«Oh. «Sein Gesicht hellte sich kurzzeitig vergnügt auf, aber die Düsternis kehrte schon bald wieder zurück.»Nun, ich dachte, es würde sich lohnen, mal in seinem Büro nachzuschauen, obwohl Jason mir gesagt hatte, daß Grev dort nie etwas von Wert aufbewahrte. Aber bei Diamanten… so vielen Diamanten… war es wohl einen Versuch wert. Jason brauchte nicht erst lange überredet zu werden. Er ist ein gewalttätiger junger Scheißer.«
Ich fragte mich flüchtig, ob diese Beschreibung wohl konkret gemeint und skatologisch genau war.
«Sie fuhren also beide im Servicelift nach oben«, sagte ich,»und ließen so eine Art Pendel gegen das Fenster des Versandraumes sausen.«
Er schüttelte den Kopf.»Jason hatte Ankereisen und eine Strickleiter mitgebracht, auf der er bis zu dem Fenster hinunterkletterte, dessen Scheibe er dann mit einem Baseballschläger zertrümmerte. Als er drin war, warf ich Haken und Leiter in den Hof hinab und fuhr dann mit dem Lift in den achten Stock, wo mich Jason durch den Hintereingang reinließ. Aber wir konnten wegen Grevs teuflischen elektronischen Schlössern nicht in die Lagerräume gelangen, aus dem gleichen Grund auch nicht in den Ausstellungsraum. Und dieser Tresorraum. ich wollte versuchen, die Tür mit dem Baseballschläger aufzukriegen, aber Jason sagte mir, daß sie fünfzehn Zentimeter dick sei. «Er zuckte die Achseln.
«So mußten wir uns denn mit Papieren begnügen… und konnten da auch nichts über Diamanten finden. Jason wurde wütend… wir haben ein ganz schönes Durcheinander hinterlassen.«
«Tja.«
«Und es war alles die reinste Zeitverschwendung. Jason meinte, was wir brauchten, das wäre so was, was Hexer hieße, aber auch das Ding konnten wir nicht finden. Am
Ende sind wir wieder abgezogen. Ich gab auf. Grev war zu vorsichtig gewesen. Ich fand mich damit ab, daß ich die Diamanten eben nicht in die Hand bekommen würde, es sei denn, ich bezahlte sie. Und dann berichtete mir Jason, daß Sie überall nach Diamanten suchten, und das weckte erneut mein Interesse. Sehr sogar. Sie können mir das nicht zum Vorwurf machen.«
Ich konnte, und ich tat’s auch, aber ich wollte den Springbrunnen nicht abstellen.
«Also habe ich Sie«, sagte er,»wie Sie richtig erraten haben, in Grevs Garten gelockt, und da wartete Jason eine Ewigkeit auf Sie und wurde sauer, weil Sie so lange brauchten. Er habe seine Wut dann an dem Haus ausgelassen, sagte er mir hinterher.«
«Er hat auch dort eine ziemliche Unordnung hinterlassen, ja.«
«Dann kamen Sie wieder zu sich und lösten den Alarm aus, und Jason sagte, er sei inzwischen schon ziemlich nervös geworden und hätte nicht auf die Handschellen warten wollen. So hatte Grev uns wieder geschlagen… und auch Sie, nicht wahr?«Er sah mich verschmitzt an.»Sie haben die Diamanten auch nicht gefunden.«
Ich antwortete nicht. Ich sagte.»Wann hat Jason Grevilles Auto aufgebrochen?«
«Nun… als er ihn schließlich in Grevs Straße entdeckte. Ich hatte in Ipswich und wo sonst nicht überall nach ihm gesucht, aber Grev hatte sich offensichtlich einen Leihwagen für die Fahrt da rauf genommen, weil sein eigener nicht anspringen wollte.«
«Wann haben Sie das denn entdeckt?«
«Am Samstag. Wenn die Diamanten da drin gewesen wären, hätten wir ja das Haus nicht zu durchsuchen brauchen.«
«Aber er hätte doch kein Vermögen auf der Straße gelassen«, sagte ich.
Pross schüttelte resigniert den Kopf.»Sie hatten da schon nachgeschaut, nehme ich an.«
«Das hatte ich. «Ich blickte ihn nachdenklich an.»Warum Ipswich?«fragte ich.
