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Prospero Jenks war da, wo ich ihn schon beim letzten Mal angetroffen hatte, das heißt, er saß in Hemdsärmeln an seiner Werkbank. Der diskrete Herr im dunklen Anzug, der im Geschäft Kunden bediente, nickte mir kurz zu und gab damit den Weg nach hinten frei.

«Er erwartet Sie, Mr. Franklin.«

Pross erhob sich mit einem Lächeln auf seinem jugendlich-alten Peter-Pan-Gesicht und streckte mir die Hand hin, ließ sie aber wieder fallen, als ich ihm meine nicht reichte, sondern statt dessen nur das Griff stück meiner einen Krücke grüßend hin und her bewegte.

«Erfreut, Sie zu sehen«, sagte er, bot mir einen Stuhl an und wartete, bis ich mich gesetzt hatte.»Haben Sie mir meine Diamanten mitgebracht?«Er setzte sich wieder auf den Schemel an seiner Werkbank.

«Nein, leider nicht.«

Er war enttäuscht.»Ich dachte, das sei der Grund Ihres Besuches hier.«

«Nein, nicht eigentlich.«

Ich blickte mich in dem langgestreckten Arbeitsraum mit den vielen Schränkchen voller ungefaßter Steine um und dachte an die Wunderdinge, die er da herstellte. Der an der Wand stehende Spruch lautete noch immer: DREHE KUNDEN NIEMALS DEN RÜCKEN ZU. BEHALTE STETS IHRE HÄNDE IM AUGE.

Ich sagte:»Greville hat fünfundzwanzig Rohdiamanten nach Antwerpen geschickt, um sie dort für Sie schleifen zu lassen.«

«Das ist richtig.«

«Fünf davon waren Zirkone.«

«Aber das gibt’s doch nicht!«

«Haben Sie«, fragte ich,»die Steine vertauscht?«

Das halbe Lächeln erstarb auf seinem Gesicht, das steif und ausdruckslos wurde. Die hellen blauen Augen sahen mich unverwandt an, und die Falten auf seiner Stirn vertieften sich.

«Das ist doch Unsinn«, sagte er.»So etwas Törichtes würde ich niemals tun.«

Ich antwortete nicht sogleich, und das schien ihm Kraft zu geben.

«Sie können doch nicht einfach hier hereinspaziert kommen und völlig haltlose Beschuldigungen von sich geben. Los, Sie verschwinden besser. «Er stand halb auf.

Ich sagte, ohne mich zu rühren:»Als die Diamantschleifer Greville mitteilten, daß es sich bei fünf der Steine um Zirkon handele, da war er am Boden zerstört. Sehr verletzt.«

Ich griff in die Brusttasche meines Hemdes und zog den Papierstreifen heraus, den mir der Hexer geliefert hatte.

«Wollen Sie’s sehen?«fragte ich.»Lesen Sie mal das da.«

Nach kurzem Zögern nahm er das Papier, setzte sich wieder und las den Eintrag:

Antwerpen sagt 5 der ersten Partie

von rohen sind Zr.

Möchte es nicht glauben.

Unendlich traurig.

Prioritätsstufe 1.

Treffen vereinbaren. Ipswich?

Unentschlossen. Verdammt!

«Greville pflegte seine Gedanken in einem Notizbuch festzuhalten«, sagte ich.»Dort findet sich auch der Satz: >Unendlich traurig ist, wenn man einem alten Freund nicht mehr vertraut.««

«Na und?«

«Seit Grevilles Tod«, sagte ich,»hat jemand versucht, die Diamanten zu finden, sie mir zu stehlen. Dieser Jemand mußte jemand sein, der wußte, daß sie existierten und ergo auch gefunden werden konnten. Greville hielt aus Sicherheitsgründen die Tatsache, daß er Diamanten gekauft hatte, weitgehend geheim. Aber Sie wußten natürlich Bescheid, denn für Sie hatte er sie ja schließlich erstanden.«

Er sagte wieder:»Na und?«

«Wie Sie sich vielleicht erinnern werden«, sagte ich, immer noch im Plauderton,»brach nach Grevilles Tod jemand in sein Büro ein und stahl so Sachen wie ein Adressbuch und einen Terminkalender. Ich fing an zu glauben, der Dieb habe auch noch andere Papiere gestohlen, die ihm vielleicht den Weg zu den Diamanten weisen würden, also etwa Briefe oder Rechnungen. Aber ich weiß jetzt, daß Papiere dieser Art dort nicht zu finden waren, weil sich Greville von seinem Mißtrauen leiten ließ. Dieses Mißtrauen ging auf den Tag zurück, an dem ihm die Antwerpener Diamantschleifer mitgeteilt hatten, daß fünf der Steine Zirkone seien, und das war ungefähr drei Wochen, bevor er starb.«

Grevilles Freund Pross sagte nichts.

