Im wesentlichen enthielt der Umschlag eine Kopie von Vaccaros sehr ausführlichem Antrag, aber auf einem angehefteten Blatt hatte Greville in handgeschriebener Kurzprosa vermerkt:
Ramön Vaccaro, gesucht wegen Drogenschmuggels, Florida, USA. Mehrfachen Mordes verdächtig, Opfer meistens Piloten, die aus Transport von Drogenpaketen aussteigen wollten. Vaccaro läßt niemanden am Leben, der plaudern könnte. Meine Infos von Pilotenwitwe, die sich zu Tode ängstigt. Will nicht vor dem Ausschuß erscheinen, hat aber so viele Insiderdetails preisgegeben, daß ich ihr glaube.
Vaccaro lockte Privatflieger mit beträchtlichen Anzahlungen, und wenn sie dann einen Flug nach Kolumbien gemacht und ihn heil überstanden hatten, hatte er sie an der Angel, und sie machten es wieder und wieder, bis sie schließlich reich genug waren, um kalte Füße zu bekommen. Dann starben die armen Schweine auf den Stufen ihrer Häuser durch Schüsse aus vorbeifahrenden Autos, keine Geräusche auf Grund von Schalldämpfern, keine Zeugen und keine Spuren. Aber alles Piloten, die eigene Flugzeuge hatten, zu viele, um Zufall zu sein. Witwe sagt, ihr Mann hatte Wahnsinnsangst, aber ließ es zu lange laufen. Sie hat wieder geheiratet, lebt in London, wollte immer Rache, konnte nicht glauben, daß es der gleiche Mann war, als sie in Lokalzeitung Bericht über Vaccaros Familienspielsalon und sein Foto sah. Familie! Sie wandte sich anonym an die Stadtverwaltung, die sie an mich verwies.
Wir brauchen Vaccaro nicht zu verurteilen. Geben ihm einfach keine Konzession. Witwe sagt, wir dürften ihn nie wissen lassen, wer seinen Antrag abgelehnt hat, weil er gefährlich und rachsüchtig ist, aber wie soll er einen ganzen Ausschuß zum Schweigen bringen? Die Polizei von Florida könnte Interesse haben, seinen Aufenthaltsort zu erfahren. Auslieferung?
Ich rief Elliot Trelawney in seinem Wochenendhaus an, berichtete ihm, daß ich die brandheißen Aufzeichnungen gefunden hätte und las sie ihm vor, was ihm einen Pfiff und ein Stöhnen entlockte.
«Aber Vaccaro hat Greville nicht umgebracht«, sagte ich.
«Nein. «Er seufzte.»Wie war die Bestattung?«
«Gut. Dank für Ihre Blumen.«
«Tut mir leid, daß ich nicht kommen konnte, aber an einem Arbeitstag und bei der Entfernung…«
«Es war alles recht so«, sagte ich noch einmal, und das war es ja tatsächlich auch gewesen. Ich war alles in allem sehr froh gewesen, daß ich allein geblieben war.
«Wären Sie einverstanden«, fragte er schüchtern,»wenn ich einen Gedenkgottesdienst für ihn abhalten ließe? Irgendwann in allernächster Zeit? Innerhalb eines Monats?«
«Aber ja doch«, sagte ich mit Wärme.»Ein wirklich großartiger Gedanke!«
Er bat mich, ihm die Unterlagen am Montag durch einen Boten ans Magistratsgericht zu schicken, und fragte, ob ich Golf spiele.
Nach einer Nacht in Grevilles schwarz-weißem Bett nahm ich am Morgen ein Taxi zum Hotel der Ostermeyers und traf sie — wie am Abend zuvor telefonisch vereinbart — in der Halle an.
Sie waren in ausgezeichneter Verfassung. Martha trug ein prachtvolles, maßgeschneidertes rotes Wollkleid und eine Nerzjacke, Harley einen neuen, englisch aussehenden Hut über seinem ungezwungenen Grinsen, Fernglas und Rennzeitung einsatzbereit in der Hand. Beide schienen entschlossen, sich dieses Tages zu freuen, was immer er bringen mochte. Von Harleys gelegentlicher Mißgestimmtheit war jedenfalls weit und breit nichts zu entdecken.
Der Chauffeur — ein anderer als am Mittwoch — fuhr auf die Minute pünktlich mit einem superkomfortablen Daimler vor. Alle Vorzeichen deuteten auf Glück hm, und so machten es sich die Ostermeyers auf dem Rücksitz bequem, während ich vorne neben dem Fahrer Platz nahm.
