Ich angelte mir die Krücken und stieg aus, während mir Milo erklärte, daß es höchste Zeit sei, sie endlich wegzuwerfen.
«Beruhige dich«, sagte ich.
«Komm mir nicht gönnerhaft!«
«Ist Phil da?«
Phil war Phil Urquhart, Veterinärmediziner und Pillenpusher des Stalles.
«Nein, ist er nicht«, sagte Milo gereizt,»aber er kommt wieder. Das verdammte Pferd will keine Urinprobe hergeben. Und du kannst mir vor allem erst einmal sagen, ob das nun >Dozen Roses< ist oder nicht. Sein Paß ist okay, aber ich wäre gern ganz sicher.«
Er schritt in Richtung einer Box im hinteren Teil des Hofes davon, und ich folgte ihm und sah hin, wo er hinsah, nämlich über die untere Hälfte der Stalltür in das Innere der Box.
Dort standen ein bockig aussehendes Pferd und ein wütender, rotgesichtiger Stallbursche. Letzterer hielt einen Stab, an dessen einem Ende eine offene Plastiktüte an einem Ring befestigt war wie ein Kescher. Die Plastiktüte war sauber und leer.
Ich kicherte.
«Du hast gut lachen«, sagte Milo barsch.»Du mußtest nicht seit nunmehr zwei Stunden darauf warten, daß das blöde Vieh endlich harnt.«
«Auf dem Rennplatz von Singapur«, sagte ich,»wurde mal eine Urinprobe abgegeben, in der sich Nikotin fand. Das Pferd hatte zwar nicht geraucht, wohl aber der Stallbursche. Er hatte es satt gehabt, auf das Pferd zu warten, und die Probe selbst geliefert.«
«Sehr komisch«, sagte Milo abweisend.
«Aber das dauert doch nun mal oft Stunden. Wozu also die Aufregung?«
Es hörte sich immer so einfach an, wenn es hieß, nach jedem Rennen würden von zwei Pferden Urinproben genommen, die eine so gut wie immer vom Sieger. Aber in der Praxis bedeutete das, daß man oft ewig warten mußte, bis die Pferde dem entsprechenden Wunsch endlich nachkamen. Wenn nach zwei Stunden noch nichts passiert war, wurden ersatzweise Blutproben akzeptiert, aber auch an das Blut war gar nicht so leicht heranzukommen. Es rissen regelmäßig eine ganze Menge Geduldsfäden, während die Pferde versuchten, zu einem Entschluß zu gelangen.
«Komm weg hier«, sagte ich,»er wird’s schon irgendwann schaffen. Und das ist ganz eindeutig das Pferd, das in York gelaufen ist. Das ist ohne Zweifel >Dozen Ro-ses<.«
Er entfernte sich, mir folgend, nur zögernd vom Stall, und wir gingen in die Küche, wo er das Licht anmachte und mich fragte, ob ich etwas zu trinken haben wolle.
«Ich hätte nichts gegen einen Tee«, sagte ich.
«Tee? Um diese Zeit? Aber bitte, bedien dich selbst. «Er sah zu, wie ich den Wasserkessel füllte und aufsetzte.»Bist du von der Sauferei weg, auf immer und ewig?«
«Nein.«
«Gott sei Dank.«
Phil Urquharts Wagen bog knirschend in den Hof ein und hielt vor dem Fenster. Er kam in die Küche gesaust und fragte, ob irgendein Resultat zu verzeichnen sei. Er deutete Milos düsteren Gesichtsausdruck richtig und lachte.
«Glauben Sie, daß das Pferd gedopt ist?«fragte ich.
«Ich? Nein, eigentlich nicht. Schwer zu sagen. Milo ist der Ansicht.«
Er war klein, etwa dreißig Jahre alt und der Enkel in einer Dreigenerationen-Praxis — meiner Meinung nach der Beste von den dreien. Ich erwischte mich bei dem Gedanken, daß ich ihn, sollte ich selbst einst hier in Lambourn als Trainer tätig werden, gern für meine Pferde haben würde. Eine eigenartige Vorstellung. Die Zukunft plante sich hinter meinem Rücken wie von selbst.
«Wie ich höre, haben wir das große Glück, daß Sie noch unter uns weilen«, sagte er.»Eine eindrucksvolle Karambolage, so war zu vernehmen. «Er taxierte mich mit freundlichem, professionellem Blick.»Sie haben ein paar harte Kanten, wie man sieht.«»Es gibt nichts, was ihn davon abhalten könnte, Rennen zu reiten«, sagte Milo lebhaft.
Phil lächelte.»Ich höre da mehr Unruhe heraus als Mitgefühl.«
«Unruhe?«
«Seit er hier ist, haben Sie mehr Sieger trainiert.«
«Unsinn«, sagte Milo.
