Schließlich legte ich den Verband wieder an, nicht ganz so ordentlich wie der Orthopäde, aber, so hoffte ich, doch wenigstens so wirkungsvoll. Dann zog ich mich an, wobei ich mir von Greville ein sauberes weißes Hemd borgte, ging hinunter ins kleine Wohnzimmer und rief Nicholas Loder an.
Er schien nicht erfreut, meine Stimme zu hören.
«Gratuliere zum Erfolg von >Dozen Rosesc.«
Er knurrte.
«Um die Besitzfrage endgültig zu klären«, fuhr ich fort,»habe ich mich um einen Käufer bemüht.«
«Jetzt hören Sie mal!«fing er wütend an.»Ich…«
«Ja, ich weiß«, unterbrach ich ihn,»Sie würden ihn am liebsten einem Ihrer Besitzer verkaufen und in Ihrem Stall behalten, wofür ich durchaus Verständnis habe. Aber Mr. und Mrs. Ostermeyer, die Herrschaften, mit denen ich gestern in York war, haben mir zu verstehen gegeben, daß sie das Pferd gern kaufen würden.«
«Ich protestiere ganz entschieden«, sagte er.
«Die Ostermeyers wollen ihn zu Milo Shandy geben, damit er ihn für Hindernisrennen trainiert.«
«Sie sind es mir schuldig, das Pferd bei mir zu lassen«, sagte er störrisch.»Vier Siege hintereinander… es wäre schlicht und einfach unehrenhaft, es wegzuholen.«
«>Dozen Roses< eignet sich zum Springpferd, jetzt, wo er doch kastriert ist. «Ich sagte das ganz ohne jeden drohenden Unterton, aber er wußte auch so, daß er sich in einer unangenehmen Situation befand. Er hatte nicht das Recht gehabt, das Pferd kastrieren zu lassen. Zudem gab es nichts, was Grevilles Testamentsvollstrecker daran hätte hindern können, das Pferd an jeden zu verkaufen, der ihm genehm war — wie Milo ja für mich herausgefunden und was Nicholas Loder selbst zweifellos auch schon eruiert hatte. Und was die rennsportliche Welt im allgemeinen anbetraf, so dürfte ihr wohl ein Verkauf an die Ostermeyers als sehr sinnvoll erscheinen, würde ich das Pferd auf diese Weise, wenn schon nicht besitzen, so doch wenigstens reiten können.
Ich sagte in Loders anhaltendes Schweigen hinein:»Wenn Sie jedoch einen Käufer für >Edelstein< finden, dann werde ich einem Verkauf zustimmen.«
«Er ist nicht so gut.«
«Nein, aber auch nicht ganz nutzlos. Sie werden zweifelsohne eine Provision verlangen, wogegen ich keine Einwände erheben würde.«
Er knurrte wieder, was ich als Zustimmung deutete, aber er fügte dann auch noch mit Entschiedenheit hinzu:»Erwarten Sie bloß nicht, daß ich Ihnen je wieder einen Gefallen tue.«
«Immerhin habe ich Ihnen einen getan«, betonte ich,»indem ich nämlich keine Beschwerde eingereicht habe. Wie dem auch sei, ich bin mit Milo und den Ostermeyers zum Mittagessen verabredet, und bei der Gelegenheit werden wir den Verkauf besiegeln und den Papierkram erledigen. Milo dürfte also wohl irgendwann in dieser Woche einen Wagen schicken, um >Dozen Roses< abzuholen. Er wird sich bestimmt noch bei Ihnen melden, um den genauen Termin mit Ihnen abzusprechen.«
«Gehn Sie doch zum Teufel«, sagte er.
«Ich wünsche keinen Streit.«
«Sie lassen’s aber verdammt darauf ankommen. «Er warf seinen Hörer auf die Gabel, und mich verblüffte einmal mehr seine anhaltende Ungehobeltheit. Alle Trainer verloren dauernd Pferde, wenn nämlich ihre Besitzer sie verkauften — und wie er ja selbst gesagt hatte, war es doch nicht so, daß >Dozen Roses< etwa eine der ganz großen Hoffnungen des Turfs gewesen wäre. Der Stall von Nicholas Loder beherbergte weit aussichtsreichere Pferde als diesen fünfjährigen Wallach, mochte er auch noch so oft gesiegt haben.
Achselzuckend hob ich meine Reisetasche vom Boden auf und fühlte mich vage schuldig, weil ich ein solches Chaos im Haus zurückließ. Ich hatte im Obergeschoß ein Minimum an Aufräumungsarbeiten geleistet, hatte Grevil-les Anzüge und Hemden und so weiter wieder aufgehängt und weggelegt und ein paar andere Dinge mehr getan, weil es ganz den Anschein hatte, als würde ich noch ein paar weitere Nächte dort zubringen, aber alles übrige war für mich physisch kaum zu bewältigen und mußte auf die anonyme Mrs. P. warten, auf diese arme Frau, die ein übler Schock treffen würde.
