ein anderes Auto in die Rückseite des Busses hineinknallte.
Ungefähr zu diesem Zeitpunkt hörte ich auf, die Abfolge der Ereignisse klar wahrzunehmen. Entgegen aller Katastrophenwahrscheinlichkeit war ich noch am Leben, und das erschien genug. Nach den ersten gelähmten Augenblicken der Stille, die dem Krachen des Metalls folgten, waren plötzlich überall rufende Stimmen und die Schreie von Menschen und der durchdringende Geruch von Benzin.
Der ganze Schrott würde zu brennen anfangen, schoß es mir durch den Kopf. Explosionen, Feuerbälle. Greville hatte vor zwei Tagen auch gebrannt — aber er war da wenigstens schon tot gewesen. Red mir noch einer von Fieberphantasien! Ich hatte auf dem Schoß ein halbes Auto liegen und im Kopf die aufgewärmten Reste der am Vortag erlittenen Gehirnerschütterung.
Die Wärme des abgestorbenen Motors füllte den aufgeplatzten Innenraum unseres Wagens und verhieß nichts Gutes. Öl würde da heraustropfen. Es gab Stromkreise… Zündkerzen… und Furcht und Verzweiflung und eine Vision der Hölle.
Ich konnte nicht entkommen. Die Türscheibe neben mir und die Windschutzscheibe waren herausgeflogen, und was ein Teil des Türrahmens gewesen sein mochte, war irgendwie quer vor meine Brust gebogen und hielt mich tief in meinen Sitz gedrückt fest. Was Armaturenbrett und Handschuhfach gewesen war, bohrte sich in meine Hüfte, und dort, wo ein geschwollenes Fußgelenk mal ausreichend Platz gehabt hatte, war es jetzt so eng wie in einem Gipsverband. Das Auto schien sich um mich gelegt zu haben, schien mich fest zu umarmen wie eine eiserne Jungfrau, und die einzigen Körperteile, die ich noch bewegen konnte, waren mein Kopf und der Arm auf der Seite von
Simms. Ich verspürte gar nicht so sehr Schmerzen, sondern einen starken Druck, vor allem aber eine Wahnsinnsangst.
Fast automatisch, so, als ob der Verstand einfach selbständig weiterarbeitete, reckte ich mich so weit hinüber, wie es mir möglich war, bekam den Zündschlüssel zu fassen, drehte ihn herum und zog ihn aus dem Zündschloß. Wenigstens keine Funken mehr. Ich atmete auf.
Auch Martha lebte, und ihre Gedanken waren wahrscheinlich so bodenlos wie die meinen. Ich konnte ihr Wimmern hinter mir hören, ein leises Klagen ohne Worte. Simms und Harley waren still. Und es war das Blut von Simms, mit dem alles vollgespritzt war, scharlachrot und klebrig. Ich konnte es durch den Geruch des Benzins hindurch riechen — es war überall, auf meinem Arm, meinem Gesicht, meinen Kleidern, in meinem Haar.
Die Seite unseres Daimlers, auf der ich saß, war dicht gegen den Bus gedrückt worden. Nach einiger Zeit kamen Leute zur anderen Seite gerannt und versuchten dort, die Türen zu öffnen, aber die gaben keinen Zentimeter nach. Benommene Menschen entstiegen dem Kombi vor uns, Kinder weinten. Fahrgäste aus dem Bus versammelten sich am Straßenrand, alles ältere Leute, die meisten, wie mir schien, mit offenem Mund. Ich wollte ihnen allen sagen, daß sie sich fernhalten sollten, daß sie sicherer wären, wenn sie noch weiter zurückträten, weg von dem, was sich in wenigen Sekunden in ein Flammenmeer verwandeln konnte, aber irgendwie war ich nicht in der Lage, ihnen dies zuzurufen, und das Gekrächze, das ich herausbekam, drang nicht weiter als ein paar Zentimeter.
Hinter mir hörte Martha zu stöhnen auf. Ich dachte in meinem Elend, daß sie wohl im Sterben liege, aber das erwies sich als Irrtum, denn sie sagte mit zitternder, leiser Stimme:»Derek?«
«Ja. «Wieder ein Krächzen.
«Ich fürchte mich so.«
Das tat ich auch, bei Gott. Ich sagte sinnlos und heiser:»Machen Sie sich keine Sorgen.«
Sie hörte kaum zu. Sie sagte:»Harley? Harley, Liebling?«, voller Unruhe und aufkeimender Angst.»Oh, holt uns raus hier, bitte, hol uns doch einer raus.«
Ich drehte meinen Kopf so weit es ging und sah seitwärts zu Harley hinüber. Die Welt ließ ihn kalt, aber er hatte die Augen geschlossen, was alles in allem ein hoffnungsvolles Zeichen war.