Der Chauffeur, der seinen Namen mit Simms angab, verstaute freundlicherweise meine Krücken im Kofferraum und sagte, daß das doch selbstverständlich sei, Sir, als ich ihm dankte. Die Krücken schienen im übrigen die einzige kleine Wolke an Marthas Himmel zu sein, rief dieser Vorgang doch ein kurzes Stirnrunzeln bei ihr hervor.
«Macht Ihnen dieser Fuß immer noch zu schaffen? Milo meinte doch, es sei nichts Ernsthaftes.«
«Nein, ist’s auch nicht, und er ist auch schon viel besser«, sagte ich wahrheitsgemäß.
«Oh, das ist gut. Hauptsache, es hindert Sie nicht daran, >Dattelpalme< zu reiten.«
«Natürlich nicht«, versicherte ich ihr.
«Wir sind so glücklich, ihn bekommen zu haben. Er ist einfach süß.«
Ich gab ein paar nette, >Dattelpalme< betreffende Laute von mir, was nicht so schwer war. Wir tasteten uns durch den Verkehr nach Norden, um auf die M1 zu gelangen.
Harley sagte:»Milo meint, >Dattelpalme< könnte am nächsten Samstag beim Charisma Chase in Kempton an den Start gehen. Was denken Sie?«
«Ein gutes Rennen für ihn«, sagte ich ruhig. Den Milo werde ich umbringen, dachte ich bei mir. Ein heikler Arbeitsgalopp war eine Sache, aber kein Arzt auf Erden würde in einer Woche meine Karte abzeichnen und damit bestätigen, daß ich fit sei. Und das wäre ich auch nicht, denn eine halbe Tonne Pferd, die mit dreißig Meilen und mehr über ein Hindernis gesaust kam, war schließlich kein Schaumstoff ball.
«Könnte aber auch sein, daß Milo es vorzieht, ihn für das Mackeson im kommenden Monat in Cheltenham zu schonen«, sagte ich nachdenklich, diesen Gedanken aussäend.»Oder natürlich für den Hennessy Cognac Gold Cup zwei Wochen später.«
Für das Hennessy in sechs Wochen würde ich ganz bestimmt wieder fit sein, das Mackeson in vier Wochen dagegen war eine unsichere Sache.
«Dann ist da ja auch noch dieses große Rennen am Tag nach Weihnachten«, sagte Martha glücklich.»Es ist alles so aufregend. Harley hat versprochen, daß wir wieder herkommen, um ihn laufen zu sehen.«
Sie sprachen noch eine halbe Stunde über Pferde und fragten dann, ob ich etwas über Dick Turpin wisse.
«Aber ja, natürlich.«
«Irgendein Mensch erzählte, der wäre nach York geritten. Ich hab nur Bahnhof verstanden.«
Ich lachte.»Das war vor ein paar Jahrhunderten. Dick Turpin war ein Straßenräuber, ein echter Schurke, der mit seiner Stute >Black Bess< nach Norden ritt, um sich dem Zugriff des Gesetzes zu entziehen. In York schnappten sie ihn und warfen ihn ins Gefängnis, und zwei Wochen lang hielt er in seiner Zelle in aufrührerischer Weise Hof, scherzte und trank mit den Honoratioren der Stadt, die kamen, um den berühmten Dieb in Ketten zu bestaunen. Dann holten sie ihn raus und hängten ihn auf einem Stück Land, das >Knavesmire< hieß. Da ist heute die Rennbahn.«
«O je«, sagte Martha, auf makabre Weise amüsiert.»Wie ungeheuer gruselig.«
Zu gegebener Zeit verließen wir die in 1, fuhren in nordöstlicher Richtung zur alten A 1, und ich dachte bei mir, daß kein Mensch, der seine Sinne einigermaßen beisammen hatte, mit dem Auto von London nach York fahren würde, wenn er auch den Zug nehmen könnte. Die Ostermeyers mußten natürlich nicht selbst fahren.
Als wir uns der Stadt näherten, sagte Harley:»Sie werden mit uns zusammen zum Lunch erwartet, Derek.«
«Erwartet werden «hieß bei den Ostermeyers so viel wie» eingeladen sein«. Ich warf milde ein, daß dies nicht der Fall sei.
«Aber klar doch. Ich sprach gestern abend mit Lord Knightwood, erzählte ihm dabei, daß wir Sie mitbringen würden. Er sagte sofort, wir sollten sehen, daß Sie mit uns zum Lunch kämen. Sie geben einem der Rennen ihren Namen, es wird eine große Party werden.«