«Was?«
«Warum speziell das Orwell Hotel in Ipswich? Warum wollte er, daß Sie dorthin kämen?«
«Keine Ahnung«, sagte er verdutzt.»Er hat’s mir nicht mitgeteilt. Er bat mich oft zu recht merkwürdigen Treffpunkten. Für gewöhnlich, weil er das eine oder andere Erbstück aufgetan hatte und wissen wollte, ob ich die Steine gebrauchen könne. Einmal war’s ein häßlicher alter Stirnreif mit einem langweiligen, gelblichen Brillanten als Mittelstück, ganz verdreckt dank langer Vernachlässigung. Ich ließ den Stein neu schleifen, machte daraus die Haube eines Bergkristallvogels und setzte diesen in einen goldenen Käfig… ist jetzt in Florida in der Sonne.«
Mich erschütterte das Jammervolle an dem allen. Soviel sich in höchste Höhen aufschwingende, unbezahlbare Phantasie — und eine so schmutzige, niederträchtige Habgier!
Ich sagte:»Hatte er in Ipswich einen Stein für Sie gefunden?«
«Nein. Er sagte mir nur, er habe mich gebeten, dorthin zu kommen, damit wir ungestört seien. Irgendwo, wo’s ruhig ist, sagte er. Ich nehme an, daß er Ipswich wählte, weil er nach Harwich weiterfahren wollte.«
Ich nickte. Das vermutete ich auch, obwohl es gar nicht an der direkten Strecke lag, die weiter südlich über Col-chester führte. Aber Ipswich war nun einmal der Ort, den Greville auf Grund eines unglücklichen Zufalls gewählt hatte.
Ich überdachte alles, was Pross mir erzählt hatte, und plötzlich kam mir eine noch nicht überprüfte, entsetzliche Möglichkeit in den Sinn.
«Als die Gerüstteile herab stürzten«, sagte ich langsam,»und als Sie über die Straße liefen und Greville tödlich verletzt fanden… als er blutend dort lag, die Eisenstange in sich drin… haben Sie ihm da seine Brieftasche weggenommen?«
Das Kleinjungengesicht von Pross zog sich in Falten zusammen, und er hob die Hände davor und bedeckte es, als wolle er in Tränen ausbrechen. Aber ich nahm ihm die Tränen und die Reue nicht ab. Ich konnte ihn nicht mehr ertragen. Ich stand auf, um zu gehen.
«Sie dachten, er könnte die Diamanten in seiner Brieftasche haben«, sagte ich bitter.»Und da, also selbst noch, als er im Sterben lag, waren Sie gewillt, ihn zu berauben.«
Er sagte nichts. Er stritt es nicht ab.
Ich verspürte um Grevilles willen einen derartigen Zorn, daß ich plötzlich den Mann da vor mir mit einer Wildheit schlagen und strafen wollte, derer ich mich nicht für fähig gehalten hatte — und ich stand dort und zitterte unter dem Druck dieser Selbsterkenntnis und der so wichtigen Selbstbeherrschung und fühlte, wie sich meine Kehle allen weiteren Worten verschloß.
Gedankenlos setzte ich meinen linken Fuß auf den Boden, um hinauszugehen, und empfand den Schmerz als etwas Bedeutungsloses, nahm aber nach drei Schritten doch die Krücken zu Hilfe, erreichte die Türöffnung, hastete um die Trennwand herum und dann durch das Geschäft hindurch bis auf den Bürgersteig und wollte nur noch schreien und jammern über die elende Ungerechtigkeit von Grevilles Tod und die Schlechtigkeit der Welt, wollte das Strafgericht des Himmels auf sie herabrufen.
Kapitel 17
Ich stand auf dem Gehsteig, blind und ohne die Passanten wahrzunehmen, denen ich ein Hindernis war. Die Flutwelle der Wut und Traurigkeit, die über mir zusammengeschlagen war, schwoll an und brach und ebbte endlich wieder ab, ließ mich, noch immer zitternd von ihrer Gewalt, mit einem Tornado im Kopf zurück.
Ich hatte gar nicht bemerkt, daß ich die ganze Zeit die Zähne fest zusammengebissen hatte und lockerte meinen Kiefer, fühlte mich aber trotzdem weiter ganz elend.
Eine großmütterliche Frau berührte meinen Arm und sagte:
«Brauchen Sie Hilfe?«, und ich beantwortete ihre Freundlichkeit mit einem Kopfschütteln, da mir die Hilfe, die ich wirklich gebraucht hätte, kein Mensch zuteil werden lassen konnte. Man mußte von innen heraus heilen, wieder zusammenwachsen wie Knochen.
«Alles in Ordnung?«fragte sie noch einmal besorgt.
«Ja. «Ich riß mich zusammen.»Danke.«
Sie sah mich unsicher an, ging dann aber weiter, und ich atmete ein paarmal ruhig durch. Der Gedanke, daß ich ein Telefon brauchte, wenn ich jemals wieder von dieser Stelle fortkommen wollte, ließ meine Gedanken vom Erhabenen zum Banalen zurückkehren.