Mit einem Seufzer und einem übertriebenen Achselzuk-ken schnitt er den kleinen Beutel auf, nachdem ich ihm diesen wieder zurückgegeben hatte, und wog den Inhalt auf einer kleinen, sehr feinen Waage ab.
Es war dies das erste Mal, daß ich leibhaftig zu Gesicht bekam, was ich die ganze Zeit über gesucht hatte — und das war nicht sonderlich imposant, um es gelinde auszudrücken. Fünf stumpf aussehende, eher graue Kristalle von der Größe großer, mißgestalteter Erbsen, ohne die geringste Andeutung des Feuers, das in ihnen schlummerte. Ich sah dem Wiegen aufmerksam zu und nahm die Steine selbst aus der Waagschale, wickelte sie eigenhändig in frische Mullvierecke ein, die mir Prospero gegeben hatte, und umschnürte am Ende alles fest mit Klebstreifen.
«Zufrieden?«fragte er mit einem Anflug von Sarkasmus und sah zu, wie ich das Gewürzbeutelchen in meine Hosentasche steckte.
«Nein, nicht ganz.«
«Das sind die echten, die ursprünglichen Steine«, protestierte er. Er unterzeichnete das Papier, auf dem er die Gewichte aufgeschrieben hatte, und gab es mir.»Ich würde diesen Fehler wohl nicht noch einmal machen. «Er sah mich forschend an.»Sie sind viel härter als Grev.«
«Dazu habe ich ja auch einigen Grund.«
«Welchen Grund?«
«Mehrere Einbrüche. Diverse Überfälle.«
Sein Mund öffnete sich.
«Wer noch?«sagte ich.
«Aber ich habe nie… ich habe nie…«Er wollte, daß ich ihm Glauben schenkte. Er beugte sich mit großer Ernsthaftigkeit vor.
«Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
Ich seufzte leicht.»Greville versteckte die Briefe und Rechnungen, die sich auf die Diamanten bezogen, weil er einem seiner Mitarbeiter mißtraute. Einem Mitarbeiter, der, wie er annahm, Ihnen kleine Informationsschnipselchen zutrug, der für Sie spionierte.«
«Blödsinn. «Sein Mund schien jedoch trocken geworden zu sein.
Ich zog den Mikrokassetten-Recorder aus einer meiner Taschen und legte ihn auf seine Werkbank.
«Er wird durch die menschliche Stimme in Gang gesetzt«, sagte ich.»Greville ließ ihn eines Tages angeschaltet liegen, als er zum Mittagessen ging, und hier ist das, was er nach seiner Rückkehr aufgezeichnet fand. «Ich drückte die entsprechende Taste, und die Stimme, die uns beiden bekannt war, sagte enthüllend:
«Ich bin jetzt in seinem Büro und kann sie nicht finden. Er versteckt aber auch alles, ist ein Sicherheitsfanatiker, wie Sie ja wissen. - Ich kann nicht fragen. Er würde es mir nie sagen, ich glaube, er vertraut mir nicht. - Die verkniffene Annette niest nicht mal, ohne daß er es ihr aufträgt.«
Jasons Stimme, erfüllt von der großspurigen Aggressivität des Straßenjungen, die zu seinem stachligen Haar gehörte, verstummte schließlich wieder, und der Recorder schaltete sich ab. Prospero Jenks erzeugte Spucke in seinem Mund und vergewisserte sich vorsichtig, daß der Recorder nicht vielleicht doch noch lebte und zuhörte.
«Jason hat nicht mit mir gesprochen«, sagte er nicht sehr überzeugend.»Er hat mit jemand anderem telefoniert.«
«Jason fungierte stets als Bote zwischen Ihnen und Greville«, sagte ich.»Ich selbst habe ihn ja auch in der vorigen Woche hergeschickt. Es bedurfte keiner großen Verführungskünste, Jason dazu zu bringen, Ihnen mit der Ware auch Informationen zu liefern. Aber Greville kam dahinter. Es verschlimmerte sein Gefühl, verraten worden zu sein. Als Sie mit ihm im Orwell Hotel in Ipswich sprachen, was meinte er da zu Jason?«
Prospero machte eine Geste halb unterdrückter Wut.
«Ich weiß nicht, woher Sie das alles eigentlich wissen«, sagte er.
Es hatte neun Tage gebraucht und eine Menge Sucherei und viele Mutmaßungen über Mögliches und Wahrscheinliches, aber das Muster, das sich ergeben hatte, diente nun als verläßlicher Pfad durch zumindest einen Teil des Wirrwarrs, denn es gab keine andere Interpretation unter denen, die mir durch den Kopf gegangen waren, welche die Tatsachen so plausibel erklärte.
Ich fragte noch einmaclass="underline" »Was meinte er zu Jason?«
Prospero Jenks kapitulierte.»Er sagte, der würde Saxony Franklin verlassen müssen. Er sagte, das sei Bedingung für eine Wiederaufnahme unserer geschäftlichen Beziehungen. Er sagte, ich solle Jason mitteilen, daß er am kommenden Montag nicht mehr zur Arbeit zu erscheinen brauche.«
«Aber das haben Sie nicht getan«, sagte ich.