Die Augen von Simms waren halb offen und würden nie wieder blinzeln. Simms, der arme Kerl, hatte sein letztes Einstunden-Foto entwickelt. Simms würde die Flammen nicht spüren.
«O Gott, Liebling, Liebling, wach auf. «Ihre Stimme, schrill vor zunehmender Panik, überschlug sich.»Derek, holen Sie uns raus hier, riechen Sie das Benzin denn nicht?«
«Es werden Leute kommen«, sagte ich, wohl wissend, daß es nur wenig tröstlich war. Trost schien etwas Unmögliches, schien unerreichbar zu sein.
Am Ende aber kamen Leute und Trost doch noch, und dies vor allem in Gestalt eines Mannes vom Typ Vorarbeiter, der daran gewöhnt ist, daß Dinge erledigt werden. Er spähte durch das Fenster neben Harley herein und rief gleich darauf Martha zu, daß er das Rückfenster einschlagen werde, um sie da herauszuziehen, und sie solle ihr Gesicht bedecken, falls Glassplitter herumflögen.
Martha barg ihr Gesicht an Harleys Brust, rief ihn wieder an und weinte, und das Rückfenster gab der Entschlossenheit und einer Brechstange nach.
«Also voran denn«, sagte der beste aller britischen Arbeiter.
«Klettern Sie auf den Sitz, und wir holen Sie in Null Komma nichts daraus.«
«Mein Mann…«:, jammerte sie.
«Ihn auch. Kein Problem. Nur los.«
Es schien, daß starke Arme nach Martha griffen und sie herauszogen. Fast im gleichen Augenblick war ihr Retter im Auto drin und schob den bewußtlosen Harley so weit hoch, daß andere Hände ihn fassen und herausheben konnten. Dann zwängte der beherzte Arbeiter seinen Kopf nach vorn neben meinen und warf einen Blick auf mich und Simms.
«O Gott«, sagte er.
Er war eher klein, hatte einen Schnurrbart und wache braune Augen.
«Können Sie sich da rausschieben?«fragte er.
«Nein.«
Er versuchte, mich zu ziehen, aber wir konnten beide sehen, daß es hoffnungslos war.
«Man muß Sie rausschneiden«, sagte er und nickte. Dann schnupperte er.»Der Benzingeruch ist hier drin viel stärker. Viel schlimmer als draußen.«
«Es sind Dämpfe«, sagte ich.»Die entzünden sich.«
Das war ihm bekannt, aber es schien ihn bis zu diesem Augenblick nicht beunruhigt zu haben.
«Sorgen Sie doch dafür, daß die Leute da noch weiter zurücktreten«, sagte ich. Mir gelang die Andeutung eines Lächelns.
«Sagen Sie auch, daß sie nicht rauchen sollen.«
Er warf mir einen ängstlichen Blick zu, trat den Rückzug durchs hintere Fenster an, und bald darauf sah ich, wie er
draußen die Herumstehenden warnte — so schnell hatte wahrscheinlich eine größere Menschenmenge noch nie Anweisungen Folge geleistet.
Vielleicht wurde dank der Tatsache, daß das Fehlen von noch mehr Glas für Durchzug sorgte, der Benzingeruch schwächer, aber irgendwo unter mir, so vermutete ich, war noch immer eine defekte Benzinleitung, strömten ständig weiter Dämpfe durch die Risse heraus. Ich fragte mich, wieviel an flüssigem Freudenfeuer der Tank so eines Daimlers wohl enthalten mochte.
Jetzt waren sehr viel mehr Autos vor uns auf der Straße; sie alle standen, und die Passagiere waren ausgestiegen und mit Unfallgucken beschäftigt. Wahrscheinlich sah es hinter uns nicht anders aus. Sonntagsnachmittagsunterhaltung der allerschlimmsten Form.
Simms und ich saßen weiter in schweigender Unbeweglichkeit da, und mir fiel der Scherz über die Nutzlosigkeit des Sichsorgens ein. Wenn man befürchtet, daß sich die Dinge verschlechtern, und sie tun’s nicht, dann hat man sich ganz umsonst Sorgen gemacht. Wenn sich die Dinge verschlechtern, und man befürchtet, daß sie noch schlechter werden, und sie werden es nicht, dann hat man sich auch umsonst gesorgt. Wenn sie noch viel schlimmer werden, und man befürchtet, daß man sterben muß, und man stirbt nicht, dann ist die Besorgnis ebenfalls umsonst gewesen. Wenn man aber stirbt, dann kann man sich eh keine Sorgen mehr machen — wozu sich also sorgen?
Für Sorge konnte man auch Angst einsetzen, dachte ich