Ich fuhr mit dem Taxi zum Hotel der Ostermeyers und traf sie wieder in Sektlaune an — und es war auch wieder Simms, irgendwo um die vierzig und mit Schnurrbart, der als Chauffeur erschien. Als ich anmerkte, daß er ja auch samstags und sonntags arbeite, lächelte er matt und sagte, er sei über die Möglichkeit froh, sich etwas dazuverdienen zu können, montags bis freitags entwickle er Filme im Du-stern.
«Filme?«fragte Martha.»Meinen Sie Kinofilme?«
«Familienfotos, Madam, in einem Fotoladen mit Ein-stunden-Service.«»Oh. «Martha klang, als könne sie sich ein solches Leben überhaupt nicht vorstellen.»Wie interessant.«
«Nicht sonderlich«, sagte Simms resigniert und fädelte sich in den dünnen Sonntagsverkehr ein. Er fragte mich, als wir uns Lambourn näherten, wie er fahren müsse, und wir gelangten ohne Verzögerung vor Milos Tür, wo dieser mich mit der Nachricht begrüßte, daß Nicholas Loder mich bitte, ihn sofort anzurufen.
«Hören Sie«, sagte dieser mit Überzeugungskraft,»ich habe da einen Besitzer, der sehr an >Dozen Roses< interessiert ist. Er sagt, daß er jedes Angebot der Ostermeyers zu überbieten bereit sei. Was sagen Sie dazu?«
Ich antwortete nicht sogleich, und er sagte mit Nachdruck:»Sie erzielen auf diese Weise einen hübschen Gewinn. Es gibt doch keine Garantie dafür, daß das Pferd mal gut springen wird. Und deshalb können Sie keinen zu hohen Preis dafür fordern. Mein Besitzer wird über das Angebot der Ostermeyers hinausgehen und noch einen Bonus für Sie persönlich drauflegen, in bar. Nennen Sie Ihren Preis.«
«Hm«, sagte ich langsam,»dieser Besitzer sind nicht zufällig Sie selbst, wie?«
Er sagte scharf:»Nein, bestimmt nicht.«
«Das Pferd, das da gestern in York gelaufen ist«, sagte ich noch langsamer,»gehörten das und der Paß von >Do-zen Roses< eigentlich zusammen?«
«Das ist Verleumdung!«
«Nein, eine Frage.«
«Die Antwort lautet ja. Das Pferd ist >Dozen Roses<. Reicht Ihnen das?«
«Ja.«
«Also gut«, sagte er und klang erleichtert,»dann nennen Sie Ihren Preis.«
Ich hatte mit Martha und Harley noch gar nicht über Zahlen gesprochen und erst einen mit Vollblütern handelnden Freund um eine grobe Schätzung bitten wollen. Das sagte ich Nicholas Loder, der sich aufgebracht anhörte, als er wiederholte, daß sein Besitzer mehr bieten würde — und dazu noch ein steuerfreies Bestechungssümmchen für mich.
Ich war fest entschlossen, >Dozen Roses< an die Ostermeyers zu verkaufen, und kein Bonbon, wie immer das aussehen sollte, würde mich davon abbringen können.
«Bitte sagen Sie Ihrem Besitzer, daß ich bedaure«, sagte ich,»aber die Ostermeyers haben >Dattelpalme< gekauft, wie ich Ihnen ja bereits sagte, und ich fühle mich ihnen verpflichtet. Die Loyalität ihnen gegenüber hat Vorrang. Ich bin ganz sicher, Sie werden für Ihren Besitzer ein Pferd finden, das genauso gut wie >Dozen Roses< ist.«
«Was, wenn er doppelt soviel zahlen würde wie das, was Sie von Ostermeyers kriegen?«
«Es geht hier nicht ums Geld.«
«Jeder ist zu kaufen«, sagte er.
«Nein. Bedaure, es bleibt beim Nein.«
«Überlegen Sie sich’s nochmal«, sagte er und schleuderte wieder den Hörer auf die Gabel. Ich fragte mich amüsiert, wie oft er die wohl kaputt machte. Sonst hatte er mich natürlich kein bißchen amüsiert, und die Situation insgesamt gab nicht den geringsten Anlaß zur Freude. Ich würde immer und immer wieder auf den Rennplätzen mit ihm zusammentreffen, wenn ich selbst erst einmal als Trainer tätig war, und mir war durchaus nicht an chronischen Fehden gelegen.
Ich ging auf den Hof hinaus, wo sich Milo, als er mich erblickte, bei den Ostermeyers entschuldigte, die sich an >Dattelpalme< weideten, der zu ihrer Erbauung auf dem Kies herumgeführt wurde.