Erstaunt und plötzlich unerträglich hoffnungsvoll kniete ich nieder, klappte den Ring hoch und zog daran — da kam das flache Metallstück frei, ging ab wie der Deckel einer Keksdose und ließ darunter eine weitere Metallschicht sichtbar werden, eine äußerst solide aussehende Stahlplatte von der Größe eines flachen Tellers, die ein Schlüsselloch und ebenfalls einen versenkbaren Griff zum Anheben aufwies.
Ich zog an diesem zweiten Griff. Ebensogut hätte ich versuchen können, das Haus mitsamt seinen Wurzeln aus dem Boden zu reißen. Ich probierte alle Schlüssel an Grevilles Bund durch, aber keiner paßte auch nur annähernd.
Selbst Greville, dachte ich, mußte diesen Schlüssel einigermaßen erreichbar verwahrt haben, aber die Aussicht, schon wieder nach irgend etwas suchen zu sollen, erfüllte mich mit Mattigkeit. Grevilles Angelegenheiten bildeten einen Irrgarten, in dem es mehr Sackgassen gab als in Hampton Court.
Dann erinnerte ich mich daran, daß ja auch in den hohlen Büchern Schlüssel verborgen lagen. Ich konnte also ebensogut auch bei denen anfangen. Ich zog nach oben und grub Mit dem Maultier durch Patagonien und die anderen aus und fand die beiden geschäftsmäßig aussehenden Schlüssel wieder, ferner den verzierten, der für einen vernünftigen Gebrauch viel zu extravagant aussah. Grevilles Gedankengängen entsprechend, war es dann genau dieser, dessen Bart leicht in das Schloß des Safes hineinglitt und auf leichten Druck hin dessen Mechanismus bewegte.
Auch dann wollte sich der runde Deckel jedoch nicht öffnen lassen. Zwischen Hoffnung und Frust schwankend, fand ich schließlich heraus, daß der ganze obere Teil des Safes, wenn man nicht an ihm zog, sondern ihn drehte, dieser Bewegung nachgab, bis er gegen eine Sperre stieß. Und das war der Punkt, an dem er endlich sein Widerstreben aufgab und sich von mir mühelos hochheben ließ.
Der Raum darunter war groß genug, um darin eine Kiste Champagner aufzubewahren, aber zu meiner großen Enttäuschung enthielt er keinen Notgroschen, sondern nur einen Stapel geschäftlich aussehender brauner Umschläge. Mit einem schweren Seufzer nahm ich die beiden zuoberst liegenden heraus und entdeckte, daß der erste die Besitzurkunde für das Haus und der zweite die Unterlagen enthielt, die zur Beantragung eines für seinen Kauf bestimmten Darlehens erforderlich gewesen waren. Ich las den entsprechenden Brief mit wachsender Resignation durch — Grevilles Haus gehörte im wesentlichen nicht mir, sondern einer Finanzierungsgesellschaft.
Ein weiterer Umschlag enthielt eine Kopie seines Testamentes, das genauso einfach war, wie seine Anwälte gesagt hatten, und in noch einem anderen steckten seine Geburtsurkunde sowie die Geburts- und Heiratsurkunden unserer Eltern. Ein Umschlag enthielt die Police einer Lebensversicherung, die er schon vor sehr langer Zeit abgeschlossen hatte, um sich im Rentenalter ein Einkommen zu sichern — leider hatte die Inflation ihren Wert ziemlich aufgezehrt, und er hatte ganz offensichtlich nie für eine Aufstockung gesorgt. Statt dessen hatte er, wie mir klar wurde, als ich mich dessen erinnerte, was ich über die Finanzen seines Unternehmens in Erfahrung gebracht hatte, seine Gewinne in die Firma investiert, um zu expandieren, und war so auf den Wogen der Inflation mitgeschwommen, so daß ihm ein stattliches Einkommen sicher gewesen wäre, wenn er die Firma bei seinem Rückzug in den Ruhestand verkauft hätte.
Ein guter Plan, dachte ich — bis er ihn durch die Aufnahme von 1,5 Millionen Dollar zunichte gemacht hatte, die zum Fenster hinausgeflogen waren. Aber das hatte er natürlich nicht absichtlich getan, sondern einen vernünftigen Plan gehabt, wie ein solider Gewinn zu erzielen war.
