«Nein, so etwas hatte er nicht«, sagte sie besorgt.
«Das hätte er aber sehr gut gebrauchen können«, sagte ich.
«Wollen Sie damit andeuten, daß wir ihm gegen seinen Willen zugehört hätten?«
«Nicht Sie«, versicherte ich ihr, als ich bemerkte, wie sehr sie mir schon den bloßen Gedanken verübelte.»Sonst aber — ja, ich glaube, es ist vorgekommen. Wie dem auch sei, ich möchte irgendwann an diesem Vormittag mal absolut sicher sein, daß niemand mithört. Vielleicht können ja, wenn dieses Gespräch zustande kommt, alle mal in den Lagerraum gehen und >Rule Britannia< singen.«
Annette machte niemals Scherze. Ich mußte ihr erklären, daß ich dies nicht wörtlich gemeint hatte. Sie sagte ziemlich verstimmt zu, wenn es soweit sei, alle Nebenstellen durchgehen und sicherstellen zu wollen, daß niemand lausche.
Ich fragte sie, warum Greville nicht auf alle Fälle einen privaten Anschluß habe legen lassen, und sie eröffnete mir, daß ein solcher sehr wohl da sei, daß sie ihn aber jetzt für das Telefax-Gerät benützten.
«Wenn er ganz ungestört sein wollte, dann ging er hinunter in den Hof und telefonierte vom Auto aus.«
Dort, so nahm ich an, war er wohl auch vor Leuten sicher gewesen, die sich hochempfindlicher Lauschgeräte bedienten — wenn er überhaupt den Verdacht gehabt hatte, daß so etwas auf ihn angesetzt war. Der Tatsache, daß er getäuscht wurde, war er sich jedenfalls bewußt gewesen, das stand zweifelsfrei fest.
Ich setzte mich an Grevilles Schreibtisch, nachdem ich die Tür hinter mir abgeschlossen hatte, und verglich die mir unbekannten Antwerpener Adressen aus dem Hexer mit der vollständigen, von June gelieferten Liste und fand sie dort alle vor.
Die ersten beiden erbrachten keine Resultate, aber bei der dritten erhielt ich, als ich erklärt hatte, wer ich war, die übliche Antwort, daß man in den Unterlagen nachschauen und zurückrufen wolle. Sie riefen zurück, aber die gestaltlose Stimme am anderen Ende war in beinah schon an Ablehnung grenzendem Maße vorsichtig.
«Wir hier bei Maarten-Pagnier sehen uns nicht in der Lage, irgend etwas mit Ihnen zu besprechen, Monsieur«, sagte mein Gesprächspartner.»Monsieur Franklin hat ausdrücklich angeordnet, daß wir mit niemandem von seiner Firma außer ihm sprechen.«
«Mein Bruder ist tot«, sagte ich.
«Das sagen Sie, Monsieur. Aber er hat uns gewarnt und gebeten, daß wir uns vor Versuchen anderer in acht nehmen sollten, Informationen über seine Angelegenheiten einzuholen, weshalb wir sie auch mit Ihnen nicht erörtern können.«
«Würden Sie dann bitte so gut sein und seine Anwälte anrufen, um sich bestätigen zu lassen, daß er tot ist und ich seine Geschäfte weiterführe.«
Nach einer kurzen Pause sagte die Stimme streng:»In Ordnung, Monsieur. Geben Sie uns bitte den Namen seiner Anwälte.«
Ich tat dies und mußte dann ewig warten, während drei Kunden telefonisch lange Bestellungen aufgaben, die ich notierte, wobei ich mich bemühte, keine mangelnder Konzentration zuzuschreibende Fehler zu machen.
Dann kam der hektische Anruf einer fast nicht zu verstehenden Frau, die dringend Mr. Franklin zu sprechen wünschte.
«Mrs. P.?«fragte ich vorsichtig.
Und es war Mrs. P. - Mrs. Patterson, wie sie nun sagte. Ich teilte ihr die schreckliche Nachricht mit und hörte mir an, wie sie mir erklärte, was für ein feiner und netter Herr mein Bruder gewesen sei und ob ich, o Himmel, sie fühle sich einer Ohnmacht nahe, die Unordnung im Wohnzimmer gesehen habe?
Ich brachte ihr bei, daß das ganze Haus so aussähe.»Aber lassen Sie’s bitte so«, sagte ich.»Ich räume das später auf. Wenn Sie danach dann kommen könnten, um zu saugen und Staub zu wischen, wäre ich Ihnen sehr dankbar.«
Sich ein wenig beruhigend, gab sie mir ihre Telefonnummer.
