Er stand nach wie vor zwischen mir und der Tür.
Knöchel hin, Knöchel her, dachte ich, wenn ich erst einmal auf den Beinen war, würde ich ihn mit der Krücke niederschlagen, ihn aus dem Weg hauen und dann laufen, laufen… auf die Straße hinaus…
Ich mußte hoch. Kam bis auf die Knie. Stand, mich auf das rechte Bein stützend, auf. Setzte den linken Fuß auf den Boden. Es waren nicht die Schmerzen, ich verspürte keine, sondern das Gelenk knickte um. Ich brauchte die Hilfe der Krücke… und ich brauchte die Krücke, um damit gegen seine Pistole anzugehen. mußte vorwärts hüpfen und schlurfen, nach ihm schlagen, um den unvermeidlichen Augenblick hinauszuschieben, um zu kämpfen, bis ich tot war.
Plötzlich erschien eine Gestalt in der Tür, erschien am Rande meines Gesichtsfeldes.
Clarissa.
Ich hatte völlig vergessen, daß sie kommen wollte.
«Lauf«, rief ich gequält.»Lauf weg. Schnell!«
Das erschreckte Rollway. Ich hatte nicht sehr laut gerufen, und er schien zu glauben, mein Ausruf habe ihm gegolten. Er grinste verächtlich. Ich ließ seine Pistole nicht aus den Augen, sprang darauf zu und veränderte dadurch in der entscheidenden Sekunde sein Zielen. Er drückte ab. Flamme, futtt. Die Kugel zischte über meine Schulter und schlug in die Wand ein.
«Lauf«, rief ich wieder, diesmal mit angstvollem Drängen.
«Schnell, oh, mach schnell!«
Warum lief sie denn nicht? Wenn er sich umdrehte, würde er sie sofort erblicken.
Er würde sie töten.
Clarissa lief nicht weg. Sie zog die Hand aus der Tasche ihres Regenmantels, hielt darin ein Ding, das aussah wie eine Zigarre, schwang den Arm in kräftigem Bogen nach vorn. Eine Rachegöttin. Aus der schwarzen Hülle sausten die furchteinflößenden, silbrigen, teleskopischen Federn mit dem Kugelkopf am Ende, und der Totschläger krachte seitlich gegen Rollways Schädel.
Er sackte ohne einen Laut zusammen. Fiel nach vorn, prallte gegen mich, stieß mich nach hinten. Ich landete auf dem Boden, saß da, seinen leblosen Körper, Bauch nach unten, auf meinen Schienbeinen.
Clarissa kniete neben mir nieder, zitterte heftig, war einer Ohnmacht nahe. Ich war außer Atem, zerschlagen, zitterte wie sie. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis wir wieder sprechen konnten. Als es ihr gelang, war es eher ein Flüstern, leise und besorgt.
«Derek.«
«Danke, du hast mir das Leben gerettet«, sagte ich stoßweise.
«Ist er tot?«Sie sah voller Furcht auf Rollways Kopf, Anspannung im Blick, im Nacken, in der Stimme.
«Das ist mir vollkommen gleichgültig«, sagte ich wahrheitsgemäß.
«Aber ich… ich habe ihn niedergeschlagen.«
«Ich werde sagen, ich war’s. Keine Sorge. Ich werde sagen, daß ich ihn mit der Krücke erwischt habe.«
Sie meinte unschlüssig:»Das kannst du nicht.«
«Natürlich kann ich das. Ich hätte es ja auch getan, wenn ich gekonnt hätte.«
Ich blickte zu Nicholas Loder hinüber, und Clarissa schien ihn erst jetzt zu bemerken. Er lag auf dem Rücken, bewegungslos.
«Großer Gott«, sagte sie schwach, und ihr Gesicht wurde noch blasser.»Wer ist denn das?«
Ich stellte ihr Nicholas Loder, Trainer von Rennpferden, posthum vor und dann Thomas Rollway, Händler von Drogen. Sie hätten >Dozen Roses< Kokain in die Nüstern gesprüht, erklärte ich und rang um einen leichten Ton. Ich sei ihnen auf die Schliche gekommen. Rollway habe mich lieber tot als im Zeugenstand gegen ihn aussagen sehen wollen. So habe er mir gesagt.
Beide Männer bestritten diese Anschuldigungen nicht, obwohl zumindest Rollway noch am Leben war. Ich konnte seinen Atem an meinen Beinen spüren. Im großen und ganzen ein Jammer. Ich sagte es Clarissa, und bei dieser Nachricht fühlte sie sich wieder ein bißchen glücklicher.