«Äh, nein.«
«Denn als Greville starb, beschlossen Sie, den Versuch zu unternehmen, nicht nur fünf, sondern alle Steine zu stehlen.«
Die blauen Augen lächelten fast.»Erschien logisch, nicht?«sagte er.»Grev würde es ja auch nicht mehr erfahren. Die Versicherung würde zahlen. Keiner würde einen Verlust haben.«
Außer der Versicherung, dachte ich. Aber ich sagte:»Die Diamanten waren nicht versichert. Sind es auch jetzt nicht. Sie haben sie Greville und sonst niemandem gestohlen.«
Er war beinahe erstaunt, aber nicht ganz.
«Greville hat Ihnen das gesagt, nicht wahr?«mutmaßte ich.
Wieder das Sich-Schämen des kleinen Jungen.»Äh, ja, das hat er.«
«Im Orwell Hotel?«
«Ja.«
«Sind Sie eigentlich je erwachsen geworden, Pross?«sagte ich.
«Sie wissen doch gar nicht, was Erwachsenwerden heißt. Erwachsenwerden heißt, immer eine Nasenlänge voraus zu sein.«
«Zu stehlen, ohne erwischt zu werden?«
«Natürlich. Alle machen das. Man muß tun, was man kann.«
«Aber Sie haben doch dieses wunderbare Talent«, sagte ich.
«Sicher. Aber ich mache die Sachen für Geld. Ich mache, was die Leute mögen. Ich nehme ihren Kies, soviel sie nur rausrücken. Sicherlich gibt’s mir einen Kick, wenn das, was ich fabriziert habe, hervorragend ist, aber ich würde nie um der Kunst willen in einer Dachkammer verhungern. Unter meiner Hand singen die Steine. Ich gebe ihnen Leben. Gold ist mein Pinsel. Das ist schon richtig. Aber hinter dem Rücken der Leute lach ich mir ins Fäustchen. Das sind alles Einfaltspinsel. An dem Tag, an dem ich begriff, daß alle Kunden Trottel sind, wurde ich erwachsen.«
Ich sagte:»Ich wette, daß Sie Greville dies alles nie gesagt haben.«
«Ich bitte Sie! Greville war ein Heiliger, jedenfalls fast. Der einzige durch und durch wahrhaft gute Mensch, den ich je kennengelernt habe. Ich wünschte, ich hätte ihn nicht betrogen. Ich bedaure es.«
Ich hörte die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme und glaubte ihm, aber seine Reue war nicht sehr tief gegangen und hatte seine Seele in gar keiner Weise verändert.
«Jason«, sagte ich,»hat mich vor dem St. Catherine’s Hospital niedergeschlagen und mir den Beutel mit Grevilles Sachen geraubt.«
«Nein. «Jenks leugnete ganz automatisch, aber seine Augen verrieten den Schock.
Ich sagte:»Ich dachte damals, es sei ein ganz gewöhnlicher Straßenraub gewesen. Der Angreifer war schnell und kräftig. Der Freund, der mich begleitete, sagte, der Räuber habe Jeans und eine Wollmütze getragen, aber sein Gesicht bekamen wir beide nicht zu sehen. Ich machte mir nicht die Mühe, die Sache der Polizei zu melden, weil in dem Beutel nichts Wertvolles drin war.«
«Wie können Sie also behaupten, daß es Jason war?«
Ich beantwortete seine Frage indirekt.
«Als ich mich zu Grevilles Firma begab, um den Mitarbeitern mitzuteilen, daß er tot sei«, sagte ich,»stellte ich fest, daß sein Büro durchsucht worden war. Wie Sie wohl wissen. Am nächsten Tag entdeckte ich, daß Greville Diamanten gekauft hatte. Ich fing an, nach ihnen zu suchen, aber es gab keinerlei schriftlichen Unterlagen, kein Adressbüchlein, keinen Terminkalender, keine Hinweise auf oder Verabredungen mit Diamantenhändlern. Und die Steine selbst konnte ich auch nicht finden. Ich verbrachte drei Tage damit, den Tresorraum nach ihnen zu durchforschen, obwohl mir Annette und June, ihre Assistentin, versicherten, daß sie da in der Firma nie irgendwelche Diamanten verwahrt hätten, dazu sei Greville viel zu sehr auf Sicherheit bedacht gewesen. Sie selbst haben mir dann gesagt, daß die Diamanten für Sie bestimmt seien, was ich vor meinem Besuch hier noch nicht gewußt hatte. In der Firma war allen bekannt, daß ich nach Diamanten suchte, und zu diesem Zeitpunkt muß Jason das auch Ihnen gesagt haben, was Ihnen klarmachte, daß ich keine Ahnung hatte, wo sie sich befanden.«