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Ein Frisiersalon ließ mich — gegen Entgelt — seinen Apparat benutzen, und Brad war innerhalb von fünf Minuten

da und holte mich ab. Ich schob die Krücken auf den Rücksitz, kletterte müde auf den Sitz neben ihn, und er sagte:»Wohin?«Wenn auch nicht mit Worten, so wurde mir doch mit Blicken noch einmal großmütterliche Sorge zuteil.

«Hm«, sagte ich,»ich weiß es nicht.«

«Nach Hause?«

«Nein…«Ich dachte nach. Ich hatte vorgehabt, zu Grevilles Haus zu fahren, um mich dort vor dem Treffen mit Clarissa um sieben umzuziehen — dort hing ja noch mein Anzug in Grevilles Kl ei der schrank, und es erschien im ganzen noch das Sinnvollste zu sein, was ich tun konnte, auch wenn sich meine Energie für die geplante Unternehmung verflüchtigt hatte.

Wir machten uns also dorthin auf. Es war nicht sehr weit, und als Brad vor dem Haus hielt, sagte ich:»Ich glaube, ich werde heute nacht hier schlafen. Dieses Haus ist so sicher wie jeder andere Ort auch. Sie können also nach Hungerford weiterfahren, wenn Sie wollen.«

Er sah nicht so aus, als ob er das wollte, aber alles, was er von sich gab, war:»Ich komme morgen her?«

«Ja, bitte«, stimmte ich zu.

«Hol Sie ab, bring Sie ins Büro?«

«Ja, bitte.«

Er nickte, anscheinend in dem Gefühl bestärkt, daß ich ihn noch brauchte. Er stieg ebenfalls aus dem Auto aus, öffnete mir die Pforte, brachte meine Reisetasche herbei und begleitete mich ins Haus, um sich oben und unten zu vergewissern, daß es wirklich frei von Mördern und Dieben sei. Als er fort war, überprüfte ich, ob alle Alarmanlagen eingeschaltet waren, und ging sodann hinauf in Gre-villes Schlafzimmer, um mich umzuziehen.

Ich borgte mir ein weiteres Hemd von ihm, dazu einen marineblauen Seidenschlips, rasierte mich mit seinem Elektrorasierer, der unter den Sachen war, die ich vom Boden aufgehoben und auf seine weiße Kommode gelegt hatte, bürstete mir mit seiner Bürste das Haar und dachte plötzlich mit einem eigentümlichen Schauder, daß ja alle diese Dinge nun mir gehörten, daß ich in seinem Haus, in seinem Zimmer, in seinen Kleidern… in seinem Leben war.

Ich zog meinen eigenen Anzug an, da mir die seinen zu groß waren, und da fiel mein Blick auf die Röhre von dem Bratenbegießer, die immer noch in einer der Innentaschen meiner Jacke steckte. Ich zog sie heraus, legte sie zu dem anderen Zeug auf der Kommode und prüfte im Spiegel an der Wand, ob Franklin, Modell Nr. 2, auch wirklich Franklin, Modell Nr. 1, keine Schande machte. Ich vermutete, daß er drei Monate lang täglich in diesen Spiegel geschaut hatte. Jetzt war sein Spiegelbild mein Spiegelbild, und der Mann, der wir beide waren, hatte dunkle Schatten der Müdigkeit unter den Augen, eine angespannte Hagerkeit im Gesicht und sah so aus, als könne es ihm nichts schaden, mal eine Woche untätig in der Sonne zu liegen. Ich schenkte ihm ein mitleidiges Lächeln und telefonierte dann nach einem Taxi, das mich zehn Minuten vor der Zeit bei Luigi absetzte.

Trotzdem war sie schon vor mir da, saß an einem kleinen Tischchen in der auf der einen Seite des Restaurants befindlichen Bar, ein so gut wie leeres, nach Wodka aussehendes Glas auf einem sauberen Filz vor sich. Sie erhob sich, als ich hereinkam, bot mir eine kühle Wange zu höflicher, gesellschaftlich sanktionierter Begrüßung dar und lud mich mit einer Handbewegung ein, mich zu ihr zu setzen.

«Was möchten Sie trinken?«fragte sie förmlich, aber auch, wie mir schien, gegen eine Unterströmung von Schüchternheit ankämpfend.

Ich sagte, die Getränke gingen auf mich, und sie erwiderte nein, nein, dies sei ja ihr Vorschlag gewesen. Sie rief den Ober herbei, fragte mich mit kleinem Lächeln:»Doppeltes Wasser?«, und bestellte, als ich nickte, für uns beide Perrier mit Eis und frischem Limonensaft.