Sie hielt immer noch den Totschläger in der Hand. Ich berührte diese, strich sanft mit der meinen darüber, dankbarer für ihren Mut, als ich zu sagen vermochte. Greville hatte ihr den Kiyoga geschenkt. Er hatte nicht wissen können, daß dieses Ding mir einmal das Leben retten würde.
Ich nahm ihn ihr behutsam ab und legte ihn auf den Teppich.
«Ruf meinen Wagen an«, sagte ich.»Falls Brad noch nicht zu weit weg ist, kommt er hierher zurück.«
«Aber.«
«Er wird dich sicher in dein Hotel bringen. Ruf schnell an.«
«Ich kann dich doch nicht einfach… allein lassen.«
«Wie würdest du denn der Polizei deine Anwesenheit erklären wollen?«
Sie sah mich bestürzt, aber auch bockig an.»Ich kann dich nicht…«
«Du mußt«, sagte ich.»Was meinst du, wie Greville dazu gestanden hätte?«
«Oh…«Es war ein langer Seufzer der Trauer, der sowohl Greville galt als auch, wie ich zu hören meinte, dem gemeinsamen Abend, den wir nun nicht miteinander verbringen konnten.
«Hast du die Nummer noch im Kopf?«fragte ich.
«Derek.«
«Nun geh schon und mach’s, mein Liebes.«
Wie blind stand sie auf und ging zum Telefon. Ich sagte ihr die Nummer, da sie sie vergessen hatte. Als keine Antwort kam, bat ich sie, die Nummer noch einmal und dann noch einmal zu wählen. Wenn wir Glück hatten, würde Brad sich denken, daß ein dreimaliger Anruf auf einen Notfall hindeutete.
«Als wir vorhin hier ankamen«, sagte Clarissa, nun wieder gefestigter,»bemerkte Brad, daß da ein grauer Volvo nicht weit von der Gartenpforte geparkt stand. Er war irgendwie beunruhigt und meinte, ich sollte es dir sagen. Ist das von Wichtigkeit?«
Gott im Himmel.
«Reicht die Telefonschnur bis hierher zu mir?«fragte ich.»Versuch’s mal. Schieb den Tisch weg und zieh den Apparat zu mir. Wenn ich die Polizei von hier aus anrufe, und die Beamten finden mich dann auch hier, dann gewinnt die Sache an Glaubwürdigkeit.«
Sie kippte den Tisch an, so daß der Anrufbeantworter zu Boden fiel, und zog das Telefon auf mich zu, bis es nicht mehr weiterging. Ich kam noch immer nicht dran, und deshalb drehte ich mich ein wenig zur Seite, was weh tat. Das entging ihr nicht.
«Derek!«
«Macht nichts«, sagte ich mit einem schiefen Lächeln, versuchte, es scherzhaft klingen zu lassen.»Ist besser als der Tod.«
«Ich kann dich hier nicht allein lassen. «Ihr Blick war noch immer angespannt, und sie zitterte auch noch, aber sie gewann langsam ihre Haltung zurück.
«Und ob du das kannst«, sagte ich.»Du mußt. Geh raus zur Pforte. Falls Brad kommen sollte, soll er hupen, denn dann weiß ich, daß ihr fort seid und rufe die Polizei an. Sollte er nicht kommen. gib ihm fünf Minuten, dann geh… geh und such dir ein Taxi… Versprochen?«
Ich nahm den Totschläger vom Teppich und fummelte daran herum, versuchte, ihn zusammenzuschieben. Sie nahm ihn mir aus der Hand, drehte daran, stieß den Kugelkopf auf den Teppich und steckte die Waffe in die Tasche.
«Ich werde an dich denken und dir dankbar sein«, sagte ich,»jeden Tag, mein Leben lang.«
«Um vier Uhr zwanzig«, sagte sie ganz automatisch, schwieg dann und blickte mich forschend an.»Um genau diese Zeit habe ich Greville kennengelernt.«»Vier Uhr zwanzig«, sagte ich und nickte.»Jeden Tag.«
Sie kniete erneut neben mir nieder und küßte mich, aber da war keine Leidenschaft. Eher der Abschied.
«Nun los«, sagte ich,»Zeit, daß du wegkommst.«
Sie erhob sich zögernd und ging zur Tür, blieb dort stehen und blickte sich zu mir um. Lady Knightwood, dachte ich, tapfere Retterin, der nicht eine Haarsträhne in Unordnung geraten war.
«Ruf mich an«, sagte ich.»Bald.«
«Ja.«
Sie ging ruhig durch den Hausflur hinaus und war noch nicht sehr lange fort, als Brad hereingestürmt kam, Clarissa wie seinen Schatten hinter sich.
Brad kam fast rutschend zum Stillstand — was sich seinem Auge bot, reichte wohl aus, um auch den Redseligsten verstummen zu lassen.