Achseln, als entzögen sich die Marotten des Reisepublikums jeglichem Verstehen, und ich hüpfte mit meinem großen Batzen von Wissen zur Werkstatt zurück — ein Wissen, das zwar ein kleines Rätsel gelöst, mir gleichzeitig aber ein neues aufgegeben hatte, nämlich was Greville wohl mit der Koningin Beatrix im Sinn gehabt hatte, die kein Pferd, sondern ein Schiff war.
Brad fuhr den Rover nach London zurück und ich mein eigenes Auto, und dies in einem Tempo, das auch Schnek-ken zum Weinen hätte bringen können. Was immer die Werkstatt in Ipswich Grevilles Zündkerzen auch angetan haben mochte, bestehende Schwierigkeiten hatte sie nicht behoben, denn soweit ich sehen konnte, lief der V.8-Motor eher wie ein V.4er, wenn nicht sogar wie ein V. 1, 5er. Schon kurz nach Verlassen der Stadt hielt Brad an und reinigte die Zündkerzen unter Flüchen noch einmal, aber auch das brachte nichts.
«Braucht neue«, sagte er.
Ich nutzte die Zeit, um die Golftasche, die Schachtel mit den Bällen, die Reisetasche und alle sonstigen Gerätschaften gründlich zu untersuchen.
Keine Diamanten.
Wir fuhren weiter, der Rover bergauf in kleinem Gang gefährlich langsam und ich dicht hinter ihm für den Fall, daß er den Geist vollkommen aufgeben sollte. Mir machte diese gemächliche Fortbewegung eigentlich nichts aus, aber mein auf dem Wagenboden ruhender Fuß schickte immer wieder Stiche durch mein Bein nach oben, und endlich erwachte der Gesamtschmerz in meinem Knöchel zu neuem Leben. Aber im Unterschied zu der Rückfahrt aus Ipswich vor fünf Tagen war das ein Pappenstiel. Meine Verletzungen heilten noch immer schnell, dachte ich voller Dankbarkeit. Spätestens am Dienstag würde ich wieder laufen. Nun ja, mich zumindest dahinschleppen wie Grevilles Auto.
Es machte keine Freude sich vorzustellen, daß er, wenn seine Zündkerzen in Ordnung gewesen wären, nicht angehalten hätte, um sie nachsehen zu lassen, und folglich auch nicht im falschen Augenblick eine Straße in Ipswich entlanggegangen wäre. Wenn man die Zukunft vorhersehen könnte, würden keine Unfälle passieren. Wenn… — das war ein unglückliches Wort.
Am Ende erreichten wir aber doch noch die Straße vor Grevilles Haus und fanden auch zwei Parkplätze, wenn auch nicht direkt vor der Tür. Ich hatte Brad schon am Morgen gesagt, daß ich die Nacht in London bleiben wolle, um am nächsten Tag mit den Ostermeyers zusammen zum Rennen nach York zu fahren. Für den Fall, daß wir den Rover finden sollten, hatte mir ursprünglich vorgeschwebt, daß Brad ihn über die Ringstraße direkt nach Hungerford brächte, während ich nach London hineinfahren und dann nach der Rückkehr aus York von dort aus nach Hause zurückkehren würde. Da die Zündkerzen diesen Plan schon in der Nähe von Ipswich über den Haufen geworfen hatten, mußte nun Brad mit meinem Auto nach Hungerford fahren und ich, aus York zurück, mit der Bahn. Mochte Grevilles Auto, diese Ruine, derweil die Straße zieren.
Wir luden den gesamten Inhalt von Grevilles Kofferraum in den meines Wagens um — oder besser Brad tat dies, dieweil ich im wesentlichen nur zusah. Dann nahm Brad den großen braunen Umschlag aus dem Rover und meine eigene kleine Reisetasche aus meinem Auto, woraufhin wir auf das Haus zugingen und erwartungsgemäß Scheinwerfer und Hundegebell auslösten. Niemand in den umliegenden Häusern schenkte dem irgendeine Beachtung. Ich entriegelte die drei Schlösser und trat vorsichtig ein, aber auch diesmal war das Haus still und verlassen, nachdem ich erst einmal das Gekläffe abgeschaltet hatte. Brad lehnte Speis und Trank dankend ab und fuhr lieber weiter und nach Hause zu Mama, während ich, in Grevilles Stuhl sitzend, den großen braunen Umschlag öffnete und alles Wissenswerte über Vaccaro las, der in der Tat ein ganz böser Bube zu sein schien.