«Sagen Sie mir Bescheid«, willigte sie ein.»O je, o je.«
Schließlich meldete sich die Antwerpener Stimme wieder, und ich bat den Anrufer, sich einen Augenblick zu gedulden. Ich hüpfte zur Tür, rief Annette, übergab ihr die Bestellungen, die ich entgegengenommen hatte, und sagte ihr, daß der Augenblick gekommen sei, die Abwehrmaßnahmen zu ergreifen. Sie warf mir einen mißbilligenden Blick zu, als ich die Tür wieder schloß.
Auf Grevilles Platz zurückgekehrt, sagte ich:»Bitte sagen Sie mir, Monsieur, ob mein Bruder in irgendeiner geschäftlichen Beziehung zu Ihnen gestanden hat. Ich versuche hier, seine Angelegenheiten zu ordnen, aber er hat leider viel zu wenig an Unterlagen hinterlassen.«
«Er hat uns ganz speziell darum gebeten, nie irgendwelche schriftlichen Unterlagen über die Arbeiten, die wir für ihn ausführten, an seine Firma zu schicken.«
«Er hat, äh, was getan?«
«Er sagte, er könne nicht allen seinen Mitarbeitern so vertrauen, wie er sich das wünsche. Wir sollten alles, was unumgänglich sei, lieber an das Fax-Gerät in seinem Wagen schicken, aber auch das erst, nachdem er sich telefonisch gemeldet habe, um die Sachen abzurufen.«
«Hm«, sagte ich und blinzelte.»Ich habe das Fax-Gerät in seinem Auto gefunden, aber keinerlei Mitteilungen, Rechnungen oder dergleichen von Ihnen.«
«Ich glaube, daß Sie sie, wenn Sie bei seinem Steuerberater nachfragten, dort finden würden.«
«Du lieber Himmel!«
«Wie bitte, Monsieur?«
«Ich habe völlig vergessen, diesen Steuerberater mal zu befragen«, sagte ich bestürzt.
«Er meinte, aus steuerlichen Gründen.«
«Ja, ich verstehe. «Ich zögerte.»Was genau haben Sie eigentlich für ihn gemacht?«
«Monsieur?«
«Hat er Ihnen«, fragte ich ein ganz klein wenig atemlos,»hundert Rohdiamanten, Färbung H, Durchschnittsgewicht 3,2 Karat, zum Schleifen und Polieren geschickt?«
«Nein, Monsieur.«
«Oh. «Meine Enttäuschung mußte hörbar gewesen sein.
«Er hat uns zwar fünfundzwanzig Steine geschickt, aber fünf davon waren keine Diamanten.«
«Zirkon«, sagte ich wissend.
«Ja, Monsieur. Wir teilten das Mr. Franklin sofort mit, als wir es entdeckt hatten. Er meinte, wir irrten uns, aber das taten wir nicht, Monsieur.«
«Nein«, stimmte ich ihm zu.»Er hat eine Notiz hinterlassen, aus der hervorgeht, daß fünf Steine dieser ersten Partie Zirkon seien.«
«Ja, Monsieur. Er war in höchstem Maße betroffen. Wir stellten einige Nachforschungen für ihn an, aber er hatte die Steine bei einem Sightholder von untadeligem Ruf gekauft und die Steine ja auch selbst nachgemessen und — gewogen, als sie ihm an seine Londoner Privatadresse geliefert wurden. Er schickte sie uns dann in einem versiegelten Paket des Kurierdienstes Euro-Securo. Wir versicherten ihm, daß der Fehler nicht uns hier unterlaufen sei, und es war kurz danach, daß er uns bat, keine Sendungen oder Informationen mehr an irgend jemanden in seiner… Ihrer Firma zu schicken. «Er machte eine Pause und fuhr dann fort:»Er arrangierte mit uns die Übernahme der fertigen Steine, erschien dann aber nicht zu dem Treffen mit unserem Boten.«
«Mit Ihrem Boten?«
«Einer unserer Partner, um genau zu sein. Angesichts der fünf umstrittenen wollten wir die Steine lieber selbst an ihn übergeben, und Monsieur Franklin hielt das auch für eine ausgezeichnete Idee. Unser Partner fliegt nicht gern, und deshalb wurde vereinbart, daß er mit der Fähre übersetzen und dann auch auf diesem Wege hierher zurückkehren sollte. Er ist schon älter und hatte sich nicht auf eine längere Abwesenheit von zu Hause eingerichtet. Er war. nun, ungehalten darüber, daß er diese ermüdende Reise ganz umsonst hatte machen müssen. Er sagte, er wolle abwarten, bis er von Monsieur Franklin höre, neue Instruktionen von ihm bekomme. Wir haben dann gewartet, waren aber auch sehr verwirrt. Wir haben nicht versucht, Monsieur Franklin in seiner Firma zu erreichen, da er uns das ja untersagt hatte, aber wir dachten auch schon daran, jemand anderen zu bitten, den Versuch zu machen, für uns Verbindung mit ihm aufzunehmen. Die Nachricht von seinem Tod betrübt uns sehr. Das erklärt wirklich alles.«