Ich hatte nicht das Gefühl, daß mir die Sinne schwanden oder daß Zeit verging. In einem Augenblick war ich wach, und im nächsten war ich es auch, oder es schien mir doch wenigstens so, wobei ich aber auf ganz unbestimmte Art wußte, daß zwischen beiden ein Intervall lag.
Was ich nicht zu sagen vermochte, war, wo ich mich befand — nur, daß ich mit dem Gesicht nach unten im Gras lag. Ich war schon mehrfach in meinem Leben mit einer Gehirnerschütterung auf Gras erwacht, aber dies noch nie im Dunkeln. Sie konnten das Rennen doch nicht alle verlassen haben und nach Hause gegangen sein, mich da einfach die ganze Nacht auf der Bahn liegenlassend, dachte ich.
Ganz allmählich aber kehrte die Erinnerung daran, wo ich mich befand, wieder zurück. In Grevilles Vorgarten. Am Leben. Ein Hoch auf die kleinen Wohltaten!
Ich wußte aus Erfahrung, daß die beste Art und Weise, mit einem solchen k.o.-Schlag fertig zu werden, die war, nichts zu überstürzen. Andererseits war ich diesmal nicht
von einem Pferd geflogen, nicht auf Grevilles taschentuchgroßem Turf. Es mochte sehr wohl auch dringende Gründe geben, ganz schnell aufzustehen — wenn sie mir bloß einfallen würden!
Ich entsann mich plötzlich ganz vieler Dinge und stöhnte leise, zog dann die Knie unter mir an, zuckte zusammen und tastete nach meinen Krücken. Ich fühlte mich dumm und fuhr fort, dumm zu handeln, agierte schließlich nur mit fünfzigprozentiger Hirnleistung. Später auf die Ereignisse zurückblickend, wußte ich, was ich hätte tun sollen
— nämlich mich still aus der Pforte und zu einem Nachbarhaus stehlen, um von dort aus die Polizei anzurufen. Statt dessen schleppte ich mich zu Grevilles Haustür, und natürlich ging das Flutlicht wieder an, begann der Hund wieder zu kläffen — und ich stand wie angenagelt in Erwartung einer erneuten Attacke, schwankte unsicher an meinen Krücken, vollkommen kraftlos und elend.
Die Tür stand offen, wie ich nun sah, und im Hausflur brannte Licht. Und wie ich noch so unentschlossen dort stand, wurde die Tür von innen noch weiter aufgerissen, und der Rugbyspieler kam herausgeschossen, wieder wie eine Kanonenkugel.
Die Kanonenkugel war ein Motorradhelm, glänzend und schwarz, das durchsichtige Visier vor dem Gesicht heruntergeklappt. Das Gesicht hinter dem Visier schien ebenfalls schwarz zu sein, aber das war ein schwarzer, wollener Kopfschützer, dachte ich, und nicht schwarze Haut. Undeutlich nahm ich so etwas wie Jeans, Jeansjacke, Handschuhe, schwarze Turnschuhe wahr, alles in schneller Bewegung. Er wandte den Kopf ein ganz klein wenig zur Seite und mußte gesehen haben, wie unsicher ich dort herumstand, aber er hielt sich nicht damit auf, mich mit einem weiteren Stoß aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er hechtete über das Gartentor und lief dann die Straße hinunter, und ich blieb einfach da im Garten stehen, wo ich stand, und wartete darauf, daß mein Kopf noch ein wenig klarer werden und wieder zu arbeiten anfangen würde.
Als das in gewissem Maße geschah, ging ich die paar Treppenstufen hinauf und durch die Tür ins Haus. Die Schlüssel steckten, wie ich feststellte, noch im untersten Schloß — es war der kleine, nur aus drei Schlüsseln bestehende Bund, den Clarissa gehabt und den ich an Stelle von Grevilles größerem benutzt hatte, weil er viel weniger wog. Ich hatte es, ging mir durch den Kopf, dem Eindringling dadurch leicht gemacht, daß ich die Schlüssel bereits in der Hand gehalten hatte.
In panischem Schrecken faßte ich in meine Hosentasche, um festzustellen, ob mir Grevilles Schlüsselbund gestohlen worden war, aber zu meiner großen Erleichterung war er noch da, und die Schlüssel klirrten leise.
Ich schaltete die Scheinwerfer und den Hund ab und schloß in der plötzlich herrschenden Stille die Haustür. Dann ging ich in Grevilles kleines Wohnzimmer, das aussah, als sei ein Hurrikan hindurchgezogen. Ich besah mir das Chaos eher mit Zorn als mit Schrecken und hob dann das Telefon vom Boden auf, um die Polizei anzurufen. Ein Einbruch, sagte ich. Der Einbrecher sei fort.