Ehrenhaft Handel treiben… Er hatte ein gutes Einkommen gehabt, ein sorgloses Leben geführt und seine Rennpferde laufen lassen — aber er hatte kein großes Privatvermögen angehäuft. Sein Wohlstand lag, wie immer man es auch betrachten wollte, in seinen Steinen.
Tod und Teufel, dachte ich. Wenn ich diese verdammten Diamanten nicht finden konnte, dann würde ich ihn damit ebenso enttäuschen wie mich selbst. Er würde sich nichts sehnlicher wünschen, als daß ich sie fände — aber wo, hol’s der Geier, hatte er sie hingetan?
Ich steckte die Umschläge in ihren Privatkeller zurück, behielt nur die Versicherungspolice draußen und legte den schweren, runden Deckel zurück auf die Öffnung. Drehte ihn, drehte den Schlüssel herum, legte das obere Metallstück an seinen Platz zurück und die Teppichfliesen obenauf. Das Versteck war ohne Zweifel feuersicher, hatte sich auch als einbruchsicher erwiesen, und ich hatte keine Ahnung, warum Greville es nicht zur Aufbewahrung von Edelsteinen benutzt hatte.
Mich geschlagen gebend, kletterte ich schließlich ins Schlafzimmer hinauf, wo ich meine Reisetasche — wie alles andere auch — umgedreht und ausgeleert fand. Das machte kaum noch etwas aus. Ich hob meinen Schlafanzug auf, zog meine Sachen aus und ihn an und ging ins Bad. Der Spiegel war noch halb mit Rasierschaum zugesprüht, und als ich den mit einem Waschlappen weggewischt und ein Distalgesic geschluckt und mir die Zähne geputzt und eine ganze Menge von den unter meinen Füßen knirschenden Trümmerstücken mit einem Handtuch zur Seite gekehrt hatte, war meine Tagesration an Energie mehr als verbraucht.
Obwohl Mitternacht schon längst vorbei war, konnte ich zunächst nicht einschlafen. Schläge auf den Kopf waren doch etwas sehr Seltsames, dachte ich. Es war schon vor-gekommen, daß ich noch eine ganze Woche dösig gewesen und oft mitten im Satz eingeschlafen war. Ein andermal war ich herumgelaufen und hatte mich offensichtlich meinem Arzt gegenüber sehr vernünftig geäußert, hatte mich aber schon eine halbe Stunde später an nichts mehr erinnern können. Diesmal, dort in Grevilles Bett, fühlte ich mich zittrig und aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich dachte mir, daß dies wahrscheinlich ebensoviel mit dem Angriff auf mich zu tun hatte wie mit der dabei erlittenen Gehirnerschütterung.
Ich lag ganz still da und ließ die Stunden vergehen, dachte an Gut und Böse und darüber nach, warum Dinge geschahen — und fühlte mich am Morgen ruhig und schon wieder viel besser. Auf dem Klodeckel im Badezimmer sitzend, nahm ich mir den elastischen Verband ab und begab mich hüpfend und mich an Gegenständen festhaltend unter die dringend benötigte Dusche, duschte luxuriös lange, wusch mir die Haare und ließ den Staub und die Trümmer und die geistigen Anspannungen der Woche unter dem sanften Bombardement der Wassertropfen davonschwimmen. Danach saß ich, ein Handtuch um die Lenden geschlungen, auf dem schwarz-weißen Bett und unterzog die Knöchelszenerie einer eingehenderen Untersuchung.
Sie sah weit besser aus als noch vor sechs Tagen — das ließ sich mit Bestimmtheit sagen. Andererseits war das Gelenk noch immer schwarz, noch immer ziemlich geschwollen und noch immer sehr schmerzempfindlich. Immer noch durch Stöße verwundbar. Ich spannte meine Waden- und Fußmuskeln mehrfach an, und die Knochen und Bänder protestierten nach wie vor heftig, was aber nicht zu ändern war. Um stark zu bleiben, mußten sich Muskeln bewegen — dies und nichts anderes war entscheidend. Ich knetete die Wadenmuskeln ein wenig, um sie zu ermutigen, und überlegte, ob ich mir nicht von Milo ein
Gerät namens» Electrovet «ausleihen sollte, das irgendwo bei ihm herumstand und das er bei seinen Pferden einsetzte, wenn es galt, Schwellungen der Beinmuskulatur durch elektrische Impulse zum Abklingen zu bringen und die Tiere wieder fit zu machen. Was bei Pferden funktionierte, meinte ich, sollte doch wohl bei mir auch erfolgreich sein.