Es schien wenig zielführend zu sein, aller Welt zu beweisen, daß
>Dozen Roses< Kokain verabreicht worden war (und das konnte ich natürlich dadurch, daß ich eine erneute Analyse der von den Offiziellen in York genommenen Urinprobe verlangte), denn selbst wenn Kokain keine ausdrücklich verbotene Substanz war, so war es doch auch kein normales Futtermittel. Und nichts, was nicht ein normales Futtermittel war, durfte Vollblütern gegeben werden, die in Großbritannien an den Start von Rennen gingen.
Wenn ich die Sache mit dem Kokain enthüllte — würde >Dozen Roses< dann nicht disqualifiziert und ihm der Sieg in York abgesprochen werden? Und wenn es dazu käme, würde dann nicht auch Nicholas Loder seine Trainerlizenz verlieren?
Wenn ich solchen Staub aufwirbelte, dann würde das mein Ende bedeuten, was den Rennsport anbetraf. Leute, die Lärm schlugen, wurden unausweichlich gefeuert.
Der Rat, den ich mir selber geben mußte, schien also nur lauten zu können: Nimm das Geld, halt den Mund und hoffe, daß alles gut geht.
Feigling, dachte ich. Und vielleicht auch noch dumm obendrein.
Meine Gedanken ließen mich in Schweiß ausbrechen.
Kapitel 19
June, die Hände voller hübscher rosa Kügelchen aus dem Lagerraum, sagte:»Was unternehmen wir wegen des Rhodochrosits? Er geht uns aus, und die Lieferanten in Hongkong sind nicht mehr zuverlässig. Ich habe in einem Fachblatt gelesen, daß ein Mann in Deutschland was von guter Qualität hat. Was meinen Sie?«
«Was hätte Greville getan?«fragte ich.
Annette sagte traurig:»Er wäre nach Deutschland geflogen und hätte sich’s angesehen. Er hätte nie bei einer neuen Bezugsquelle gekauft, ohne sich angesehen zu haben, mit wem er Handel treibt.«
Ich sagte zu June:»Vereinbaren Sie einen Termin, sagen Sie, wer Sie sind und buchen Sie einen Flug.«
Sie sagten beide gleichzeitig:»Aber…«:, und verstummten dann.
Ich sagte:»Sie werden nie wissen, ob ein Pferd zum Sieger taugt, wenn Sie keine Rennen mit ihm reiten. June begibt sich jetzt an den Start.«
June wurde rot und ging hinaus. Annette schüttelte zweifelnd den Kopf.
«Ich könnte Rhodochrosit nicht von Granit unterscheiden«, sagte ich.»June aber kann’s. Sie kennt den Preis, weiß, was sich verkauft. Ich werde mich auf diese Kenntnisse verlassen, bis sie mir beweist, daß dies ein Irrtum war.«
«Sie ist noch zu jung, um Entscheidungen treffen zu können«, wandte Annette ein.
«Es ist viel leichter, Entscheidungen zu treffen, wenn man jung ist.«
Entspricht das nicht auch der Wahrheit? dachte ich schmerzlich, meine eigenen Worte noch einmal überdenkend. In Junes Alter war ich noch voller Gewißheiten gewesen. Was hätte ich in Junes Alter mit Urinproben gemacht, die nachweislich Kokain enthielten? Ich wußte es nicht. Es gab kein Zurück.
Ich kündigte an, daß ich gleich gehen wolle, sie alle morgen früh wiedersehen werde. Der Abend gehörte Clarissa.
Brad hatte, wie ich unten im Hof feststellte, in der Racing Post gelesen, die dasselbe Foto wie der Daily Sensational brachte. Er zeigte auf das Bild, als ich mich neben ihn schob, und ich nickte.
«Das is Ihr Kopp«, sagte er.
«Mm, ja.«
«Schöne Scheiße.«
Ich lächelte.»Es scheint schon wieder so lange her zu sein.«
Er fuhr mich zu Grevilles Haus und kam mit rein, während ich nach oben ging, die Röhre von dem Bratenbegießer in einen Umschlag und diesen dann in einen Jiffy steckte, den ich zu diesem Zweck aus der Firma mitgebracht und mit der Adresse von Phil Urquhart versehen hatte.
Wieder unten, sagte ich zu Brad:»Die Zentrale des Kurierdienstes Euro-Securo befindet sich in der Oxford Street, nicht weit vom Selfridge Hotel. Dies ist die genaue Adresse.«- ich gab sie ihm —»glauben Sie, daß Sie hinfinden werden?«»Wollja. «Ich hatte ihn wieder beleidigt.