Danach saß ich mit dem Kopf in den Händen in Grevilles Stuhl, sagte laut und mit tief empfundener Wut» Scheiße!«und befühlte vorsichtig die Beule, die auf meinem Schädel zu wachsen begann. Ein saublöder Punktelieferant, das war ich mal wieder gewesen, dachte ich. Wie schon am vergangenen Sonntag. Viel zu sehr wie am vergangenen Sonntag, um Zufall zu sein. Der Kanonenkugelstürmer hatte beide Male gewußt, daß ich nicht in der Lage sein würde, einen plötzlichen Ansturm in aufrechter Haltung zu überstehen. Ich nahm an, daß ich noch dankbar dafür sein mußte, daß er mir den Schädel nicht vollends eingeschlagen hatte, wo doch die Gelegenheit dazu durchaus gegeben gewesen war. Und auch diesmal kein Messer.
Nach einer Weile sah ich mich müde im Zimmer um. Die Bilder hingen nicht mehr an der Wand, die meisten ihrer Gläser waren kaputt. Die Schubladen waren aus den Tischen herausgerissen und die Tische umgekippt worden. Die kleinen rosa und braunen Steinbären lagen am Fußboden verstreut, die Chrysanthemen und ihre Blumenerde waren in den Teppich gestampft, der dazugehörige Topf in den zersplitterten Bildschirm des Fernsehers eingebettet worden. Ich fand den Videorecorder aus seiner Halterung gerissen — er war einfach fallengelassen worden, und die Bänder mit den Aufzeichnungen der Rennen lagen, meterweise aus den Kassetten gezerrt, ruiniert herum. Die Gewalt, mit der das alles angerichtet worden war, erbitterte mich ebenso sehr wie das Gefühl, versagt und diesen Überfall nicht verhindert zu haben.
Viele Bücher waren aus dem Regal gerissen worden, aber ich bemerkte mit grimmiger Befriedigung, daß keines davon geöffnet am Boden lag. Auch wenn die hohlen Bände keine Diamanten enthielten, so hatte der Einbrecher doch wenigstens nicht entdeckt, daß solche ausgehöhlten Bücher überhaupt dabei waren. Ein schwacher Trost, dachte ich.
Schließlich und endlich traf auch die Polizei ein — einer der Beamten war in Uniform, der andere nicht. Ich ging durch den Flur, als sie an der Haustür läuteten, blickte prüfend durch den Spion, ließ sie herein und erklärte ihnen, wer ich sei und aus welchem Grunde hier. Sie hatten beide ungefähr mein Alter und schon eine ganze Menge Einbrüche gesehen.
Sich Grevilles Zimmer emotionslos betrachtend, zogen sie Notizbücher hervor und hielten meine Schilderung des Überfalls im Garten fest. (Ob ich wegen der Beule lieber einen Arzt aufsuchen wolle? Nein, das wollte ich nicht.) Dieses Haus sei ihnen schon bekannt, sagten sie. Der neue Besitzer, mein Bruder, habe all diese Gitter an den Fenstern anbringen und die Alarmanlage direkt mit dem Polizeirevier verbinden lassen, so daß jeder, der versucht hätte, das Gebäude auf diesem Weg zu betreten, sofort von ihnen geschnappt worden wäre. Polizeiexperten hätten bei der Installation beratend zur Seite gestanden und das Haus danach als so gut gesichert wie nur irgend möglich bezeichnet, was es ja auch gewesen sei — bis jetzt. Aber sollten da nicht auch noch Scheinwerfer an und Hundegebell zu hören sein? Das hätte alles ausgezeichnet funktioniert, bestätigte ich, aber ich hätte beides vor ihrem Eintreffen wieder abgestellt.
«Also gut, Sir«, sagten sie ziemlich uninteressiert,»und was ist nun entwendet worden?«
Das wisse ich nicht. Nichts Großes wohl, sagte ich, denn der Einbrecher habe beide Hände frei gehabt, als er über die Gartenpforte gesprungen sei.
So klein, daß es in die Tasche gepaßt habe, notierten sie.
Und das übrige Haus? Sei das in gleichem Zustand?
Ich sagte, daß ich das noch nicht habe feststellen können. Krücken. Schlag auf den Kopf und so. Sie erkundigten sich nach dem Grund für die Krücken. Gebrochenes Fußgelenk, sagte ich. Ob es mir vielleicht Schmerzen verursache? Nur ein bißchen.
Ich begleitete sie auf ihrem Rundgang durch das Haus und entdeckte, daß der Tornado überall durchgezogen war. Im großen Wohnzimmer im Erdgeschoß waren alle Bilder von den Wänden und alle Schubfächer aus den Kommoden und Tischen gezerrt worden.