«Greville kaufte die Diamanten«, fuhr ich fort,»von einem Sightholder mit Sitz in Antwerpen, der sie ihm durch Boten an seine Londoner Privatadresse schickte. Dort überprüfte er Größe und Gewicht und quittierte dann den Empfang. Nun erscheint es sinnvoll anzunehmen, daß er sie daraufhin Ihnen, seinem Kunden, zeigte. Oder vielleicht auch nur fünfundzwanzig davon. Dann schickte er fünfundzwanzig per Euro-Securo-Kurier zurück nach Antwerpen. Fünf Diamanten waren auf wunderbare Weise zu Zirkonen geworden, und ja, es war wirklich dumm, so was zu machen, weil doch der Tausch so gut wie sofort entdeckt werden mußte, und Sie wußten auch ganz genau, daß er entdeckt werden würde. Mußte. Sie rechneten fest damit, würde ich sagen, daß Greville Sie niemals verdächtigen, sondern schwören würde, daß die fünf Steine nur von einem Mitarbeiter des Kurierdienstes oder aber von den Diamantschleifern in Antwerpen vertauscht worden sein konnten. Und daß er eben zu gegebener Zeit die Versicherungssumme kassieren würde und die Sache damit dann erledigt sei. Sie hätten fünf Diamanten gewonnen, und er nichts verloren.«

«Das können Sie nicht beweisen«, sagte er ausdruckslos.

«Nein, das kann ich nicht beweisen. Aber Greville war sehr bekümmert und mißtrauisch, und warum hätte er das sein sollen, wenn er der Ansicht gewesen wäre, daß Fremde die Steine an sich gebracht hatten?«

Ich sah, ein wenig von Grevilles Traurigkeit empfindend, Prospero Jenks an. Ein sympathisches, unterhaltsames Genie, das meinen Bruder sehr und dauerhaft gemocht hatte und dessen Trauer angesichts seines Todes echt gewesen war.

«Ich möchte meinen«, sagte ich,»daß er nach der langen Freundschaft mit Ihnen, nach all den Schätzen, die er Ihnen herbeigeschleppt hatte, nach dem rosa und grünen Turmalin und Ihrem ungeheuren Erfolg Ihren Verrat kaum zu ertragen vermochte.«

«Hören Sie auf«, sagte er scharf.»Es ist schlimm genug…«

Er schloß den Mund, schüttelte den Kopf und schien in sich zusammenzusinken.

«Er hat mir verziehen«, sagte er dann.

Er schien zu denken, daß ich ihm nicht glaubte.

Er sagte unglücklich:»Ich habe so gut wie von Anfang an gewünscht, ich hätte es nicht getan, wenn Sie’s wissen wollen. Es war einfach so ein Impuls. Er ließ die Diamanten hier, während er ein paar Einkäufe machte, und ich hatte zufällig ein paar rohe Zirkone von der richtigen Größe in diesen Schubfächern da liegen, wie meistens, weil ich immer abwarte, bis ich weiß, was für einen Schliff ich brauche, und hab… sie einfach ausgetauscht. Wie Sie sagten. Ich dachte, er würde dadurch keinen Verlust erleiden.«

«Aber er wußte es«, sagte ich.»Er kannte Sie, und er wußte als Richter, der er war, eine Menge über Diebe. Ein anderer Gedanke, den er mal niedergeschrieben hat, lautet: >Wenn sich Gesetze als störend erweisen, dann ignoriere sie, sie gelten nicht für dich.««

«Hören Sie auf, hören Sie doch auf. Er hat mir vergeben.«»Wann?«

«In Ipswich. Ich fuhr hin, um mich dort mit ihm zu treffen.«

Ich hob den Kopf.»Ipswich. Orwell Hotel, P. 15.30«, sagte ich.

«Was? Ja. «Er schien nicht überrascht, daß ich das wußte. Er schien vielmehr in sich hinein und auf eine unerträgliche Szenerie zu blicken.

«Ich sah ihn sterben«, sagte er.

Kapitel 16