«Ich habe vom Büro aus da angerufen. Sie erwarten das dort. Sie brauchen nichts zu bezahlen, wir bekommen die Rechnung zugeschickt. Lassen Sie sich nur eine Empfangsbestätigung geben, okay?«
«Wollja.«
«Und dann holen Sie bitte meine Freundin vom Selfridge Hotel ab und bringen sie her. Sie ruft Sie an, lassen Sie also das Telefon eingeschaltet.«
«Wollja.«
«Danach können Sie nach Hause fahren, wenn Sie mögen.«
Er warf mir einen finsteren Blick zu, sagte aber nur:»Morgen zur gleichen Zeit?«
«Wenn Sie’s inzwischen nicht langweilt?«
Er bedachte mich mit einem völlig unerwarteten Grinsen. Es hatte schon fast etwas Umwerfendes, dieses düster umwölkte Gesicht plötzlich erstrahlen zu sehen.
«Beste Zeit meines Lebens«, sagte er, schritt von hinnen und ließ mich — buchstäblich nach Luft schnappend — stehen.
Nachdenklich ging ich ins kleine Wohnzimmer und räumte dort noch ein wenig weiter auf. Wenn es Brad denn Spaß machte, stundenlang zu warten und dabei die unwahrscheinlichsten Zeitschriften zu lesen, dann war mir das ja recht, aber andererseits fühlte ich mich nicht mehr unmittelbar von Angriffen oder vom Tod bedroht und konnte gut auch wieder selber fahren, weshalb seine Tage als Leibwächter-Chauffeur wohl gezählt waren. Ihm war das wohl klar, dachte ich, denn er hatte sich schon mehrmals an den Job geklammert.
An diesem Mittwochabend war auch eine rapide Besserung des Knöchels zu verzeichnen. Soweit ich wußte, bildeten Knochen an Bruchstellen neues, weiches Gewebe, als sollten die Stücke da mit Leim zusammengeklebt werden. Nach acht oder neun Tagen fing dieses Gewebe an, hart zu werden, und dadurch wurde der Knochen allmählich wieder stärker. Es war diese Phase, die ich inzwischen erreicht hatte. Ich legte die eine der beiden Krücken im kleinen Wohnzimmer ab und benutzte die andere wie einen Spazierstock, wobei ich den linken Fuß noch nicht voll aufsetzte, sondern vorläufig nur den großen Zeh, um das Gleichgewicht zu halten.
Ich entschied, daß das Distalgesic der Vergangenheit angehören sollte. Ich wollte zum Abendessen mit Clarissa einen Wein trinken.
Es klingelte an der Haustür, was mich überraschte. Für Clarissa war es noch zu früh — Brad konnte in der Zeit, die er jetzt weg war, unmöglich seine Botentour gemacht haben und zum Selfridge Hotel und wieder hierher zurückgefahren sein.
Ich hinkte zur Tür, sah durch den Spion und war erstaunt, Nicholas Loder davor stehen zu sehen. Und hinter ihm auf dem Kiesweg stand sein Freund Rollo Rollway und betrachtete gelangweilt den kleinen Garten.
Einigermaßen sprachlos öffnete ich die Tür, und Nicholas Loder sagte sofort:»O gut, Sie sind da. Wir hatten in London zu tun und waren zum Essen, und da wir Zeit übrig hatten, dachte ich, wir könnten mal schauen, ob wir Sie zufällig antreffen, um lieber persönlich über >Edel-stein< zu sprechen, als telefonisch miteinander zu verhandeln.«
«Aber ich habe doch noch gar keinen Preis genannt«, sagte ich.
«Macht nichts. Darüber können wir ja reden. Dürfen wir hereinkommen?«»Hm, ja«, sagte ich und sah dabei auf die Uhr.»Aber nicht lange. Ich habe gleich einen anderen Termin.«
«Wir auch«, versicherte er mir. Er drehte sich um und winkte seinen Freund herbei.»Los, Rollo, wir können mit ihm sprechen.«
Rollway, der aussah, als sei diese ganze Unternehmung gar nicht nach seinem Geschmack, kam die Stufen herauf und ins Haus. Ich drehte mich um, um ihnen voranzugehen, und schloß ostentativ die Tür nicht hinter ihnen, damit unmißverständlich klar sei, daß sie nicht lange bleiben könnten.
«Das Zimmer ist in ziemlicher Unordnung«, sagte ich warnend über die Schulter,»aber wir hatten einen Einbrecher hier.«
«Wir?«fragte Nicholas Loder.
«Greville und ich.«
«Oh.«
Er sagte erneut» Oh«, als er den im Fernseher steckenden Blumentopf erblickte, während Rollway nur gelangweilt in die Runde blinzelte, als bekomme er tagtäglich Häuser in derart chaotischem Zustand zu sehen.