Ich war zu diesem Zeitpunkt schon auf zwei Distalgesics pro Tag runter und wollte bald ganz aufhören, sie zu schlucken, aber die Tablette, die ich gerade eben bei Greville eingenommen hatte, wirkte, was diesen Abend anbetraf, noch als Hemmnis. Ich hatte mir die Frage zu spät gestellt, womit ich mich wohler fühlen würde — mit einem Schmerzstiller für den Knöchel oder einem großen Scotch für alles übrige.

Clarissa trug ein blaues Seidenkleid, eine zweireihige Perlenkette, Ohrringe aus Perlen, Saphiren und Brillanten und einen dazu passenden Ring. Ich bezweifelte, daß ich diese Einzelheiten in den guten alten Tagen meines Jok-keydaseins wahrgenommen hätte. Ihr Haar, glatt wie stets, folgte dem Schwung seines teuren Schnitts, und ihre Schuhe und Handtasche waren aus unauffälligem schwarzem Kalbsleder. Sie sah nach dem aus, was sie war — eine elegante, gebildete Frau um die Vierzig, fast schön und mit Augen, aus denen Großzügigkeit sprach.

«Was haben Sie seit Sonnabend so getrieben?«fragte sie, Konversation machend.

«Dem Tod in den Rachen geblickt. Und Sie?«

«Wir fuhren nach…«Sie brach ab. »Was haben Sie da gesagt?«

«Martha und Harley Ostermeyer und ich hatten am Sonntag einen Autounfall. Die beiden sind okay und heute nach Amerika zurückgeflogen, glaube ich. Und ich bin, wie Sie sehen können, heil und gesund hier. Na ja… so gut wie heil.«

Sie war — wie vorauszusehen — entsetzt und wollte alle Einzelheiten hören, und das Erzählen trug wenigstens dazu bei, die Verlegenheit, die wir in gewissem Maße wohl beide angesichts dieses Treffens verspürt hatten, langsam zu zerstreuen.

«Simms ist erschossen worden?«

«Ja.«

«Aber. weiß die Polizei schon, wer es gewesen ist?«

Ich schüttelte den Kopf.»Jemand in einem großen grauen Volvo, glauben sie, und davon gibt’s Tausende.«

«Grundgütiger Himmel. «Sie schwieg und sagte dann:»Ich wollte das vorhin nicht sagen, aber Sie sehen. «Sie zögerte, suchte nach dem passenden Wort.

«Fix und foxy?«schlug ich vor.

«Fesch«, sagte sie lächelnd,»fix und foxy darunter.«

«Es geht vorbei.«

Der Ober kam und fragte, ob wir zu Abend zu essen wünschten, und ich sagte ja und keine Widerrede, das Essen sei meine Sache. Sie nahm diese Einladung ohne Sträuben an, und wir studierten die Speisekarte.

Die Küche war im wesentlichen italienisch, das Dekor kosmopolitisch, das Ambiente schwach europäisch, durch London gezähmt. Eine Menge Dunkelrot, Lampen mit Glasschirmen, keine Hintergrundmusik. Ein gemütliches Restaurant, nichts Dynamisches. Nur wenige Gäste, da es noch früh war.

Wie ich mit Interesse registrierte, hatte es nicht zu den Standardtreffpunkten von Clarissa und Greville gehört — keiner der Ober behandelte sie wie einen Stammgast. Ich fragte sie danach, und sie antwortete ein wenig erschrocken, sie seien nur ein- oder zweimal hier gewesen, nur zum Lunch.

«Wir sind nicht oft in das gleiche Restaurant gegangen«, sagte sie.»Das wäre nicht klug gewesen.«

«Nein.«

Sie warf mir einen leicht verlegenen Blick zu.»Mißbilligen Sie das Verhältnis von Greville und mir?«

«Nein«, sagte ich wieder.»Sie haben ihn glücklich gemacht.«

«Oh. «Sie war beruhigt und erfreut. Sie sagte mit einer gewissen Scheu:»Es war das erste Mal, daß ich mich verliebt habe. Ich nehme an, Sie halten das für albern. Aber es war auch das erste Mal für ihn, sagte er. Es war. wirklich wunderbar. Wir waren wie… als ob wir zwanzig Jahre jünger… ich weiß nicht, ob ich das erklären kann. Voller Lachen. Beschwipst.«

«Soweit ich das beurteilen kann«, sagte ich,»kann der Blitz jedes Alter treffen. Man muß dazu nicht Teenager sein.«

«Hat er… Sie schon mal getroffen?«

«Nicht, seit ich siebzehn war und mich unsterblich in eine Trainerstochter verliebte.«

«Was wurde daraus?«

«Nicht sehr viel. Wir lachten eine Menge, schliefen zusammen, ein bißchen unbeholfen am Anfang. Sie hat dann einen alten Mann von achtundzwanzig Jahren geheiratet. Ich ging aufs College.«