Er schenkte Phil und sich einen Drink ein, und ich machte mir meinen Tee. Und Phil versicherte mir, daß er sein Okay für >Dozen Roses< geben werde, sollte der Urin alle Tests anstandslos passieren.
«Kann sein, daß das noch die Nachwirkungen des schweren Rennens in York sind«, sagte er.»Könnte aber auch sein, daß er immer so ist. Manche Pferde sind halt so, und wir wissen nicht, wieviel Gewicht er verloren hat.«
«Auf was wollen Sie den Urin denn untersuchen?«fragte ich.
Er hob die Augenbrauen.»In diesem Falle auf Barbiturate.«
«In York«, sagte ich nachdenklich,»lief einer von Nicholas Loders Besitzern mit einem Zerstäuber in der Tasche rum. So ein Ding aus der Küche zum Bratenbegießen, um etwas genauer zu sein.«
«Ein Besitzer?«fragte Phil überrascht.
«Ja. Besitzer des Siegers im Fliegerrennen über tausend Meter. Er war auch in der Box dabei, als >Dozen Roses< aufgesattelt wurde.«
Phil runzelte die Stirn.»Was wollen Sie damit sagen?«
«Nichts. Ist nur eine Beobachtung. Ich kann nicht glauben, daß er das Pferd irgendwie manipuliert hat. Das hätte Nicholas Loder nicht zugelassen. Das Geld des Stalles war mit Sicherheit auf Sieg gesetzt. Sie wollten gewinnen und wußten doch, daß das Pferd im Falle eines Erfolges kontrolliert werden würde. Die einzige Frage, die sich stellt, wäre allenfalls die, was man einem Pferd eingeben könnte, ohne daß dies zu einer Disqualifikation führt. Mit einem Zerstäuber und unmittelbar vor dem Rennen?«
«Nichts, was es schneller machen würde. Alle Stimulan-tien sind Gegenstand der Analyse.«
«Was, wenn man ihm, sagen wir mal, Zucker verabfolgt hätte? Glukose? Oder Adrenalin?«
«Sie denken ja wie ein Krimineller!«
«Ich meine nur.«
«Glukose würde, ganz wie bei menschlichen Athleten auch, für Energiezufuhr sorgen. Aber es würde die Schnelligkeit nicht erhöhen. Adrenalin ist kniffliger. Wenn man es per Injektion verabfolgt, kann man es sehen, weil sich die Haare um die Einstichstelle aufrichten. Aber direkt auf die Schleimhäute… tja, ich nehme an, daß das möglich wäre.«
«Und keine Spuren.«
Er nickte.»Adrenalin wird auch auf ganz natürliche Weise ins Blut eingebracht, wenn das Pferd erregt ist. Wenn es gewinnen möchte. Wenn es die Peitsche spürt. Wer vermag schon zu sagen, wieviel? Wenn man den Verdacht hätte, daß da nachgeholfen worden wäre, müßte man praktisch sofort, noch in der Siegerbox, eine Blutprobe entnehmen, und selbst dann wäre nur schwer zu beweisen, daß ein Analyseergebnis das normale Maß übersteigt. Adrenalinspiegel sind viel zu unterschiedlich. Es wäre schon schwer nachzuweisen, daß das Extra-Adrenalin überhaupt eine Veränderung bewirkt hat. «Er schwieg und sah mich ernst an.»Es ist Ihnen doch klar, daß Ihre Andeutungen implizieren, daß wenn da irgendwas gemacht wurde, dies mit Billigung von Nicholas Loder geschehen sein müßte?«
«Ist nicht wahrscheinlich, was?«
«Nein«, sagte er.»Wenn er irgend so ein schäbiger kleiner Ganove wäre, nun ja, dann vielleicht, aber doch nicht Nicholas Loder mit seinen Classic-Gewinnern und allem, was er sonst noch zu verlieren hätte.«
«Mm. «Ich dachte eine Weile nach.»Wenn ich darum bäte, könnte ich ein bißchen von der Urinprobe bekommen, die >Dozen Roses< in York abgeliefert hat. Sie stellen Besitzern immer Teilmengen für private Kontrollen zur Verfügung. Das heißt in diesem Falle nicht mir, sondern der Firma meines Bruders. «Ich überlegte weiter.»Als Nicholas Loders Besitzer den Bratenbegießer fallenließ, gab Martha Ostermeyer ihm nur den Gummiball zurück, während Harley dann das Röhrenstück fand und mir gab. Das war jedoch sauber. Keine Spur einer Flüssigkeit. Kein Adrenalin. Deshalb nehme ich an, daß er das Ding bei seinem eigenen Pferd benutzt und es noch in der Tasche hatte, will sagen bei >Dozen Roses< nichts damit gemacht hat.«